Optionen für die Regierungsbildung: Der lange Weg weg von Jamaika

Wie geht es nach dem Scheitern der Sondierungen weiter? Wir haben das Grundgesetz gelesen, damit Sie es nicht machen müssen.

Ein großes Gebäude hinter einer Hecke

Endlich mal relevant: In Schloss Bellevue entscheidet der Präsident jetzt über die nächste Regierung Foto: reuters

BERLIN taz | Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen wird Angela Merkel (CDU) am Montagmittag in Schloss Bellevue erwartet. Die Kanzlerin will mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) erörtern, wie es jetzt weitergeht. Neue Sondierungen, eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen? Auf der Suche nach der Antwort sind die Details der Verfassung entscheidend.

Kann Steinmeier die SPD zu Koalitionsverhandlungen bewegen?

Die einzige denkbare Bundestagsmehrheit neben Jamaika wäre eine Neuauflage der Großen Koalition. Die Sozialdemokraten haben diese Variante allerdings schon am Wahlabend ausgeschlossen. Der Wortlaut des Grundgesetzes sieht für den Bundespräsidenten keine Kuppler-Rolle vor; er kann die SPD also nicht damit beauftragen oder sie gar dazu verdonnern, doch über eine gemeinsame Koalition zu verhandeln. Es steht ihm aber natürlich frei, in nächster Zeit auch die SPD-Spitze nach Bellevue einzuladen und sie zu bitten, ihre Entscheidung zu überdenken.

Bis wann muss eine Entscheidung fallen?

Das Grundgesetz sieht im Wortlaut keine Frist dafür vor, wann eine Regierung stehen muss. Artikel 63 sagt lediglich, dass der „Bundeskanzler auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage“ gewählt wird – aber nicht, wie lange der Präsident für diesen Vorschlag Zeit hat. Verfassungsrechtler gehen zwar davon aus, dass er zumindest eine „angemessene Frist“ einhalten muss. Angemessen ist aber ein dehnbarer Begriff, vor allem in der aktuellen Situation mit ihren komplizierten Mehrheitsverhältnissen. Steinmeier kann sich also erst einmal Zeit lassen.

Was passiert bis zu einer Entscheidung?

Die alte Bundesregierung bleibt geschäftsführend im Amt – sowohl die Kanzlerin als auch die Minister. Sie behalten fast alle ihre Rechte und Pflichten und können auch weiterhin Gesetze in den Bundestag einbringen. Vertrauensfrage oder konstruktives Misstrauensvotum sind für die geschäftsführende Regierung aber nicht möglich. Weder Merkel noch die Opposition im Bundestag können einfach so Neuwahlen erzwingen.

Wie kommt es dann zu Neuwahlen?

Als erstes muss der Bundespräsident dem Bundestag einen Kanzlerkandidaten vorschlagen. Das kann Merkel sein oder jemand anderes, der Präsident ist an keine Vorgaben gebunden. Bekommt der Kandidat im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit, beginnt die zweite Wahlphase. Sie dauert 14 Tage. In dieser Zeit kann der Bundestag eigene Kandidaten vorschlagen und so viele Wahlgänge durchführen, wie er will – bis doch jemand eine absolute Mehrheit bekommt. Falls es dazu nicht kommt, startet die dritte Wahlphase. Wenn jetzt ein Kandidat die relative Mehrheit bekommt (also Merkel zum Beispiel nur mit den Stimmen der Union die Abstimmung gewinnt), hat der Bundespräsident sieben Tage für eine Entscheidung: Entweder ernennt er den Kandidaten zum Kanzler – oder er schreibt dem Bundestagspräsidenten, dass er das Parlament auflöst. Dann gibt es innerhalb von sechzig Tagen Neuwahlen.

Und wie käme es zu einer Minderheitskanzlerin Merkel?

Variante 1: Merkel wird in der dritten Wahlphase mit relativer Mehrheit gewählt und Steinmeier löst das Parlament nicht auf, sondern ernennt sie. Variante 2: Die Union einigt sich mit anderen Fraktionen darauf, Merkel in einer der drei Wahlphasen mit absoluter Mehrheit zur Kanzlerin zu wählen – auch ohne Koalitionsvertrag und ohne Konsequenzen für das Verhalten in der restlichen Legislaturperiode.

Und wie würde so eine Minderheitsregierung funktionieren?

Eigentlich wie jede andere auch. Der Präsident ernennt weiterhin auf Vorschlag des Kanzlers die Minister, die Regierung behält alle Rechte und Pflichten. Nur bei der Gesetzgebung wird es schwierig: Für jedes Gesetz, für jeden Haushalt und für jedes Bundeswehrmandat müsste die Regierung wahrscheinlich aufs Neue eine Bundestagsmehrheit finden und dafür mit der Opposition zusammenarbeiten. Für das vorzeitige Ende einer Minderheitsregierung gelten die ganz normalen, hohen Hürden: Entweder die Vertrauensfrage (die nur die Kanzlerin beantragen kann) oder das konstruktive Misstrauensvotum (für das es einen neuen Kandidaten mit Mehrheit im Bundestag bräuchte).

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