Debatte Zerstrittene SPD und Linke: Letzte Chance Wiedervereinigung

SPD und Linke entzweit die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Denn programmatisch sind sie gar nicht so verschieden.

Auf einem Foto aus dem Jahr 1990 liegen sich Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder im Arm

Viele verzeihen Lafontaine nicht, dass er die SPD verließ und dann der Konkurrenz auf die Beine half Foto: dpa

Zwischen Linkspartei und SPD gelten noch nicht mal die Basis-Regeln gesitteten Streits. 2018 bepöbelte Linkspartei-Mann Diether Dehm Außenminister Heiko Maas als „gut gestylten Nato-Strichjungen“. Das war auch ein paar Linkspartei-Genossen so peinlich, dass sie – vergeblich – Dehms Rauswurf forderten.

Bemerkenswert an dieser zwischen Beschämung und Bagatelle angesiedelten Affäre ist: Dehm war 33 Jahre lang in der SPD und beteuert danach, er leide unter jedem Prozent, das die SPD verliere.

Die Liste der Beschimpfungen und Verdammungen, die sich Linkspartei und SPD gegenseitig an den Kopf geworfen haben, ist lang. Die Linkspartei, im Westen von linken Sozialdemokraten gegründet, brachte nach 2009 das Kunststück fertig, die schon damals ziemlich ruinierte SPD noch in der Opposition zu bekriegen. Als Sündenfälle galten: Hartz IV, Afghanistankrieg, Rente. Die SPD blockierte nicht nur in Hessen und NRW die machtpolitisch naheliegende Annäherung an die linke Konkurrenz. Das folgte der fatalen Logik einer Ehekrise: Lieber schade ich mir selbst, als dir etwas zu gönnen.

Von beiden Seiten wurden mit Beton Abgrenzungen markiert. Das Affektniveau war hoch. Betonte man die Distanz, weil die Beziehung doch ambivalent war? Ein Bonmot brachte die Mixtur von Nähe und Distanz auf den Punkt. „Was haben SPD und die Linkspartei im Westen gemeinsam? In beiden Parteien gibt es fast nur enttäuschte Sozialdemokraten.“

Eine geistesgeschichtliche Herausforderung

Ein prominenter linker SPDler und ein Linksparteiabgeordneter brachten es beim Kneipen­gespräch mal fertig, sich gegenseitig lautstark Verrat vorzuwerfen – und fünf Minuten später zu ventilieren, ob man die beiden Parteien nicht doch vereinen sollte. Ein scharfsinniger Beobachter wie Heiner Geißler kam schon vor zehn Jahren auf die Idee, dass es eine „geistesgeschichtliche“ Herausforderung sei, die zerstrittenen Geschwister wieder zu vereinen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Eine Idee, die scharfe Dementis oder mindestens Kopfschütteln hervorruft. Aber warum? Wegen der Geschichte. Der Mord an Luxemburg und Liebknecht 1919 ist ein Gründungsmythos der radikalen Linken. Die SPD ist erbittert über die Zwangsvereinigung zur SED 1946, als Sozialdemokraten in der DDR in stalinistische Lager gesperrt wurden. Viele SPDler verzeihen es ihrem Ex-Vorsitzenden Oskar Lafontaine bis heute nicht, dass er erst die Partei verließ und dann der Konkurrenz auf die Beine half. Und so weiter.

Das darf man nicht unterschätzen. Die – aus SPD-Sicht – glanzvolle, aus PDS-Sicht gebrochene Geschichte dient beiden Parteien als Identitätskitt, gerade in Krisenzeiten. Für beide ist historisches Bewusstsein wichtig – viel mehr als für die Konservativen, die mit ein wenig Adenauer- und Kohl-Folklore auskommen, oder die Grünen, die frei von historischem Bewusstsein sind.

Was SPD und Linkspartei tief entzweit, ist die Vergangenheit. Die Zukunft eher nicht.

