Verhältnis von Union und AfD: „Ich muss um diese Menschen kämpfen“
CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sieht Deutschland in einer Staatskrise. Und er zeigt Verständnis für Wähler der AfD.
taz: Herr Holetschek, ein Graben geht durch Deutschland, das Land spaltet sich immer mehr. Was tun?
Klaus Holetschek: Die Polarisierung der Gesellschaft ist leider unverkennbar. Die Bauernproteste der vergangenen Woche waren symptomatisch für die Stimmung bei vielen Menschen. Natürlich ging es da zunächst um die Besteuerung des Agrardiesels. Aber es ging auch insgesamt um das verlorene Vertrauen der Landwirte in die Politik. Man muss schon festhalten, dass die Ampel einen gehörigen Anteil daran hat: Die Vorlage von unausgegorenen Gesetzeskompromissen, die dann innerhalb kürzester Zeit von mindestens einem Koalitionspartner wieder torpediert werden, sorgt für große Verunsicherung. Beim Heizungsgesetz war es ja nicht anders. Das führt dazu, dass die Gesellschaft ein Stück weit auseinanderfällt. Dazu kommt, dass der eine oder andere Graben aus der Coronazeit noch immer offen ist. Stichwort: Querdenker. Letztendlich gibt es nur eines, was die Gesellschaft wieder versöhnen kann: eine gute Politik, die wieder Vertrauen weckt.
An der Spaltung der Gesellschaft hat die CSU aber maßgeblich mitgearbeitet. Man denke nur an den Landtagswahlkampf im vergangenen Jahr.
Das sehe ich anders. Wir haben im Wahlkampf sehr deutlich gezeigt, wo wir andere Positionen haben als die Ampel. Und dazu gehört, dass man im Bierzelt auch mal etwas zuspitzt. Die Leute wollen ja wissen, wofür wir stehen.
Klaus Holetschek, 59, ist seit Oktober 2023 Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Ab Montag lädt er zur Klausurtagung ins Kloster Banz.
Die CSU hat den Wahlkampf regelrecht zum Kulturkampf gemacht. Da ging es ja nur noch um eine vermeintliche Zwangsveganisierung oder angebliche Gendergebote.
Vor allem ging es uns um den grundsätzlichen Blick auf das Leben. Die Frage ist doch: Was braucht unsere Gesellschaft, wie können wir die Probleme der Menschen lösen? Das fängt bei kleinen Dingen an, bei der überbordenden Bürokratie oder dem Fiebersaft, den man in der Apotheke nicht mehr bekommt. Oder der Frage, warum kein Zug mehr fährt, wenn es einmal schneit. Die Menschen sind besorgt und fragen sich inzwischen, ob unser Staat noch funktioniert.
Ihr Parteichef Markus Söder ist da besonders besorgt. Er spricht in letzter Zeit oft von einer von der Ampel verursachten Staatskrise. In seiner Neujahrsansprache stellte er sie sogar in eine Reihe mit der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und dem Terror in Israel. Das kann ja wohl kaum als kleine Zuspitzung durchgehen.
Es ist doch nun mal so: Wir hatten in den letzten Jahren verschiedene Ereignisse, die sehr prägend waren. Und da gehört die Situation, in der wir in Deutschland gerade sind, dazu. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum verfassungswidrigen Haushalt hat aus meiner Sicht schon eine Staatskrise ausgelöst.
Aber geht’s nicht eine Nummer kleiner? Der Staat ist doch noch immer handlungsfähig.
Wenn ich draußen bei den Menschen bin, höre ich etwas anderes. Die sind tatsächlich verzweifelt und haben den Eindruck, dass der Staat eben nicht mehr handlungsfähig ist.
Mit Eindrücken zu argumentieren, ist eine heikle Sache.
Aber diese Eindrücke sind ja nicht aus der Luft gegriffen. Ich bleibe dabei: Wir müssen die Probleme der Menschen lösen. Nur so können wir die AfD in ihre Schranken weisen.
Union und Ampel werfen sich gegenseitig vor, die Gesellschaft zu spalten. Wäre es stattdessen nicht einmal Zeit für einen Schulterschluss der Demokraten?
Aber diesen Schulterschluss gibt es doch längst! Wir demokratischen Parteien sind im ständigen Austausch. Ich treffe mich ja auch mit Katharina Schulze und Florian von Brunn, den Fraktionsvorsitzenden von den Grünen und der SPD. Und wir beraten uns zum Beispiel bei der Frage, welche Akzente wir im Kampf gegen Antisemitismus setzen können. Bei solchen Fragen haben wir eine klare Haltung und eine gemeinsame Linie. Wir stehen fest auf unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und lassen daran keine Zweifel. Deswegen kann ich aber doch nicht in der Tagespolitik und bei den großen Themen über fundamentale Unterschiede zwischen uns und den Ampelparteien hinwegsehen. Im Gegenteil: Diese Unterschiede müssen wir sichtbar machen.
Das sollen Sie ja auch. Aber Sie machen die Ampel für den Erfolg der AfD verantwortlich. In einer Demokratie ist doch zunächst mal jeder Wähler selbst für seine Stimme verantwortlich.
Sicherlich. Für die Stimmabgabe ist der Wähler verantwortlich, für die schlechte Stimmung die Ampel.
