Unberechenbarer Hubert Aiwanger: Am Rande des Wahnsinns
Er ist der Mann, der Markus Söder schlaflose Nächte bereitet: Hubert Aiwanger. Ohne ihn kann er nicht regieren, und mit ihm ist es eine Qual.
Er spricht davon, dass sich Leistung wieder lohnen muss, von Fehlern im System, überbordender Bürokratie, wettert gegen das geplante Verbrennerverbot der EU und schimpft über deutsche Gelder, die in Radwege in Peru gesteckt würden, wo sie doch in der heimischen Wirtschaft viel dringender gebraucht würden. Immerhin: Von angeblich Hunderten Millionen Euro, die die Radwege die deutsche Steuerzahlerin gekostet hätten, spricht er diesmal nicht. So weit, so harmlos. Die Rede hätte auch von einem beliebigen CSU-Bierzeltredner stammen können – nur dass die wenigsten von ihnen eine halbe Stunde lang völlig frei sprechen könnten.
Aber dann, es geht schon Richtung Ende, bringt Aiwanger doch noch einen echten Aiwanger: Es gebe „Leute im System“, sagt er, „die wollen, dass die kleinen Dorfwirtshäuser schließen, weil sie sagen: Ich will gar nicht mehr, dass da der Stammtisch beieinandersitzt, der miteinander politisiert, sondern ich will dem sagen, was er zu denken hat, über andere Kanäle.“
Wer diese Leute im System sind, sagt Aiwanger, immerhin Bayerns Nummer zwei und somit ganz oben im System, nicht. Nur so viel wird mal wieder deutlich: Verschwörungstheoretiker gibt es definitiv im System. Zumindest einen.
Aiwanger-Euphorie hat sich gelegt
Die Episode ist bezeichnend für den Mann, der in der letzten Zeit innerhalb des demokratischen Parteienspektrums so viel provoziert wie kaum ein anderer. Oft braucht es nur den gerade vom ihm so oft beschworenen gesunden Menschenverstand, um den Gehalt seiner Behauptungen zu beurteilen. So behauptete er jüngst auch, die Demos gegen Rechtsextremismus seien von Linksextremen unterwandert, und Jusos und Grüne Jugend würden ohnehin vom Verfassungsschutz beobachtet. Werden sie natürlich nicht, aber behaupten kann man’s ja mal. Auch in der Tonalität geht der Chef der Freien Wähler immer wieder hart an die Grenze. „Jeder Taugenichts wird von der Ampel besser unterstützt als unsere Bauern“, ist so ein typischer Aiwanger-Satz.
Die CSU bringt Hubert Aiwanger mit seinem Verhalten mitunter an den Rand des Wahnsinns – also genau in die Region, wo der Freie-Wähler-Chef selbst gern seine waghalsigen Gratwanderungen unternimmt. Dass er im Wahlkampf begonnen hat, immer unverhohlener am rechten Rand zu fischen und ausgerechnet aus der Affäre um das eklige Nazi-Flugblatt, das er als Schüler mit sich getragen hatte, Kapital zu schlagen, hat man ihm beim Koalitionspartner schwer verübelt. Aiwanger hatte eine plumpe Täter-Opfer-Umkehr betrieben und behauptet, die Shoah werde gegen ihn instrumentalisiert, um ihn als Person zu vernichten. Bei der Landtagswahl im Oktober wurden die Freie Wähler mit 15,8 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft im Bayerischen Landtag.
Inzwischen hat sich die Aiwanger-Euphorie zwar etwas gelegt, beim Bayerntrend, der großen Umfrage des Bayerischen Rundfunks, kamen die Freien Wähler zuletzt nur noch auf 13 Prozent, doch den Argwohn des Koalitionspartners hat das nicht unbedingt vermindert. Auf Dauer, darüber ist man sich in der CSU einig, will man sich von Aiwanger nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Bloß: Wie kriegt man diesen Mann unter Kontrolle?
Szenen einer Zwangsehe
Eingebrockt hat man sich die Sache freilich selbst. Ministerpräsident Markus Söder hatte Aiwanger ja quasi einen Freifahrtschein ausgestellt, indem er sich vor den Wahlen bedingungslos auf die Freien Wähler als Koalitionspartner festgelegt hatte. Nach der Wahl drohte Söder dann, wenn die Freien Wähler mit der CSU koalieren wollten, müssten sie jetzt Farbe bekennen: Sind sie fest verankert im bürgerlichen Lager, stehen sie noch diesseits der Brandmauer zur AfD?
Da Söder aber gleichzeitig ankündigte, weiter mit den Freien Wählern zu koalieren und dass eine andere Formation überhaupt nicht in Frage komme, überraschte es nur wenige, dass sich Aiwanger von einer solchen Drohung nicht sonderlich beeindrucken ließ und fröhlich weiter agierte wie bisher. Das persönliche Verhältnis zwischen Söder und Aiwanger ist mittlerweile zwar restlos zerrüttet, aber aus ihrer Zwangsehe scheinen die beiden nicht mehr rauszukommen.
