„Umweltsau“-Lied des WDR-Kinderchors: Wir sind alle Umweltsäue
Die „Umweltsau“-Debatte der vergangenen Tage verhüllt das Kernproblem. Was wir aus ihr trotzdem für das Jahr 2020 mitnehmen können.
D ie politische Großdebatte der vergangenen Tage war eine mutmaßlich mehrheitlich geheuchelte „Spektakelpolarisierung“ (Bernhard Pörksen) wegen eines Kinderchors, der in einer Fernsehsatire „Unsere Oma ist ’ne alte Umweltsau“ sang. Dennoch kann man das nicht lapidar damit abtun, dass das eh gaga oder nur Twitter sei.
Diese „Umweltsau“-Debatte steht pars pro toto für die Verhüllung des Kernproblems (Klimakrise), die strategische Instrumentalisierung und Beförderung dysfunktionaler Gesellschaftsgespräche durch Gegner von Klimapolitik und die deshalb drängende Lösung der gesellschaftlichen Kommunikationskrise.
Es zu machen, wie Helmut Kohl Europa machte – volle Pulle, aber nicht darüber reden –, geht nicht. Wir müssen ein ernsthaftes Gespräch über das zentrale Problem hinbekommen. Das ist der zu Ende gehende CO2-Speicherraum in der Atmosphäre durch unser aller fossil befeuertes Wirtschaften und Leben. Die Antwort ist eine demokratische Mehrheit für den politischen Wechsel ins postfossile Wirtschaften. Eine gesellschaftliche Mehrheit, nicht eine parteipolitische.
Nun ist Oma (und Opa) im alten Denken tatsächlich eine Umweltsau, wenn das für nicht zukunftsfähige Wirtschafts- und Lebensweise steht. Aber die Enkelin und der Enkel auch. Mutti und Vati. Christ und Muslim. Konservativer, Liberaler, Linker und Grüner. Ocasio-Cortez und Trump. Rassist und Diskriminierte. In der physikalischen Realität sind Europäer (fast) alle „Täter“. Deshalb ist der erste und wichtigste Schritt, die eingeübte Kultur des Spaltens in Gute und Böse abzulegen.
Die Lösung ist nicht Fight
Selbstverständlich handelt es sich auch um einen Generationenkonflikt. Aber eben nicht kulturell oder ideologisch wie 1968 ff., sondern materiell. Das ist der Grund, warum Klimapolitik diese Dynamik bekommen hat; weil sie nicht mehr nur von privilegierten Minderheiten eines bestimmten politischen Spektrums (Ökos, Grüne) moralisch begründet wird, sondern von einem parteiübergreifenden Mainstream namens Fridays for Future als Verteilungskonflikt erkannt wurde.
Unser Autor stand schon als Kind auf Skiern, heute verspürt er wegen des Klimawandels vor allem eines: Skischam. Für die taz am wochenende vom 15. Februar nimmt er Abschied von der Piste und fährt ein letztes Mal. Außerdem: Wer gewinnt die Bürgerschaftswahlen in Hamburg? Auf Wahlkampftour mit den Kandidaten der Grünen und der SPD. Und: Waffel kann auch Döner sein, Obstdöner. Über das heilendste Gericht der Welt. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Lösung des Problems, das alle Bereiche und Systeme der Gesellschaft herausfordert, funktioniert nicht über einen Fight zwischen zwei Alterslagern. Genauso wenig funktioniert rechts vs. links oder halb rechts vs. halb links.
Was Greta Thunberg und Luisa Neubauer deshalb 2019 getan haben: Sie haben den Lager-Resetknopf gedrückt, weil er retro ist und Zukunftspolitik erschwert. Das passt den Baerbock-und-Habeck-Grünen in den Kram, denn genau daran arbeiten sie auch. Gegen das Reset stemmen sich die Traditionsparteien in der Hoffnung, gestrige Mehrheiten mit halb gestriger Politik mobilisieren zu können. Derweil freut sich die AfD über noch mehr Beleidigte.
Also: Die Babyboomer sind nicht „schuld“ an der Erderhitzung, sondern sie hatten in einer anderen Welt andere Prioritäten. Aber ob sie nun Blumen im Haar hatten oder eine Schrankwand: Alle waren fossil unterwegs, weil das normal war.
Und heute gibt es die beleidigten Opis, die griesgrämig auf dem Sofa sitzen und die Welt nicht mehr verstehen wollen. Es gibt großartige „Omas for Future“, die längst für den postfossilen Wandel arbeiten. Und dann gibt es die ganz normalen Omas und Opas, die durch Greta und Luisa angefangen haben, sich die Sache neu zu überlegen. Einerseits könnten sie drauf scheißen, denn sie werden nicht mal mehr den Kohleausstieg erleben. Andererseits lieben sie ihre Enkel und wollen ja irgendwie doch in ihnen weiterleben.
Und die brauchen wir jetzt auch für die neue politische Mehrheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung