Wahl in Großbritannien: Johnson triumphiert, Corbyn geht
Die regierenden Konservativen räumen bei der Wahl ab. Labour rutscht auf das schlechteste Ergebnis seit mehr als 80 Jahren.
In Prozentzahlen lagen die Konservativen bei über 45 Prozent, Labour bei rund 33 Prozent. Gegenüber den Wahlen 2017 haben die Konservativen voraussichtlich 46 Sitze und 3 Prozentpunkte zugelegt, während Labour 59 Sitze und 7 Prozentpunkte verliert.
„Ein mächtiges neues Mandat“ nannte das Premierminister Boris Johnson in der Wahlnacht in seinem Wahlkreis Uxbridge & Ruislip South am westlichen Rand von London, wo er entgegen den meisten Prognosen seine Mehrheit ausgebaut hatte. Er sprach von einer „historischen“ Wahl und einer „Gelegenheit, den demokratischen Willen des britischen Volkes zu respektieren“, also den Brexit zu vollenden und dann „dieses Land zum Besseren zu verändern“.
Labour-Führer Jeremy Corbyn kündigte in seinem Londoner Wahlkreis Islington North, den er zum zehnten Mal hintereinander mit deutlicher Mehrheit gewann, seinen Rücktritt als Parteichef an, allerdings noch nicht sofort. Die Partei brauche einen „Prozess der Reflexion“ und so lange werde er sie noch weiter führen, sagte Corbyn. Zahlreiche Labour-Politiker forderten ihn allerdings zum schnelleren Rückzug auf. Bei Labour tobt bereits die Debatte über die Gründe der schwersten Niederlage der Parteigeschichte und ob es an Corbyns Linie insgesamt oder bloß am Brexit liegt.
Für den Brexit und gegen Corbyn
Die Konservativen holten dutzende traditionelle Labour-Wahlkreise im Norden und in der Mitte des Landes. Als Grund nannten Analysten und Abgeordnete einhellig den Zustrom von Brexit-Unterstützern, die mit Labours uneindeutiger Haltung zum EU-Austritt nichts anfangen konnten und Johnsons Wahlkampfparole „Get Brexit Done“ begrüßten, sowie eine verbreitete Ablehnung Corbyns in der nordenglischen Arbeiterschaft. Vielerorts legten die Konservativen kaum zu, aber die Brexit Party von Nigel Farage, die keinen einzigen Wahlkreis holte, saugte nach eigener Einschätzung viele Labour-Stimmen ab.
Weiterer Sieger der Wahlen sind die schottischen Nationalisten. Die Scottish National Party (SNP) legte deutlich auf rund 45 Prozent der Stimmen zu und konnte mit 48 der 59 schottischen Wahlkreise rechnen, vor allem zulasten Labours. SNP-Chefin Nicola Sturgeon erklärte dies in der Nacht zu einem Mandat für ein neues schottisches Unabhängigkeitsreferendum nach dem von 2014. „Ich akzeptiere widerwillig, dass Boris Johnson das Mandat hat, England aus der EU zu führen“, sagte sie, „aber genauso muss er akzeptieren, dass Schottland über seine Zukunft selbst entscheidet.“ Johnson habe „kein Mandat, Schottland aus der EU zu führen“. Damit ist eine Konfrontation zwischen der SNP-geführten Regionalregierung Schottlands und der britischen Regierung programmiert, denn die Konservativen lehnen derzeit ein zweites Schottland-Referendum klar ab.
Nicht nur Schottland wählte anders als der britische Gesamttrend, sondern auch London. Dort holten die Konservativen zwar mehrere Wahlkreise, verloren aber auch welche an Labour und die Liberaldemokraten – ein Erfolg der intensiven Kampagne von Brexit-Gegnern, per „taktisches Wahlverhalten“ den jeweils aussichtsreichsten Gegenkandidaten der Konservativen zu unterstützen. Aber diese Entwicklung blieb sehr begrenzt.
Doch insgesamt blieben die Liberaldemokraten glücklos. Ihre Parteichefin Jo Swinson ist das prominenteste Opfer des SNP-Siegeszugs – sie verlor ihren schottischen Wahlkreis ganz knapp. Die liberalen EU-Befürworter konnten aus ihrer Anti-Brexit-Haltung keinen Erfolg ziehen und sollten mit 12 Mandaten noch unter ihrem schlechten Ergebnis von 2017 liegen. Alle Überläufer aus anderen Parteien, die seitdem zu ihnen gestoßen waren, scheiterten beim Versuch, jetzt als Liberaldemokraten erneut ins Parlament gewählt zu werden.
Swinson hat bereits ihren Rücktritt bekanntgegeben. Nach der Wahlniederlage sagte sie, nun würden manche „die Welle des Nationalismus auf beiden Seiten der (englisch-schottischen) Grenze feiern“, aber das Gesamtergebnis bedeute „Furcht und Niedergeschlagenheit für Millionen“. Von „riesiger Trauer und tiefer Wut“ sprach auch die einzige Grüne im Parlament, Carlone Lucas, die ihre Mehrheit im Wahlkreis Brighton Pavilion ausbaute.
Ein weiterer prominenter Kopf, der nicht mehr im Parlament sitzen wird, ist Nigel Dodds, Fraktionsführer der nordirischen Unionistenpartei DUP (Democratic Unionist Party). Taktisches Wahlverhalten in Nordirland nahm der DUP zwei ihrer zehn Sitze, während die überkonfessionelle nordirische „Alliance Party“ ins britische Unterhaus einzieht.
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