Verhandlungen mit Russland: Angst vor dem Bazillus der Revolution

Welches Ziel auch immer Putin verfolgt – er dürfte das genaue Gegenteil erreichen. Russland treibt seine Nachbarstaaten in die Arme der Nato.

Ein ukrainischer Soldat mit einer Katze in einem Graben

Warten auf den Nato-Beitritt? Ukrainischer Soldat im Gebiet Donezk an der Frontlinie Foto: Andriy Dubchak/ap

Moskau will seine Truppen von der Grenze zur Ukraine abziehen, vorausgesetzt allerdings das westliche Verteidigungsbündnis geht in Vorleistung und verpflichtet sich zu rechtlich verbindlichen Sicherheitsgarantien. Will heißen: keine weitere Aufnahme ehemaliger Sowjetrepubliken in die Nato nebst Reduzierung militärischer Aktivitäten in den osteuropäischen und baltischen Staaten sowie Verzicht auf die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa.

Ein Non-starter. Sollte sich die Nato darauf einlassen, könnte sie gleich dichtmachen. Sie würde Russland de facto ein Vetorecht über künftige Entscheidungen einräumen. Tatsächlich stehen die im Fall ehemaliger Sowjetrepubliken gar nicht zur Disposition. Wer über gesunden Menschenverstand verfügt, weiß: Ein Nato-Beitritt der Ukraine oder Georgiens ist aktuell indiskutabel.

Ohne Frage: Russland hat, wie jeder andere Staat auch, berechtigte Sicherheitsinteressen. Und subjektive Ängste vor der Einkreisung des eigenen Imperiums, die es ernst zu nehmen gelte, wie es unlängst in einem Kommentar in der taz hieß. Daher spreche nichts dagegen, wenn Nato und die Vereinigten Staaten gegenüber Russland weitgehende Sicherheitsgarantien abgäben, was die Unverletzlichkeit der russischen Landesgrenzen betreffe, heißt es dort weiter.

Zu glauben, ein derartiger Schritt könne Russlands Position beeinflussen, ist gelinde gesagt naiv. Denn die von der Nato geforderten Garantien sind in Wahrheit nur eine vornehme Umschreibung dessen, worum es Moskau wirklich geht: einen Freifahrtschein, um in seinen ehemaligen Bruderstaaten zu tun und zu lassen, was es will.

Oder anders gesagt: die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts, als die Russlands Präsident Wladimir Putin den Zerfall der Sowjetunion einst bezeichnete, so weit es geht rückgängig und Absetzbewegungen ehemaliger Satelliten in Richtung Westen zunichte zu machen. Wie das in der Praxis aussieht, musste die Ukraine mit der Annexion der Krim 2014 und dem andauernden Krieg in der Ost­ukrai­ne, der über 13.000 Menschen das Leben gekostet hat, leidvoll erfahren. Und nicht nur sie.

Festgefahrene Positionen

So verschiebt sich die Grenze zwischen Südossetien und Georgien immer weiter in georgisches Kernland. Achtung vor Souveränität, territorialer Integrität, Selbstbestimmung? Fehlanzeige. Die USA, die Nato, die OSZE und Russland haben diese Woche miteinander gesprochen – ohne Ergebnis. Ein Dialog sieht anders aus. Die Positionen sind festgefahren. Auf russischer Seite schwingt immer ein und dasselbe Narrativ mit.

Da ist von „farbigen Revolutionen“ die Rede, die der Westen angezettelt habe – mit dem Ziel auch Russland zu destabilisieren. Auch für die jüngsten Unruhen in Kasachstan sind die „Hauptschuldigen“ ausgemacht: in Terrorlagern im Ausland ausgebildete Kämpfer. Beweise? Wie immer keine. Er werde keine „Farben-Revolutionen“ in ehemaligen Sowjetstaaten tolerieren, sagte Putin in Moskau. Ein Ausdruck der Angst, der „Bazillus der Revolution“ könne auf Russland überspringen.

Da, wo die Softpower nur aus den Gewehrläufen kommt, bleiben Reaktionen nicht aus. Ein Beitritt zur Nato war in der Ukraine in der Bevölkerung lange Zeit nicht mehrheitsfähig. Seit 2014 hat sich das grundlegend geändert. Russlands militärische Muskelspiele an der Grenze zum Nachbarn dürften diesen Trend weiter verstärken. Auch dass in Schweden und Finnland über einen Nato-Beitritt diskutiert wird, spricht Bände.

Schließlich hat auch Helsinki so Erfahrungen mit der „Finnlandisierung“ seiner Außenpolitik gemacht, die Absprachen mit Moskau bei wichtigen Entscheidungen erforderte. Trotzdem droht, fordert und provoziert Russland weiter. Unmittelbar nach den Gesprächen hielt das russische Militär neue Manöver ab. Zudem sieht Moskau vorerst keinen weiteren Gesprächsbedarf in Sachen Ukraine.

Keine guten Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Dialogs, den Po­li­ti­ke­r*in­nen wie die grüne Außenministerin Annalena Baerbock richtigerweise einfordern – auch wenn in diesem Machtpoker der EU allenfalls eine Statistenrolle zukommt. Solange geredet wird, besteht Hoffnung, dass die Waffen schweigen. Die Leidtragenden einer Eskalation wären zuallererst die Menschen in der Ukraine.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.