Freundliche Einhegeversuche der CSU haben bisher wenig gefruchtet. Und seit sich Aiwanger auch noch zum Bauernführer aufschwingt und sich anschickt, der CSU in dieser Klientel ihre Wähler abspenstig zu machen, ist es mit der vornehmen Zurückhaltung gänzlich dahin. Dass die Jagd auf Aiwanger keine Ende nehme, konstatiert die Passauer Neue Presse schon voller Bedauern: „Im Gegenteil: Die Zahl derer, die ihn politisch erlegen wollen, nimmt gerade deutlich zu.“
Was zumindest stimmt: Der Ton auf christsozialer Seite wird schärfer. Vor allem Wissenschaftsminister Markus Blume und Fraktionschef Klaus Holetschek lassen keine Gelegenheit verstreichen, eine Spitze gegen den stellvertretenden Ministerpräsidenten zu platzieren. Bei Aiwanger habe er „immer noch ein wenig das Gefühl, dass er auch nach fünf Jahren als Wirtschaftsminister mit den Zuständigkeiten nicht ganz vertraut ist“, sagte Blume etwa der Mittelbayerischen Zeitung. Wirtschaft sei mehr als Land- und Gastwirtschaft. Und er hoffe, dass Aiwangers Begeisterung für Technologie nicht irgendwo zwischen Traktor und Mähdrescher endet. Worte, die durchaus bemerkenswert sind innerhalb einer Koalition, die sich gern als Gegenentwurf zur zerstrittenen Ampel präsentiert.
„Ministrieren statt demonstrieren“
Inzwischen hat man sich in der CSU vornehmlich auf die angeblich fehlende wirtschaftspolitische Kompetenz des Ministers eingeschossen. Wenn man ihn bei Ministerratssitzungen mit Sachfragen zu Wirtschaftsthemen konfrontiere, behaupten CSU-Kollegen im vertraulichen Gespräch, komme Aiwanger regelmäßig ins Rudern, blättere ausführlich in seinem Aktenordner und antworte ausweichend. Auch einen Fünf-Punkte-Plan der CSU-Fraktion zum Wirtschaftsaufschwung kann man schon als beabsichtigte Demütigung Aiwangers verstehen. Darin wird der Minister zu halbjährlichen Rechenschaftsberichten aufgefordert.
Darüber hinaus geht es auch um konkrete Vorwürfe: So könnte Aiwanger aus dem Senat der Max-Planck-Gesellschaft fliegen, nachdem er bisher alle Sitzungen verpasst hat. Aiwanger hält dagegen, es habe eben ständig Terminkollisionen gegeben und auch seine Vorvorgängerin im Amt, die beliebte CSU-Politikerin Ilse Aigner, sei bei keiner der Sitzungen erschienen. CSU-Vize Manfred Weber wiederum hält Aiwanger vor, in den letzten fünf Jahren ein einziges mal in Brüssel gewesen zu sein, um sich dort für die bayerische Wirtschaft starkzumachen. Und als eine dringend benötigte Windkraftanlage im Chemiedreieck an einem Bürgerentscheid krachend scheiterte, vermutete man den Grund darin, dass sich der „Windminister“ (Söder) zu wenig vor Ort gekümmert habe.
Vor allem aber verübelt man Aiwanger sein „Demo-Hopping“. Tatsächlich fand in den vergangenen Wochen kaum eine Bauerndemonstration statt, bei der Aiwanger nicht mitmarschierte. Er solle sich stattdessen lieber mal um sein Ministerium kümmern, schimpfen sie in der CSU. Was aber auch wieder lustig ist, wenn man sich Söders Terminkalender ansieht. Über 100 Bierzeltauftritte will er beispielsweise im letzten Jahr absolviert haben. Und auch außerhalb des Wahlkampfs verpasst er kaum einen Termin, um sich in Szene zu setzen. Im Landtag sieht man ihn dagegen so selten wie keinen anderen deutschen Ministerpräsidenten.
Frust an der Freien-Wähler-Basis
Söder selbst hielt sich mit den Vorwürfen lange Zeit zurück, sagte es gewissermaßen nur durch den Blume, beim politischen Aschermittwoch in Passau mischte dann aber auch er mit. „Ministrieren geht vor demonstrieren“, kalauerte er und forderte: „Du hast auf der Position zu spielen, die dir anvertraut ist.“ Ein Wirtschaftsminister müsse sich um die Wirtschaft kümmern und nicht um die Gamsjagd oder um die Wildfütterung. Ein Vorwurf, der freilich ebenfalls nicht einer gewissen Komik entbehrt. Schließlich war Söder bereits Minister für allerhand, zuletzt lange Finanzminister. In dieser Zeit fiel er durch mancherlei auf, aber nie dadurch, dass er sich in seinen Äußerungen und Auftritten auf seine jeweilige Ressortzuständigkeit beschränkt hätte.
Nun sind jedoch auch die Freien Wähler nicht restlos begeistert vom Kurs ihres Anführers. Ein großer Teil von ihnen sieht sich weit entfernt von allen rechten Ecken des Politbetriebs: Leute wie Fraktionschef Florian Streibl beschreiben die eigene Partei als bürgerlich, liberal und konservativ, aber ganz klar links von der CSU. Dass Aiwanger zu dieser Standortbestimmung längst nicht mehr so recht passen will, ist offenkundig.
Mitunter ist der Unmut darüber so groß, dass sich Mitglieder frustriert von ihrer Partei abwenden. Hier ein Bürgermeister, da der Fraktionschef im Gemeinderat. Bisweilen treten auch kommunale Wählergemeinschaften kollektiv aus dem Landesverband aus. Ein Schritt, der bei den traditionell dezentral aufgestellten und im Kommunalen verankerten Freien Wählern leichter fallen dürfte als bei anderen Parteien. Die Süddeutsche Zeitung hat gerade erst in Franken eine Häufung solcher „Einzelfälle“ ausgemacht und detailliert aufgezählt. Und gemutmaßt, „dass Mentalitätsunterschiede eine Rolle spielen. Dass sich die Menschen südlich der Donau dem Typus Aiwanger näher fühlen als nördlich.“
CSU gibt sich demonstrativ gelassen
Auf Landesebene jedoch halten sich die Kritiker auffallend zurück, wird weiterhin jeder verbale Fehltritt des Parteichefs unter den Mei-der-Hubsi-halt-Teppich gekehrt. Streibl etwa hat mittlerweile schon einige Übung im politischen Spagat, schafft es ohne Verrenkung, auf die große Anti-rechts-Demo in München zu gehen, diese als grandioses Zeichen zu feiern und zugleich Aiwangers These zu verteidigen, dass diese natürlich linksextremistisch unterwandert sei.
„Wie gefährlich ist Aiwanger“, fragte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung jüngst und setzte gleich noch nach: „Und vor allem: für wen?“ Für wirklich harmlos hält den Freie-Wähler-Chef jedenfalls längst niemand mehr, auch wenn sie einen das bei der CSU manchmal glauben machen wollen. Der Höhenflug sei vorbei, inzwischen hätten die Wählerinnen und Wähler verstanden, wer sich tatsächlich um bayerische Interessen kümmere, lautet die Erzählung, wie sie führende CSU-Politiker derzeit unters Volk bringen wollen.
Doch so ganz will die demonstrative Gelassenheit nicht überzeugen. Nicht zuletzt auch, da es gerade die Christsozialen sind, die Aiwanger fürchten müssen. Aus seinem Traum, quasi als deutscher Bauernführer in den Bundestag einzuziehen, macht dieser keinen Hehl. Noch gibt es zwar kaum Umfragen, die die Freien Wähler bundesweit über 3 Prozent sehen, doch Aiwangers Sichtbarkeit außerhalb Bayerns nimmt zu, inzwischen wird auch er zu Lanz und Maischberger eingeladen.
Zuletzt auffallend zahm
Die Gefahr allerdings, die Aiwanger für die CSU darstellt, liegt vor allem in dem neuen, von der Ampel beschlossenen Wahlrecht. Sollte dieses bis zur Bundestagswahl Bestand haben und die Freien Wähler der CSU im bürgerlichen Lager das nötige Quäntchen an Stimmen abnehmen, das diese braucht, um bundesweit über die Fünfprozenthürde zu kommen, wäre sie im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten – unabhängig davon, wie viele Direktmandate sie erlangt hat. Aiwanger bleibt daher in CSU-Augen eine tickende Zeitbombe.
Umso erstaunlicher, dass sich der Niederbayer in der allerjüngsten Vergangenheit geradezu zahm präsentiert hat. Beim Bundesparteitag in Bitburg verbot sich Aiwanger jede Anbiederung nach rechts, machte sich stattdessen für ein Unvereinbarkeitsbeschluss stark, der jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt. Und auch Befürchtungen, er könnte beim politischen Aschermittwoch der Freien Wähler noch einmal eine Schippe drauflegen, bestätigten sich nicht.
„Wenn den Leuten täglich mit woken Themen in der Nase herumgerührt wird, muss man sich nicht wundern, wenn die irgendwann eskalieren“, beschwerte sich Aiwanger, was nicht nur nahezu lyrisch anmutete, sondern zugleich zeigt, wie sehr sich der Mann, der sonst mit Verbalinjurien kaum spart, plötzlich zurücknimmt. Ein paar Städte weiter, in der Passauer Dreiländerhalle, verglich derweil Markus Söder die grüne Bundesumweltministerin mit Margot Honecker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen