Wahlen in Bolivien: Der Traum ist aus
Durch Misswirtschaft hat sich Boliviens Linke selbst zerstört. Dass sie es nicht in die Stichwahl schafft, hat sie sich selbst zuzuschreiben.

D ie Bolivianer*innen haben die langjährige linke Regierungspartei abgewatscht. Egal ob der Christdemokrat Rodrigo Paz oder der Rechtskonservative Jorge „Tuto“ Quiroga, jahrzehntelanger Gegner der linken Partei MAS, die Präsidentschaftswahl am Ende gewinnen: Es ist vorbei mit mehr als 20 Jahren Herrschaft der „Bewegung für den Sozialismus“.
Es war ein schöner Traum. Raus aus der Armut, raus aus dem Rassismus, als Land unabhängig sein. Denen eine Stimme geben, die so lange verachtet wurden: den Indigenen, den Menschen vom Land, den Bauern und Bäuerinnen und den Armen. Eine Weile ging der Traum auf, dem Boom beim Gaspreis sei dank.
Vielleicht ist die Partei an ihrem eigenen Erfolg erstickt. An ihren Zwei-Drittel-Mehrheiten, mit denen sie durchregierte und die Justiz immer mehr zu ihrem Werkzeug machte. An ihrem Gründer Evo Morales, der erste indigene Präsident Boliviens, dessen autoritäre Züge immer deutlicher wurden. Der einfach immer weiter Präsident bleiben wollte, die Verfassung dafür mit Hilfe der gleichgeschalteten Justiz nach Gusto umbaute. Und dann die komplette Selbstzerfleischung der Partei, weil Morales keine weiteren oder neuen Götter neben sich duldete.
Es ist verständlich, dass die Bolivianer:innen die Partei für den katastrophalen Zustand ihres Landes verantwortlich machen, für die schlimmste Krise in 40 Jahren. Wen denn sonst, bei 20 Jahren Dominanz?

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Die war der Nährboden für Korruption und Misswirtschaft. Parteizugehörigkeit zählte natürlich mehr als Qualifikation. Die Staatsbetriebe waren Millionengräber. Die Sozialprogramme waren nicht nachhaltig. 80 Prozent der Bolivianer*innen arbeiten heute im informellen Sektor, in der brutalsten Form des Kapitalismus, ohne jegliche soziale Absicherung.
Der sogenannte Sozialismus ist in Wahrheit schon lange krasser Neoliberalismus. Der Staat ist, in all seiner bunten multinationalen Symbolik, komplett auf Naturausbeutung ausgerichtet – von den Rohstoffen bis hin zur Landwirtschaft. Davon profitierten die alten und neuen Eliten – auf Kosten derer, die den Traum einst träumten: Indigene und Landbevölkerung, deren Wälder für Sojafelder abgebrannt wurden, durch deren Land Straßen gebaut wurden, deren Flüsse und Böden vom Goldabbau vergiftet wurden. Auf die Idee, neue, nachhaltige Wirtschaftszweige aufzubauen, die Wirtschaft zu diversifizieren, kam die sozialistische Langzeitregierung nicht.
Das Bittere ist: Nur weil Indigene Frauen heute Ministerämter ausüben können, ist der Rassismus nicht vorbei. Und daran, dass Naturausbeutung Boliviens Zukunft ist, glauben nicht nur die Linken in Bolivien.
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