Kommentar Jamaika-Abbruch durch FDP: Der Spieler

Viel Pose und wenig Substanz: Lindners FDP geriert sich als Anti-Establishment-Kraft und befördert die Reideologisierung der Politik.

Christian Lindner im Porträt

Können diese Augen ein Bündnis töten? Offenbar schon Foto: dpa

Die FDP hat Jamaika nicht zufällig ruiniert, sondern mit strategischer Absicht. Lindner hat die Verhandlungen beendet – nicht weil diese komplett festgefahren waren, sondern weil den Liberalen das Schlimmste drohte: das Gelingen. Man muss diesem Bündnis keine Träne nachweinen. Dieser Bürgerblock hätte, wäre er stabil zustande gekommen, das Soziale links liegen gelassen. Aber die Chuzpe, mit der die FDP diese Verhandlungen hat scheitern lassen, ist bemerkenswert.

Lindner hat die FDP jetzt dorthin gesteuert, wo er sie von Beginn an haben wollte: als markige Opposition gegen die sogenannten Weiter-so-Parteien, gegen die Merkel-CDU und die Realo-Grünen. Mit welcher konkreten Forderung die FDP denn auf Granit gebissen hat, können Lindner & Co kurioserweise gar nicht angeben. Die FDP stürzt die Republik in eine Krise, ohne das triftig erklären zu können. Viel Pose, – „wir gegen die grün-christdemokratische Einheitsfront“ – und wenig Substanz. Wer da vage an Trump denkt, liegt nicht falsch.

Die FDP ist dabei, jene Kompromissfähigkeit einzubüßen, über die sie früher im Übermaß verfügte. Die neue FDP, das ist eine Kombination aus schneidigem Marktliberalismus und einem Sammelbecken für Affekte gegen die da oben. Mit dieser kalkulierten Explosion hat sich die Lindner-Partei endgültig von der alten, behäbigen, staatsfixierten Genscher-Partei entfernt und in eine Spieler-Partei mit rechtspopulistischem Drive verwandelt. Das bürgerlich-liberale Spektrum splittet sich auf: in eine ökoliberale Partei, eine rechtspopulistische/extreme und die FDP, die sich weit nach rechts dehnen kann.

Wir erleben nach den gemütlichen, lauwarmen Merkel-Jahren eine Polarisierung – auf der rechten Seite. Die Fliehkräfte nehmen zu. Die CSU wird mit Dobrindt und Söder in der Post-Seehofer-Zeit wohl einen strammen Rechtskurs einschlagen. Das bürgerliche Lager zerfranst, die Bündnisfähigkeit schwindet. Die Liberalen sind in diesem Prozess das Ferment, das die Reideologisierung der Politik beschleunigt.

Manchen mag es verführerisch scheinen, nun auf das Bewährte zurückzugreifen und nach der Großen Koalition zu rufen. Das ist naheliegend – aber langfristig gefährlich. Noch nie seit 1949 gab es eine Große Koalition, die fortgesetzt wurde. Auch eine Union-SPD-Regierung ohne Merkel und Schulz, etwa mit von der Leyen und Scholz, wäre keine Antwort.

Ja, nach dem Aus von Jamaika ist viel möglich. Aber eine Große Koalition wäre, gerade nach dem opernhaften Nein der SPD in der Wahlnacht, nicht Staatsklugheit, sondern Notnagel und Machterhalt. Weil der politischen Klasse für das Experiment Minderheitsregierung die Courage fehlt, bleiben wohl nur Neuwahlen. Das aber ist eine Bankrotterklärung der Mitte-rechts-Parteien, ein Offenbarungseid der politischen Mitte. Man sollte nicht vergessen, wer dafür verantwortlich ist: Christian Lindner.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Bei wieviel Prozent liegen die Parteien? Wer hat welche Wahlkreise geholt?

▶ Alle Zahlen auf einen Blick

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.