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Wahlen in BolivienDer Traum ist aus

Katharina Wojczenko
Kommentar von Katharina Wojczenko

Durch Misswirtschaft hat sich Boliviens Linke selbst zerstört. Dass sie es nicht in die Stichwahl schafft, hat sie sich selbst zuzuschreiben.

Entre Rios, Cochabamba, Bolivien, 17. August: eine Frau sucht ihren Namen auf der Wahlliste Foto: August Marcarian/reuters

D ie Bo­li­via­ne­r*in­nen haben die langjährige linke Regierungspartei abgewatscht. Egal ob der Christdemokrat Rodrigo Paz oder der Rechtskonservative Jorge „Tuto“ Quiroga, jahrzehntelanger Gegner der linken Partei MAS, die Präsidentschaftswahl am Ende gewinnen: Es ist vorbei mit mehr als 20 Jahren Herrschaft der „Bewegung für den Sozialismus“.

Es war ein schöner Traum. Raus aus der Armut, raus aus dem Rassismus, als Land unabhängig sein. Denen eine Stimme geben, die so lange verachtet wurden: den Indigenen, den Menschen vom Land, den Bauern und Bäuerinnen und den Armen. Eine Weile ging der Traum auf, dem Boom beim Gaspreis sei dank.

Vielleicht ist die Partei an ihrem eigenen Erfolg erstickt. An ihren Zwei-Drittel-Mehrheiten, mit denen sie durchregierte und die Justiz immer mehr zu ihrem Werkzeug machte. An ihrem Gründer Evo Morales, der erste indigene Präsident Boliviens, dessen autoritäre Züge immer deutlicher wurden. Der einfach immer weiter Präsident bleiben wollte, die Verfassung dafür mit Hilfe der gleichgeschalteten Justiz nach Gusto umbaute. Und dann die komplette Selbstzerfleischung der Partei, weil Morales keine weiteren oder neuen Götter neben sich duldete.

Es ist verständlich, dass die Bo­li­via­ne­r:in­nen die Partei für den katastrophalen Zustand ihres Landes verantwortlich machen, für die schlimmste Krise in 40 Jahren. Wen denn sonst, bei 20 Jahren Dominanz?

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Die war der Nährboden für Korruption und Misswirtschaft. Parteizugehörigkeit zählte natürlich mehr als Qualifikation. Die Staatsbetriebe waren Millionengräber. Die Sozialprogramme waren nicht nachhaltig. 80 Prozent der Bo­li­via­ne­r*in­nen arbeiten heute im informellen Sektor, in der brutalsten Form des Kapitalismus, ohne jegliche soziale Absicherung.

Der sogenannte Sozialismus ist in Wahrheit schon lange krasser Neoliberalismus. Der Staat ist, in all seiner bunten multinationalen Symbolik, komplett auf Naturausbeutung ausgerichtet – von den Rohstoffen bis hin zur Landwirtschaft. Davon profitierten die alten und neuen Eliten – auf Kosten derer, die den Traum einst träumten: Indigene und Landbevölkerung, deren Wälder für Sojafelder abgebrannt wurden, durch deren Land Straßen gebaut wurden, deren Flüsse und Böden vom Goldabbau vergiftet wurden. Auf die Idee, neue, nachhaltige Wirtschaftszweige aufzubauen, die Wirtschaft zu diversifizieren, kam die sozialistische Langzeitregierung nicht.

Das Bittere ist: Nur weil Indigene Frauen heute Ministerämter ausüben können, ist der Rassismus nicht vorbei. Und daran, dass Naturausbeutung Boliviens Zukunft ist, glauben nicht nur die Linken in Bolivien.

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Katharina Wojczenko
Freie Korrespondentin
stammt aus dem Bayerischen Wald und berichtet seit 2017 überwiegend aus Kolumbien. Sie ist Mitglied des Reporterinnen-Teams von #tazFolgtDemWasser und Mitgründerin des Magazins „Südamerika+Reporterinnen“ auf der genossenschaftlichen Journalismus-Plattform-„RiffReporter“.
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23 Kommentare

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  • "Der sogenannte Sozialismus ist in Wahrheit schon lange krasser Neoliberalismus. Der Staat ist, in all seiner bunten multinationalen Symbolik, komplett auf Naturausbeutung ausgerichtet – von den Rohstoffen bis hin zur Landwirtschaft. Davon profitierten die alten und neuen Eliten – auf Kosten derer, die den Traum einst träumten"



    Das ist eine punktgenaue Beschreibung. Aber nicht Boliviens, sondern aller Länder, die jemals eine sozialistische Regierung hatten - und sei es nur, dass die Regierung sich selbst als sozialistisch titulierte.



    Der Sozialismus ist leider, aber tatsächlich, immer noch der Welt den Beweis schuldig, dass er funktioniert.