Wo verläuft der trennende Graben?

Ein von Linksparteipolitikern gerne vorgetragenes rhetorisches Argument Richtung SPD lautet: Werdet erst mal wieder sozialdemokratisch. Nun ist die SPD gerade dabei, das zu tun. Erzwungen durch etliche Wahlniederlagen reift zaghaft das Bewusstsein, dass der Flirt mit dem Neoliberalismus fatal war. 2019 entgehen Sozialdemokraten in Europa nur dort dem Untergang, wo sie sozial- und wirtschaftspolitisch klar links funken.

Ein paar unverbesserliche SPD-Rechte werden das nie begreifen. Doch das Gros der Sozialdemokratie nähert sich, mit der für die GenossInnen typischen Betulichkeit, dieser Erkenntnis an.

Die Existenz der Linkspartei im Westen ist direkt mit der Krise der Sozialdemokratie 2003 verklammert. Die PDS wäre eine Regionalpartei geblieben. Parteien sind immer Organisationen, die den Anlass ihrer Gründung überdauern. Aber es fragt sich: Wo verläuft der trennende Graben zwischen Linkspartei und SPD, wenn die wirklich Hartz IV abschaffen, die Renten erhöhen und Bundeswehreinsätze im Ausland beenden wollen?

Wenn die lärmende Mechanik von Attacke und Gegenattacke stillsteht, wird sichtbar: Programmatisch sind SPD und Linkspartei nicht so verschieden. Beide sind etatistisch und überzeugt, dass sich nur Reiche einen armen Staat leisten können. Sie sehen die Gesellschaft eher vom Staat her, weniger vom Individuum wie die liberalen Parteien FDP und Grüne.

Reibungsflächen sind geschrumpft

Zur DNA beider Parteien gehört ein empathischer Begriff des Sozialen. Beide betrachten, anders als Liberale oder Konservative, die Gesellschaft aus der Perspektive der Arbeit. Beide sind reformistische Parteien, mit einer recht alten Mitgliedschaft und engen Beziehungen zu den Gewerkschaften. Auch die Linkspartei will keine Revolution, sondern höhere Erbschaftsteuern, Löhne und Renten, was auch bei SPD-Klientel auf Zustimmung stößt.

SPD und Linkspartei werben zudem in etwa um die gleiche Wählerschaft: die eher traditionellen Milieus in Mittel- und Unterschicht. Die Abwanderung der locals nach rechts außen, die Globalisierung als Zumutung empfinden, werden ja nicht die Grünen verhindern – sondern nur Parteien wie SPD und Linkspartei. Vorausgesetzt, es gelingt ihnen, ihren verstaubten Formenkanon aus der Zeit der Fabrikgesellschaft für die sozial ausgefranste Dienstleistungsgesellschaft zu aktualisieren.

Die Reibungsflächen zwischen SPD und Linkspartei sind geschrumpft. Man beschimpft sich nicht mehr und hat mit der AfD einen gemeinsamen Gegner. In Thüringen hat die SPD 2014 einem Linkspartei-Ministerpräsidenten ins Amt geholfen – das war zehn Jahre zuvor noch undenkbar. Die SPD versteht sich in Erfurt mittlerweile mit der Linkspartei reibungslos.

Die Grünen, die wie sie der revolutionären Bürgerbewegung 1989 entstammen, finden die Sozialdemokraten etwas anstrengend. Und ganz praktisch spricht angesichts der zusehends ausgedünnten Parteistrukturen von SPD und Linkspartei im Osten, vor allem jenseits der Städte, einiges dafür, mal was zusammen auf die Beine zu stellen.

Die digitale Revolution wird die Ungleichheit künftig verschärfen. Brauchen wir in Zukunft zwei Parteien, die sich gegen Deregulierung, Privatisierungen, wachsende Ungleichheit und schwindenden Zusammenhalt der Gesellschaft wehren?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.