Niemand kann doch heute noch behaupten, er wüsste nicht, was die AfD für eine Partei ist.
Ich bin ja ganz bei Ihnen, was die Bewertung dieser Partei angeht. Das ist eine rechtsradikale Partei, die gerade auch hier in Bayern voll auf dem völkischen Kurs von Björn Höcke ist. Aber deshalb ist nicht jeder Wähler rechtsradikal. Sondern es sind Wähler, die aus Protest, aus Verärgerung über die politische Situation sagen: Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, jetzt wähle ich eine andere Partei. Das muss ich nicht gutheißen, aber das muss ich als Politiker ernst nehmen. Ich muss um diese Menschen kämpfen, ich kann sie doch nicht allesamt als rechtsextrem abschreiben. Ich bin überzeugt davon, dass wir einen großen Teil dieser Wähler wieder zurück ins demokratische Spektrum holen können, wenn wir ihre Sorgen ernst nehmen und dafür Lösungen anbieten. Bei der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Kloster Seeon war gerade der dänische Migrationsminister Kaare Dybvad Bek zu Gast, ein Sozialdemokrat übrigens. Er hat dargestellt, wie schnell in Dänemark das Wählerpotenzial der Rechtsextremen von 20 auf 5 Prozent abgeschmolzen ist, nachdem man dort das Migrationsthema angepackt hat.
Ihr Unionsfreund Daniel Günther arbeitet mit den Grünen zusammen – und das meist geräuschloser als Sie mit Hubert Aiwanger. Die AfD ist dort aus dem Landtag geflogen. Wie macht Günther das?
Das müssen Sie ihn selber fragen.
Aber klingt das nicht attraktiv für Sie?
Ich glaube nicht, dass es da ein Patentrezept gibt. Wir haben ja in Deutschland die unterschiedlichsten Modelle. Ich möchte das schleswig-holsteinische Modell nicht bewerten. Aber für Bayern halte ich es nicht für geeignet. Wir haben hier einen klaren Regierungsauftrag für eine bürgerliche Koalition bekommen, und den führen wir auch aus. Das hat dem Land in den letzten Jahren nicht geschadet und wird ihm auch in Zukunft nicht schaden.
Gleichzeitig haben Sie mit den Freien Wählern einen recht speziellen Koalitionspartner. Ist Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger mit seinen populistischen Parolen nicht eine ständige Belastungsprobe für die Koalition?
Aiwanger ist Parteivorsitzender der Freien Wähler. Deshalb äußert er sich zu vielen Themen. Und ich habe manchmal auch den Eindruck, er wird von den Medien etwas gehypt. Natürlich sind wir nicht mit allem einverstanden, was er sagt. Und das müssen wir dann eben auch von Fall zu Fall deutlich machen. Aber wir sind schließlich immer noch zwei unterschiedliche Parteien. Und schon bei der Europawahl werden wir wieder als Wettbewerber gegeneinander antreten.
In Ihrem Stimmkreis hat der AfD-Mann Christoph Maier, ein strammer Rechtsextremist, 21,1 Prozent der Erststimmen bekommen. Sie kennen die Leute dort besonders gut – wie konnte das passieren?
Das ist schwer zu sagen. Es gab beim Wahlergebnis auch innerhalb des Stimmkreises große regionale Unterschiede. Ich denke, dass da viele Protestwähler dabei waren. Und natürlich hat auch das Thema Migration eine Rolle gespielt; gerade in kleineren Orten hat man die Überforderung der Kommunen sehr stark wahrgenommen. Aber ich habe den Stimmkreis mit 38,9 Prozent der Erststimmen klar gewonnen – und das, obwohl ich als damaliger Gesundheitsminister nicht nur populäre Entscheidungen zu vertreten hatte.
Man müsse die AfD inhaltlich stellen, heißt es gern. Ist der Erfolg der Partei wirklich auf inhaltliche Missverständnisse zurückzuführen? Die AfD macht sich doch noch nicht mal die Mühe zu kaschieren, dass sie außer Hass und Hetze nichts zu bieten hat.
Man muss es trotzdem ansprechen. Wenn wir jetzt in die Europawahl gehen, müssen wir schon klarmachen, für welche irren Ideen diese Partei wirklich steht, und darlegen, was für katastrophale Folgen es beispielsweise hätte, wenn wir die EU verließen.
Sie haben Ihre Amtszeit als Fraktionschef gleich mal mit einem Plädoyer für die umstrittene Leitkultur begonnen. Warum?
Für mich ist Leitkultur verbunden mit den unverhandelbaren Werten, für die wir stehen: Toleranz, Freiheit, Rechtsstaat. Und dass sie diese akzeptieren, erwarten wir auch von Menschen, die zu uns kommen. Es wird keiner gezwungen, einen Schweinsbraten zu essen oder eine Mass Bier zu trinken, das ist nicht das Thema. Aber wenn wir jetzt beispielsweise beim Thema Antisemitismus sehen, dass Menschen zu uns kommen, die unsere Werte nicht teilen, müssen wir klare Linien ziehen. Wer auf der Straße antisemitische Parolen skandiert, darf nicht in unserem Land leben und muss sein Glück woanders suchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften