Merz will Straftätern Pass entziehen: Heimat ist bedingungslos
Friedrich Merz will Doppelstaatlern den deutschen Pass entziehen. Es ist eine Forderung ohne politische Zukunft – außer an der Seite der AfD.
W as bleibt von einer Heimat, die man verlieren kann? Die nicht da ist, wenn man fällt? Heimat ist mehr als ein Ort, mehr als ein Pass. Heimat ist ein Anker, eine Gewissheit, dass man irgendwo dazugehört, selbst wenn man Fehler macht. Wenn wir anfangen, Menschen diese Gewissheit zu nehmen, verlieren wir mehr als sie. Wir verlieren uns selbst. Wir verlieren, was dieses Land stark macht: die Überzeugung, dass Gleichheit kein Privileg, sondern ein Recht ist.
Doch Friedrich Merz sieht Heimat anders. Für ihn scheint sie etwas zu sein, das man sich verdienen muss – und das man verlieren kann, wenn man sich nicht bewährt. Straffällig gewordene Doppelstaatler, so fordert er, sollen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können. Ein Satz, der einfach klingt, fast plausibel. Doch hinter dieser Forderung steckt nicht nur juristisches Flickwerk, sondern auch eine bewusste Verzerrung der Realität.
Der steinige Weg zum Pass
Merz will den Eindruck erwecken, als wäre es in Deutschland ein Leichtes, eingebürgert zu werden. Doch wer sich die Mühe macht, einen Blick in Paragraf 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes zu werfen, erkennt schnell, dass das Gegenteil der Fall ist. Einbürgerung in Deutschland ist keine Formalität. Es ist ein steiniger Weg, gesäumt von strengen Anforderungen: Sprachkenntnisse, ein gesicherter Lebensunterhalt, ein unbefristetes Aufenthaltsrecht und – besonders wichtig – ein klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dazu muss man im Regelfall fünf Jahre warten, bis man den Antrag stellen darf. Bis zur Einbürgerungsreform 2024 waren es sogar acht Jahre. Wer sich in diesem Land einbürgern lassen will, muss beweisen, dass er oder sie hier wirklich dazugehört.
Aufgewachsen in Mittelhessen, ist Juristin und Soziologin sowie Teil des Vorstands des Deutschen Juristinnenbunds.
Und das ist nicht alles: Bereits jetzt gibt es klare Regeln, die verhindern, dass Straffällige eingebürgert werden. Eine einzelne Verurteilung von 90 Tagessätzen oder mehrere kleinere Straftaten können ausreichen, um eine Einbürgerung zu verweigern. Wer glaubt, dass man sich durch eine Einbürgerung seiner Verantwortung entziehen könnte, irrt.
Lehre aus der Geschichte
Und selbst wer eingebürgert wird, kann seine deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Bis zu zehn Jahre nach der Einbürgerung ist der Entzug möglich, wenn sie durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erschlichen wurde. Auch wenn ein Doppelstaatler sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt, ist ein Entzug möglich. Bereits hier greift der Gesetzgeber hart durch. Doch während Merz mehr fordert, zeigt sich in unserer Verfassung, warum es rechtsstaatliche Grenzen gibt, die wir nicht überschreiten sollten.
Der Satz „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden“ ist mehr als ein Grundrecht in Artikel 16. Es ist das Echo eines Versprechens, das nie wieder gebrochen werden darf: nie wieder staatenlos, nie wieder entrechtet, nie wieder ausgestoßen. Es ist eine Mahnung, eine Lehre aus dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte.
In einer Zeit, in der Millionen Menschen staatenlos gemacht wurden – Jüdinnen, Kommunisten, Andersdenkende –, hat Deutschland gelernt, dass Zugehörigkeit kein politisches Spielzeug sein darf. Die Verfassung zieht eine klare Linie: Staatsbürgerschaft ist ein unveräußerliches Recht. Sie schützt die Menschen vor dem Staat. Wer Artikel 16 Grundgesetz angreift, greift nicht nur ein Grundrecht an. Er greift das Fundament an, auf dem unser Land aufgebaut wurde.
Friedrich Merz weiß, dass sein Vorschlag juristisch kaum umsetzbar ist. Er würde zu verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlungen zwischen deutschen Staatsangehörigen führen. Heimat darf kein Werkzeug der Bestrafung sein. Als Jurist muss er das wissen. Die SPD, die Grünen und die FDP lehnen ihn kategorisch ab. Seine Forderung hat auch politisch keine Zukunft – außer vielleicht an der Seite der AfD. Und genau das ist der Punkt. Merz geht es nicht darum, ein Problem zu lösen. Es geht ihm darum, Tatkraft zu simulieren. Und dafür nimmt er in Kauf, Ängste zu schüren.
„Wir“ und „die“
Die doppelte Staatsbürgerschaft soll dabei zum Symbol seiner Rhetorik werden – ein Feindbild, das er skizziert, um Zugehörigkeit in Frage zu stellen. Doch was bedeutet es wirklich, deutsch zu sein? Ist ein Mensch weniger deutsch, weil er neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch eine andere besitzt? Diese Frage schwebt wie ein unsichtbares Trennmesser über der Forderung und zerschneidet, was zusammengehört.
Was macht einen Menschen „deutsch“? Ein Pass? Eine Abstammung? Oder ist es nicht vielmehr die Entscheidung, sich mit diesem Land und seinen Werten zu verbinden? Die alte Unterscheidung zwischen dem „wir“ und „die“, deren Zugehörigkeit immer ein „aber“ mit sich trägt, wirkt destruktiv. Statt zum Ausdruck von Emanzipation und vielschichtiger Identität wird die doppelte Staatsbürgerschaft damit zum Problem, zum Makel.
Was ernstlich einen Makel offenbart, ist Merz’ Sichtweise. Die Idee, dass zwei Heimaten eine weniger wert machen könnten, zieht eine Grenze, die niemand sieht, bis man plötzlich auf der anderen Seite steht.
Was bleibt von einer Heimat, die man verlieren kann? Nichts, außer Angst. Angst, nicht dazuzugehören. Angst, dass die eigene Existenz ein Luxus ist, die bei Fehlverhalten genommen werden kann. Heimat ist kein Privileg, das man sich verdient. Heimat ist ein Versprechen, das verdient, gehalten zu werden. Heimat, die an Bedingungen geknüpft ist, ist keine Heimat. Sie ist ein Ort der Unsicherheit, des Zweifels. Und ein Land, das seine Bürger in Kategorien teilt, verliert mehr als die Menschen, die es ausstößt. Es verliert sich selbst. Es verliert das, was es stark macht: das Wissen, dass Gleichheit vor dem Gesetz kein Privileg, sondern ein Recht ist.
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