Volksfest fürs Grundgesetz in Berlin: Punktlandung im Banalen
Beim Berliner Bürgerfest ist Grundkonsens: Die Demokratie ist zwar ein bisschen in Gefahr, aber das kriegen wir hin. Dabei gäbe es Gesprächsbedarf.
E ndlich gibt es in Deutschland mal wieder was zu feiern. Schluss mit der ewigen Miesepetrigkeit, der fiesen Regierungskritik und dem Gerede von immerharten Zeiten. Heute können wir uns auf die Schultern klopfen, heute wird auf den Putz gehauen! Und nein, dabei geht es einmal nicht um Fußball. Jedenfalls nicht nur.
Am Spreeufer vor dem Bundestag drängen sich am Wochenende zwischen Zuckerwatte-Ständen, Glücksrädern und Infozelten zahlreiche Besucher:innen beim „Fest der Demokratie“, das zum Anlass des 75. Geburtstags des Grundgesetzes stattfand. So weit, so einschläfernd (immerhin bestückten zahlreiche „Coffee Bikes“ das Gelände, um dieser Wirkung etwas entgegenzusetzen).
Doch die Attraktionen überbieten sich gegenseitig: Im Bürgerdialog kann man mit Robert Habeck, Bärbel Bas und sogar Olaf Scholz plaudern, auf einer Bühne im Bundestag ist Oppositionsführer Merz zu hören, und draußen lauschen Menschen bei wunderschönem Sonnenschein einer mittelmäßigen Performance von „Wonderwall“. Bier, Bratwurst und allgemeines Selbstlob stehen auf der Tagesordnung. Der Grundkonsens bei Redner:innen und Besucher:innen scheint: Alles super so weit, die Demokratie ist zwar ein bisschen in Gefahr, kriegen wir aber schon – gemeinsam – hin.
„Gemeinsam“, „Einheit“, „Wir“: schöne Buzzwords, die zahlreiche Stände, Plakate und Gratiskulis auf dem Fest zieren. Auch sonst sind sie in Mode: Eines der Worte musste als Titel für das kürzlich erschienene Buch von Bundespräsident Steinmeier herhalten, andere bestücken Wahlplakate. Und doch fehlt das „gemeinsam“ dort, wo es wichtig gewesen wäre: Nach dem Mauerfall 1989 entschied man sich gegen die Erarbeitung einer neuen gemeinsamen Verfassung von Ost und West, obwohl das Grundgesetz – im Wiedervereinigungsartikel 146 – eine Möglichkeit dafür bot. Stattdessen blieb man bei der Verfassung, die sich schon in der Bundesrepublik bewährt hatte. So wenig wie möglich wollte man für Westdeutsche bei der Wiedervereinigung wohl verändern.
Tischkickern statt Perspektive
Diese Entscheidung wirkt bis heute nach. In einem der Festzelte erzählen drei junge Frauen, die für verschiedene ostdeutsche Initiativen tätig sind, dass viele Ostdeutsche sich auch heute, 35 Jahre nach der Wende, nicht zugehörig fühlen würden. Die Entscheidung, ostdeutsche Perspektiven nicht in die deutsche Verfassung einzubeziehen, sei ein Grund dafür.
Eine Gruppe von Rentner:innen aus Lippstadt genießt die Sonne. Auch sie sehen die damalige Entscheidung kritisch. Auf Nachfrage erzählen sie, dass man von dieser Perspektive auf dem „Fest der Demokratie“ vor lauter Eis am Stiel und Tischkickern kaum etwas mitkriege. Immerhin: „Sächsische Spargel-Kartoffel-Suppe“ und „Bier-Chili con Chemnitz“ werden hier für 7,50 Euro aus einer Bude verkauft. Darüber hinaus verschwinden ostdeutsche Perspektiven, bis auf pflichtbewusste Bekundungen à la: „das ist die Verfassung aller Deutscher“ auf der Veranstaltung eher im Hintergrund.
Als Nächstes geht es zum Polaroids schießen, denn so kann man an einem der Stände ganz einfach „Gesicht zeigen für Demokratie“. Nach getaner Arbeit schlendern die Retter:innen der Demokratie Eis schleckend und gut gelaunt weiter. Auf die Anmerkung, dass die Verbreitung demokratiegefährdender Einstellung in Deutschland zwischen 2018 und 2023 stark gestiegen ist, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nahelegt, folgen ernstes Nicken und Ratlosigkeit. Nun ja, egal. Weiter geht es zur Tischtennisplatte, die Laune will man sich nicht verderben lassen.
Hat Justizminister Marco Buschmann etwa recht, wenn er sich mehr „Verfassungspatriotismus“ wünscht, wie kürzlich in einem Interview mit der Rheinischen Post geschehen? Der Patriotismus, den ein Großteil der Besucher:innen an den Tag legt, gilt scheinbar eher dem favorisierten Fußballverein, zahlreiche Leverkusen- und Kaiserslautern-Fans schlagen die Zeit bis zum abendlichen DFB-Pokalfinale hier tot. Auf die auf einer Tafel gestellte Frage „Wenn ich Ministerpräsident:in von Brandenburg wäre, dann würde ich …“ folgen entsprechend Antworten wie „Leverkusen zum Meister machen“ (ob das auch dabei helfen kann, die AfD, die in Brandenburg laut aktueller Umfragen bei rund 25 Prozent liegt, einzudämmen?).
Fressbuden, Früchtebowl, Musik und Kindertheater ziehen immerhin recht viele interessierte Gäste an. Wer wird beim Knoblauchbrot von Knobi Bobby nicht schwach und ganz nebenbei vielleicht ein bisschen verfassungspatriotisch? Damit die Deutschen aber nicht zu feierwütig werden – bei der Performance von „Blinded by the Lights“, die die Polizeikapelle hinlegte, wippten einige gar wild hin und her – machte Justizminister Buschmann schon einmal klar: Ein weiterer gesetzlicher Feiertag passe wirtschaftlich nicht in die Zeit. Für das Abfeiern der Verfassung muss das dreitägige Demokratiefest wohl reichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten