Stimmung in der Ampel-Koalition: Sie sind sich nicht mehr grün
Rot und Grün galten als engste Partner. Jetzt fühlen die Grünen sich im Stich gelassen, und die SPD beklagt grünen Moralismus. Was ist passiert?
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Im Berliner Senat schwenkte nach der Wiederholungswahl im Februar bekanntlich die einstige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey von der SPD um, ließ ihre rot-grün-rote Mehrheit links liegen und führte ihre Partei in eine Juniorpartnerschaft mit der CDU. Das Comeback der Großen Koalition – ausgerechnet im links-grünen Berlin.
Ein Unfall der Geschichte? Oder der Anfang einer neuen Ära von Zweierbündnissen mit der Union? Ein Fingerzeig auf künftige Koalitionen auch anderswo? Für Berlin zumindest hat Franziska Giffey ja von einer „Richtungsentscheidung“ gesprochen.
Nun ist Berlin nicht der Bund. Doch auch dort, in der Ampelkoalition, rumpelt es zwischen den einstigen Traumpartnern Grünen und SPD. Von einer „Entfremdung“ ist die Rede.
In der SPD ist man zunehmend genervt von den Grünen, klagt über moralischen Rigorismus und Gejammer, wenn mal nicht alle Punkte der grünen Wunschliste komplett umgesetzt werden. Andersherum fühlen sich viele Grüne von der SPD und Kanzler Olaf Scholz bei Konflikten mit der FDP im Stich gelassen.
Eine weitere Zeitenwende
Es knirscht vernehmbar im rot-grünen Getriebe. Ex-Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach das offen aus: „Die Scholz-SPD ist nicht mehr der natürliche Bündnispartner.“
Schon im letzten Jahr waren beide Parteien uneins, wie sehr man die Ukraine mit Waffen gegen den russischen Angreifer unterstützt. Während die Grünen am liebsten die Arsenale der Bundeswehr nach Kyjiw geschickt hätten, mahnten die Sozialdemokraten, namentlich der Kanzler, zur Vorsicht und vor der Gefahr eines Weltkrieges.
Aktuell geraten Grüne und SPD in einer weiteren Zeitenwende aneinander: dem Kampf gegen den Klimawandel. Dass Deutschland bis 2045 keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre blasen sollte, darin sind sich beide einig. Doch nicht über den Weg dahin, das Tempo und den Stil. Während Sozialdemokraten vom „missionarischen Eifer“ der Grünen sprechen, vermissen diese bei den Sozialdemokraten Entschlossenheit und Wumms.
Und es stimmt ja auch: Wenn es konkret wird, dann schlagen sich die Sozialdemokraten auf die Seite der FDP, beschleunigen den Ausbau von Straßen und weichen das Klimaschutzgesetz zugunsten des Verkehrsministeriums auf. Der einstige grüne Umweltminister Jürgen Trittin sprach in der taz von einem Konflikt zwischen Strukturkonservatismus und Veränderung.
Wie tief ist der Spalt?
Die Grünen wären in einem solchen Setting diejenigen, die bereit für den notwendigen Wandel sind. Die Sozialdemokraten stünden hingegen als jene da, die sich an alte Gepflogenheiten klammerten. Das von den Sozialdemokraten oft bemühte Argument, niemand dürfe durch die Transformation finanziell überfordert werden, funktioniert aus Grünen-Sicht vor allem als Abwehrreflex gegen Veränderungen.
Auch in der SPD sieht man die Unterschiede, kleidet sie aber in eine andere Erzählung. In dieser stehen die Grünen für ein Milieu, das sich in den urbanen Zentren schicke Altbauwohnungen leisten kann und möglichst viel Klimaschutz ohne Rücksicht auf Verluste will. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sieht bei den Grünen wie bei der FDP in der Klimapolitik eine klare Schwerpunktsetzung auf Marktelemente wie einen möglichst hohen CO2-Preis – was für viele Menschen höhere Preise und harte Einschnitte bedeuten würde. „Das werden wir verhindern, und zwar mit einem Mix aus Preisanreizen, Ordnungspolitik und staatlicher Förderung“, verspricht er.
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Die SPD als Anwältin der kleinen Leute, die aufs Auto angewiesen sind und ihre Gasheizung nicht mal eben durch eine Wärmepumpe ersetzen können? Die Reibereien zwischen SPD und Grünen wären somit auch ein Konflikt zwischen Provinz und Metropole, zwischen kleinen Leuten und Bürgertum.
