Verschärfungen beim Bürgergeld: Sparen bei den Ärmsten
Härtere Sanktionen, längere Arbeitswege, mehr 1-Euro-Jobs: Welche Regeln will die Bundesregierung beim Bürgergeld ändern?
Wer bezieht Bürgergeld?
Im Februar haben rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld bezogen. Rund 1,5 Millionen von ihnen sind Kinder unter 15 Jahren. Von den verbleibenden rund 4 Millionen Menschen stehen mehr als die Hälfte, rund 2,3 Millionen Menschen, dem Arbeitsmarkt nicht oder nur bedingt zur Verfügung. Sie sind in Ausbildung, studieren, erziehen Kinder, pflegen Angehörige, sind arbeitsunfähig, nehmen an arbeitspolitischen Maßnahmen teil oder sie arbeiten, aber ihr Lohn reicht zum Leben nicht aus – sie stocken mit dem Bürgergeld auf. Die verbleibenden rund 1,8 Millionen Bürgergeldempfänger*innen könnten theoretisch arbeiten.
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Wie viele Menschen lehnen zumutbare Arbeit ab?
Jobcenter haben im vergangenen Jahr nur sehr wenige Bürgergeldempfänger*innen sanktioniert, weil sie zumutbare Arbeit, eine Ausbildung oder Maßnahme ablehnten. Grundsätzlich gilt: 2023 wurden 97 von 100 Bürgergeldempfänger*innen nicht sanktioniert. In 84,5 Prozent der Sanktionsfälle von Februar bis Dezember 2023 hat das Arbeitsamt die Leistungen gekürzt, weil Bürgergeldempfänger*innen Termine ohne triftigen Grund nicht wahrnahmen. Nur in rund 16.000 Fällen wurden Leistungsberechtigte sanktioniert, weil sie sich weigerten, eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen.
Welche Sanktionsverschärfungen sind geplant?
Wenn Bürgergeldempfänger*innen zumutbare Arbeit ablehnen, werden sie bislang schrittweise sanktioniert. Lehnen sie eine zumutbare Tätigkeit einmal ab, werden die Leistungen für einen Monat um 10 Prozent gekürzt, in einem zweiten Fall für zwei Monate um 20 und bei jedem weiteren Verstoß für drei Monate um 30 Prozent gekürzt. Bereits seit März gilt: Wer dauerhaft Arbeitsangebote ablehnt, dem werden für zwei Monate sämtliche Leistungen gestrichen. Kosten für Unterkunft und Heizung sind von der Kürzung ausgenommen. Nun will die Bundesregierung die Sanktionen nochmals verschärfen: Lehnen Bürgergeldempfänger*innen eine zumutbare Arbeit ab, sollen ihnen die Leistungen sofort für drei Monate um 30 Prozent gekürzt werden.
Darüber hinaus will die Ampelkoalition Schwarzarbeit von Bürgergeldbeziehern stärker bekämpfen und die Karenzzeit beim Schonvermögen von einem Jahr auf ein halbes Jahr verkürzen. Derzeit darf eine Person im Bürgergeldbezug 12 Monate lang 40.000 Euro besitzen, für jede weitere Person im Haushalt sind es weitere 15.000 Euro.
Was bringen Sanktionen?
Der Ruf nach mehr Härte wird meist damit begründet, dass damit mehr Arbeitsanreize geschaffen werden. „Verschiedene Studien belegen, dass Sanktionen kurzfristig dafür sorgen, dass Menschen schneller eine Arbeit aufnehmen“, sagt Joachim Wolff, Leiter des Forschungsbereichs Grundsicherung und Aktivierung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der wochentaz. Dennoch haben sie längerfristig auch negative Effekte. Eine IAB-Studie von 2021 kam zu dem Ergebnis, dass rund fünf Jahre nach der Sanktionierung die Beschäftigungsqualität bei Sanktionierten geringer ist als bei nicht Sanktionierten. „Es besteht also die Gefahr, dass Sanktionen Menschen dazu verleiten, Arbeit unter ihrem Qualifikationsniveau anzunehmen“, sagt Wolff. Das könne für die Betroffenen langfristige Lohneinbußen bedeuten. Auch die Beschäftigungswahrscheinlichkeit bei Sanktionierten fiel geringer aus: Vier Jahre nach der Sanktion lag sie laut Studie für Männer um 3,5 Prozent und für Frauen um 5 Prozent niedriger. Eine Langzeitstudie, die der Verein Sanktionsfrei in Auftrag gegeben hat, belegt zudem, dass Bestrafungen demotivierend wirken und Menschen krank machen.
Wie relevant ist die Frage des Arbeitsweges?
Bereits jetzt gelten zweieinhalb Stunden Arbeitsweg (für Hin- und Rückweg) für eine Arbeitszeit von mindestens sechs Stunden als „zumutbar“. Dabei gilt die Zeit für das jeweilige Verkehrsmittel, das einer Person zur Verfügung steht. Die Bundesregierung schlägt vor, dass künftig ein Arbeitsweg von insgesamt drei Stunden als zumutbar gelten soll. Dass diese Änderung einen nennenswerten Effekt haben wird, erscheint unwahrscheinlich. Es gibt viele Gründe, weshalb Menschen keine Arbeit finden. Dass sie keine Stelle in der Nähe ihres Wohnorts finden, ist nur einer von vielen. Laut dem IAB gibt es unter den Leistungsberechtigten zum Beispiel viele, die zwar formal als erwerbsfähig gelten, dies aber aus gesundheitlichen Gründen allenfalls nur sehr eingeschränkt sind. Weitere Hemmnisse sind etwa ein höheres Alter, fehlende Berufsabschlüsse, schlechte Deutschkenntnisse oder Langzeitarbeitslosigkeit.
Bürgergeldempfänger*innen in 1-Euro-Jobs bringen – was bringt das?
Die Billig-Job-Idee für Erwerbslose wurde unter Rot-Grün im Jahr 2005 im Zuge der Hartz-Reformen eingeführt – und sie ist bis heute umstritten. Während Kritiker*innen die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Jobs befürchten, sehen Befürworter*innen darin eine Möglichkeit, Menschen wieder an Arbeit heranzuführen. Die Bundesregierung möchte die 1-Euro-Jobs nun verstärkt einsetzen bei Personen, „die sich Maßnahmen immer wieder verweigern (Totalverweigerer)“.
Diesen Begriff würde Joachim Wolff vom IAB „am liebsten total verweigern“. Ihm sei nicht klar, „welche Gruppe damit dargestellt werden soll“. Aus der Forschung wisse man, dass 1-Euro-Jobs „hilfreich sein können bei Menschen, die kaum Arbeitsmöglichkeiten haben und schon lange erwerbslos sind“, sagt er der wochentaz. Für andere Personengruppen würden sie sich im Schnitt „eher nachteilig auswirken oder keine Effekte erzielen“.
Mit wie viel Einsparpotential wird durch Änderungen beim Bürgergeld gerechnet?
Das ist unklar. Der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2025 und der Finanzplan bis 2028 werde „nun erarbeitet und voraussichtlich Mitte Juli ins Kabinett eingebracht“, heißt es aus dem Finanzministerium. Bis dahin äußere man sich nicht zu Einzelplänen.
Was bleibt vom Bürgergeld?
Mit der Einführung des Bürgergeldes sollte der Abschied von Hartz IV eingeläutet werden: Weniger Bestrafung, mehr Qualifizierung und Begegnung auf Augenhöhe. Mit der Rückkehr zu härteren Sanktionen und weniger Schonfristen, ist eine klare Abkehr von diesem Ansatz zu erkennen.
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