    Alle die sich daran versuchten, Stichwort im Artikel, "die den Traum einst träumten", landeten am Ende nie wirklich oben an der Macht, stattdessen eben wie es der Artikel benennt immer "alte und neue Eliten", die sich die Idee bzw das Branding Sozialismus vor ihren Karren spannten - aber dann zu ihrem eigenen Profit teils bis zur Unkenntlichkeit umformten.



    Der Sozialismus scheiterte bisher noch jedes Mal an der Gier Einzelner - und ich habe große Zweifel, dass das jemals anders wird.

  • So ein paar Sachen habe ich bei den Bolivianern auch nicht verstanden, wozu z.b. subventioniertes Benzin, damit die Armen ohne Auto sich das Feuerzeug füllen können?

    • Katharina Wojczenko , Autorin des Artikels, Freie Korrespondentin
      @Axel Schäfer:

      Die Armen profitieren davon, weil die Busse mit subventioniertem Benzin/Diesel fahren und die Transportkosten für Lebensmittel damit bezuschusst werden. Aber ja, das gilt genauso für die Reichen mit den Riesenschlitten und Agrobusiness.

  • Man kann jetzt sagen: Selber schuld liebe Linke. Ihr habt nicht geliefert, darum wählen die Leute jetzt rechts.

    Genauso kann man sagen: Selber schuld liebe BolivianierInnen. Ihr habt rechts gewählt, also wird euer Land jetzt an ein paar Reiche verkauft und ein großer Teil eurer Bevölkerung wird in die Armut und Existenzkrise abrutschen, während Umwelt und sozialer Zusammenhalt komplett zerlegt werden.

    Es ist hinlänglich bekannt, was rechte Regierungen in Südamerika und sonst überall auf der Welt mit den Ländern machen: gesellschaftlich spalten, alles von Wert privatisieren, Armut verschärfen (meist passiv, durch Umverteilung des Reichtums hin zu den großen Vermögen) und die Umwelt dabei opfern.

    Wer das toll findet, kann jetzt natürlich feiern.

  • Ich bin mir nicht sicher, ob Formulierungen wie „der Traum ist aus“ nicht eher auf eine Fehlwahrnehmung bolivianischer Verhältnisse (und vielleicht insgesamt auf ein problematisches Verständnis linker Politik) schließen lassen. Damit will ich die Verdienste des MAS nicht schmälern – sowohl die Verfassungsreform als auch Armutsbekämpfung waren wichtige Schritte. Man sollte damit aber keine Heilserwartung verbinden: in Bolivien wurde eine sozialdemokratische Regierung abgewählt, die nach 20 Jahren an der Macht zerstritten und von einer Wirtschaftskrise überfordert war. Eine demokratische Linke muss damit leben, dass sie auch Wahlen verliert. Das ist ein Anlass zum Nachdenken, aber nicht zur Verzweiflung.

  • "Der Traum ist aus"



    Seh' ich nicht so. Ein wesentliches Merkmal aller bisherigen "Sozialismusversuche" ist, dass es, wenn es nicht allen gut geht, wenigstens (fast) allen gleichmäßig schlecht geht. Also Ziel fast erreicht, zumindest ist mir kein anderes Modell bekannt.

  • Ich finde den Artikel gut. Nur würde ich einen Punkt staerker betonen bezüglich:

    "Auf die Idee, neue, nachhaltige Wirtschaftszweige aufzubauen, die Wirtschaft zu diversifizieren, kam die sozialistische Langzeitregierung nicht."

    Natürlich hatten sie die Idee. Es ist nur einfach verdammt extrem sehr schwierig das in der realen Welt umzusetzen. Rohstoffabbau und Aufbau neuer Kompetenzen müssen wohl länger nebeneinander laufen. Auch wenn man vieles richtig macht, ist der Aufbau neuer Kapazitäten ein langfristiger Prozess. Selbst eine theoretisch erdachte optimale Regierung wird vermutlich nicht die Lebensart von den 100 Aymara schuetzen koennen, die zufaellig in der Naehe von viel Lithium wohnen.



    Australien und Kanada exportieren ja auch Rohstoffe und sind als Staat ziemlich gut organisiert.



    Dann gibt es natürlich die zerstörerische Wirkung von zu viel Macht, die wir bei Trump, Morales und auch Merkel beobachten können. Les gerade das Buch des linken Argentiniers Martin Sivak, der sehr lange mit den MAS verbunden war. Echt interessant.

  • "Korruption, Misswirtschaft und Parteizugehörigkeit statt Qualifikation".

    Die Linke zerlegt sich wieder mal selbst. Warum sollten die Menschen auch eine schlechte Kopie wählen anstatt das Original? Ob hier oder in Südamerika.

    • @BrendanB:

      Parteizugehörigkeit statt Qualifikation zählt auch in unserer aktuellen Bundesregierung. Misswirtschaft ist dann nur eine Folge, Korruption ebenfalls. Wo liegt also der Fehler?