Doch ist der Spalt wirklich so tief? Erstens ist es mitnichten so, dass die Grünen nicht auch staatliche Fördermittel und ordnungspolitische Elemente wollen. Gerade beim Austausch von Heizungen setzt der Wirtschaftsminister auf die ordnende Hand des Staates, mit dem Argument: Wir müssen die Leute zu ihrem Glück zwingen und verhindern, dass ihre Gasheizungen sie in ein paar Jahren wegen des CO2-Preises in den Ruin treiben.
Zweitens gibt es zwischen Grünen und SPD nach wie vor große inhaltliche Schnittmengen, gerade im Sozialen: Das Bürgergeld, den Mindestlohn und die Kindergrundsicherung wollen eigentlich beide.
Konkurrenten und Partner
Doch auch hier treten die Parteien eher als Wettbewerber denn als Partner auf. Bei der SPD macht man keinen Hehl daraus, dass man das von den Grünen geführte Familienministerium für unterverkauft hält. Die Grünen hingegen fühlen sich von der SPD oft allein gelassen – ob es um mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger:innen oder für Kinder aus armen Familien geht.
Es sind gerade die ähnlichen Ambitionen, die verhindern, dass man hier zusammenkommt. Grüne und SPD konkurrieren um das gleiche gesellschaftliche Spektrum, die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Als die hessischen Grünen 2010 beschlossen, die Grünen sollten führende Kraft der linken Mitte in Bund, Land und Kommunen werden, wirkte das noch wie ein Witz. Als Hofreiter den Slogan 2018 aufgriff, fand man das in der SPD nicht mehr witzig, sondern begriff es als Kampfansage: Die Kellner wollen Chefkoch werden – wie frech! Heute sind sie wirklich fast auf Augenhöhe.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert spricht von „unterschwelliger Führungskonkurrenz“, die dafür sorge, „dass sachpolitische Konflikte häufiger eine machtpolitische Komponente bekommen“. Diese Rivalität verhindert, dass SPD und Grüne eine gute Arbeitsteilung hinbekommen. Diese sähe dem Politologen Wolfgang Schroeder zufolge so aus, dass die Grünen treibender Akteur der Klimawende sind, während die SPD sie für die kleinen und mittleren Schichten übersetzt. Eine Art Win-win-Situation.
Richtig Fahrt aufnehmen könnte ein rot-grünes Transformationsprojekt aber nur dann, wenn sich beide auch dafür starkmachen würden, das nötige Geld zu akquirieren. Eine sozial gerechte Transformation hin zu einer postfossilen Industrienation kostet Billionen. Zwar denken sowohl Grüne als auch SPD über eine Reform der Schuldenbremse nach, sie wollen Vermögende besteuern und Erben stärker in die Pflicht nehmen. Doch eine gemeinsame Strategie für Umverteilung fehlt. Stattdessen verweisen beide auf die Schranken des Koalitionsvertrags, den Finanzminister von der FDP – und die vermeintlichen Unzulänglichkeiten des jeweils anderen. Grüne und SPD machen sich im Streit um den viel zu kleinen Kuchen lieber gegenseitig fertig, als gemeinsam daran zu arbeiten, den Kuchen zu vergrößern.
Wenn zwei sich streiten…
Lachender Dritter ist die Union. In Umfragen hat sie mittlerweile einen komfortablen Vorsprung. Und nach den nächsten Wahlen könnten ihr in Zukunft mehr Optionen zur Verfügung stehen als bisher. In manchen Berliner Bezirken verbünden sich jetzt selbst die traditionell linken Grünen im Schatten der Landes-Groko mit den Christdemokraten. Und in Bremen, wo im Mai gewählt wird, regiert Rot-Grün-Rot zwar einigermaßen rund. Nach der Giffey-Erfahrung ist aber kaum anzunehmen, dass sich die Grünen dort nicht vorsorglich in alle Richtungen umschauen würden.
Im Bund sind natürlich ebenfalls Szenarien mit der Union denkbar. CDU-Chef Friedrich Merz ist im Moment zwar die Versicherung gegen ein schwarz-rotes oder schwarz-grünes Zweierbündnis – beteuern sowohl führende Grüne als auch SPDler. Anders sähe es aber aus, wenn die CDU 2025 mit einem liberaleren Spitzenkandidaten wie Hendrik Wüst oder Daniel Günther in den Bundestagwahlkampf zöge.
In Berlin haben Politiker:innen von Grünen und SPD in dieser Woche im kleinen Kreis über die Idee einer gemeinsamen „Begleitgruppe“ für die Landes-Groko gesprochen. Ein Forum, um im Gespräch zu bleiben und den rot-grünen Nukleus am Leben zu halten. Ein bisschen klingt es nach Selbsthilfegruppe.
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