Ungleiche Verteilung von Krisenkosten: Frieren für die Freiheit
Im gegenwärtigen Konflikt ist oft von einem „Wir“ die Rede. Doch die sozialen Folgen des Ukraine-Krieges werden nicht alle gleich treffen.

S kepsis ist immer dann geboten, wenn mächtige Menschen so tun, als hätten sie keine Macht. Wenn sich zum Beispiel Ministerpräsidenten wie der saarländische Tobias Hans (CDU) für Twittervideos vor Tankstellen stellen und die Spritpreise beklagen, die Anfang der Woche die Zwei-Euro-Marke übertroffen haben.
Und Dinge sagen wie: „Ich finde, da ist jetzt wirklich ein Punkt erreicht, wo man sagen muss, da muss man handeln“ oder „Das Problem ist doch einfach, dass sich im Moment der Staat bereichert“.
Wie wenig Ahnung der Staatsmann Hans von Menschen hat, die unter Preiserhöhungen leiden, bewies er dabei, indem er sauber zwischen „Geringverdienern“ und „vielen fleißigen Leuten“ unterschied – weil die Preiserhöhungen „wirklich“ auch letztere träfen. Als ob erstere wegen Faulheit Geringverdiener:innen geworden wären.
Aber gut. Wenn Wahlen anstehen, wie im Saarland in zwei Wochen, dann werden Politiker:innen sehr peinlich. Was nichts daran ändert, dass die Preiserhöhungen echt sind. Und dass sie vor allem solchen Menschen weh tun, die sowieso schon wenig Geld haben.
Wer bezahlt welchen Preis?
Dass die Sanktionen gegen Russland richtig sind, ändert nichts daran, dass diesen Menschen schwere Zeiten bevorstehen. Die Kritik der albernen Twitterselfies vor Tankstellenanzeigen kann die Kritik der ungleichen sozialen Folgen von steigenden Preisen nicht ersetzen.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat schon vor Beginn der russischen Invasion gesagt, Deutschland sei im Falle von Sanktionen gegen Russland „bereit, dafür einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“.
Und der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck findet in der aktuellen Diskussion über einen möglichen Stopp von russischen Energieimporten: „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit. Und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben.“ Aber wer ist „wir“? Wer bezahlt am Ende welchen Preis?
Nur wer ehrlich auf diese Fragen antwortet, kann sich auch aufrichtig mit einer dritten auseinandersetzen: Wie können die Kosten der gegenwärtigen Situation solidarisch verteilt werden?
Kriege sind teuer
Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine macht es leicht, auf der richtigen Seite zu stehen. Die Lage ist eindeutig. Trotzdem ist es verlogen, so zu tun, als gäbe es ein „Wir“ in Deutschland. Was es gibt, sind Menschen mit ausreichend oder noch viel mehr finanziellen Mitteln. Und Menschen mit wenig finanziellen Mitteln.
Entgegen aller „Wir“-Schreierei, die mit Kriegen einhergeht, sind Kriege nicht dafür bekannt, dass sie Ungleichheiten aufheben. Im Gegenteil. Viele freuen sich gerade über die große Einheit, mit der „der Westen“ Putins Aggression begegnet.
Aber Kriege sind teure Angelegenheiten. Und dieser „Westen“ ist nicht gerade dafür bekannt, dass er die Kosten von Krisen fair verteilt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Linke holt mehrere Wahlkreise in Berlin
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“