Kommentar Kritik an von der Leyen: Wer ist hier undemokratisch?

Es ist Unsinn, dass von der Leyen erst zur Kommissarin nominiert hätte werden müssen. Demokratieschwach sind in der EU einige, die Union ist es nicht.

Juncker und von der Leyen umarmen sich vor Europaflagge

Die europäische Demokratie, ein Schmierentheater? Das ist doch Unsinn! Foto: dpa

Tag drei nach dem überraschenden Von-der-Leyen-Coup und die unterlegenen Parteien schäumen. „Kuhhandel aus dem Hinterzimmer“ (Grüne), „Schmierentheater“ (SPD). Der Tenor: Die Abkehr vom Spitzenkandidatenprinzip und die Entscheidung für die deutsche Verteidigungsministerin seien ein Ergebnis fragwürdiger Macht-Mauscheleien, also undemokratisch.

Das mag man so sehen – wenn man ausblenden kann, dass die aufgestellten Spitzenkandidaten noch nicht mal von den eigenen Leuten uneingeschränkt unterstützt wurden. Man kann auch kritisieren, dass das Zustandekommen der neuen Personal-Paketlösung für die WählerInnen völlig intransparent ist. Aber ist es deshalb gleich undemokratisch? Es wurde schließlich im Europäischen Rat abgestimmt, einem Gremium, dem sämtliche demokratisch gewählten Regierungen der Europäischen Union angehören.

Der Genosse Sigmar Gabriel, bekannt für seine impulsiven Einlassungen, beließ es nicht beim Raunen über vermeintlich undemokratische Prozesse. Er warf Merkel und der Union gleich einen Rechtsbruch vor: Die Nominierung von der Leyens sei ungültig, sie hätte zuvor vom Kabinett zur Kommissarin nominiert werden müssen.

Doch das ist Unsinn. Das Vertragswerk der EU sieht keine nationale Vorabstimmung vor. Und im übrigen auch nicht den Automatismus des Spitzenkandidatenprinzips. Es reicht völlig aus, dass sich der Europäische Rat mehrheitlich auf jemanden einigt. Was er auch getan hat. Also nichts mit Vertragsbruch. Was Gabriel da verbreitet hat, sind Fake News – ein klassisches Propagandainstrument der Populisten. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat nicht ganz unrecht, wenn er dem Koalitionspartner SPD jetzt Demokratieschwäche vorwirft.

Was bleibt von der Debatte? Hoffentlich die Erkenntnis, dass es niemandem nutzt, wenn sich die Parteien aus dem demokratischen Spektrum gegenseitig mit dem Vorwurf des Undemokratischen überziehen. Dieses Etikett sollte für diejenigen reserviert bleiben, die, auch innerhalb der EU, demokratische Prinzipien verhöhnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.