      • @Minion68:

        Wie ich sehr deutlich schrieb:

        "Warum sollten die Menschen auch eine schlechte Kopie wählen anstatt das Original?"

        Big Business, Vettern- und Günstlingswirtschaft, Korruption, Kadavergehorsam, Antisemitismus, Ideologie vor Sachargumenten - von den Rechten bis Rechtsextremen erwartet niemand ernsthaft etwas anderes.

        Von denjenigen, die sich "Links" nennen, hingegen schon. Wenn sich "Linke" Parteien mit o.g. Attributen selbst zerlegen, wählen Menschen eben lieber das Original. Was ist daran so schwer zu verstehen?

    • @BrendanB:

      Nicht nur die Linke. Ich hätte da ein super-Beispiel auf Seiten der Milei-Klatscher, aber ich halte da meine Klappe.

  • "Der sogenannte Sozialismus ist in Wahrheit schon lange krasser Neoliberalismus."

    Es ist wohl das größte Klischee, dass nach jedem Scheitern des Sozialismus die Sozialisten sagen: Das war kein Sozialismus! Stimmt sogar auch fast immer. Es scheint fast so, als sei es im Sozialismus unausweichlich, dass dieser zu einem autoritären, korrupten, geradezu faschistischen Unrechtsstaat degeneriert.

    • @mm83:

      Nun gibt es an der Regierungstätigkeit des MAS in den letzten Jahren sicher einiges zu kritisieren, aber die Vorstellung, Bolivien wäre „zu einem autoritären, korrupten, geradezu faschistischen Unrechtsstaat degeneriert“ ist denkbar realitätsfern. Man kann über die Erfolge und Misserfolge bolivianischer Politik diskutieren, ohne die Phraseologie des Kalten Krieges auszupacken. Hier wurde eine sozialdemokratische Regierung, die auf demokratischem Wege ins Amt gekommen ist, auf eben solchem wieder abgewählt. Das soll sogar in Europa ab und an passieren…

  • Gibt es denn von irgendwann und/oder irgendwoher ein Beispiel, dass sozialistische Politik prosperierende Wirtschaft provozierte? Wie lange sozialistische Experimente währen hängt ab a) vom vorhandenen Wohlstand, der aufgezehrt werden kann; b) von der Duldsamkeit der Bevölkerung; c) von der Brutalität des Regimes.

    • @Holger Westermann:

      Beispiele sind China und Vietnam.

  • Gibt es eine erfolgreiche linke Regierung die ein Land prosperierend für 30-40 Jahre regiert hat? Nur eins?

    • @Franz Tom:

      In welchem Demokratischen Land konnte sich denn bitte je eine Regierung 30-40 Jahre an der Macht halten?

  • Leider musste ich mich während meines Lebens immer wieder fragen, in welchem Land der Sozialismus denn überhaupt einmal funktioniert hat. Vielleicht kann mich hier jemand mal etwas aufbauen und mir ein gelungenes Beispiel nennen ? Vorab schon mal vielen Dank dafür :-)

    • @Nicolai Nikitin:

      Hat er nie und wird er auch nicht. Die mantrahaften Erlösungsversprechen, alles was schlecht ist, ginge auf den Kapitalismus zurück und man müsse nur den Sozialismus einführen, dann würde alles gut, ist nichts als eine leere Phrase. Und sie ist schon lange nicht mehr progressiv, eher sogar ewiggestrig. Sonst würde man nicht ständig aus alten theoretischen Werken zitieren müssen.



      In einer globalisierten Welt mit globalen Problemen ist es nahezu religiös zu behaupten, ein nationaler Systemwechsel könne eine demokratische, freie, diverse Gesellschaft erschaffen, die ohne die ganzen Probleme und Häßlichkeiten des real existierenden Sozialismus auskommt.



      Das ist keine Stück ehrlicher und realistischer, als zu behaupten, ein komplett ungezügelter Marktliberalismus könne die Zukunft sein.

    • @Nicolai Nikitin:

      Die Volksrepublik China wird von der KP in Einklang mit den Theorien von Karl Marx geführt. Durchaus erfolgreich, wie man so hört. Ist aber natürlich vielen auch wieder nicht recht. Die Geschichtsforschung wird das in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten besser bewerten können. Das letzte Wort über den Sozialismus ist jedenfalls noch nicht gesprochen.

  • "Der sogenannte Sozialismus ist in Wahrheit schon lange krasser Neoliberalismus." Diesen Satz werde ich mir merken.

    • @Aurego:

      Immer gegen die Soziale Marktwirtschaft….

      • @Andi S:

        Ja, sowohl Neoliberalismus als auch Sozialismus haben etwas gegen die Soziale Marktwirtschaft.