Klimakonflikt in der Ampel: Der neue rot-grüne Graben

Viele SPDler sind von den Grünen genervt, die einen Alleinvertretungsanspruch für den Klimaschutz hätten. Kritik am Koalitionsausschuss gibt es kaum.

Die Parteichefs der Koalitionsparteien Klingbeil, Lang, Lindner sprechen am Dienstag im Bundestag Foto: dpa

BERLIN taz | Haben die Grünen im Klima-Koalitionsausschuss wirklich zu wenig erreicht? Von wegen, meinen zumindest einige Sozialdemokraten. „Warum hasst Robert Habeck unser Bad Segeberg so sehr?“, fragt der SPD-Vorsitzende in Bad Segeberg, Alexander Wagner, in einer am Donnerstag verschickten Pressemitteilung. Der Weiterbau der A20 habe es nicht einmal in eine 144 Positionen lange Liste des Bundes zur Beschleunigung von Verkehrsprojekten geschafft, schimpft Wagner. „Obwohl SPD und FDP klar für das Projekt sind.“ Habeck solle gefälligst mal selbst vorbeikommen und sich den täglichen Dauerstau angucken.

Die A20 beginnt im nordöstlichen Zipfel Brandenburgs, führt über Mecklenburg-Vorpommern nach Schleswig-Holstein und endet hier kurz vor Bad Segeberg. Über den Weiterbau der Autobahn wird seit Langem gestritten. Dass SPD und FDP nichts gegen neue Autobahnen haben, ist kein Geheimnis. Sie sind zunehmend genervt von den Grünen.

Die würden am liebsten alles verbieten, was dem Klima schadet. Man müsse darauf achten, dass nicht einzelne Parteien für sich in Anspruch nähmen, sie seien die einzigen, die für Klimaschutz zuständig seien, sagte ein hochrangiges SPD-Mitglied, als die Ergebnisse des Koalitionsausschusses in der vergangenen Woche diskutiert worden. Es klang wie eine Warnung an die Grünen.

Viele Grüne sahen sich als Verlierer des Koalitionsausschusses. „Bei der Existenzfrage Klimaschutz ist die Ausgangslage in der Koalition 2:1“, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler der taz. „Die Klimakrise wird sich weiter verschärfen, wenn das nur als Spezialthema der Grünen verstanden wird.“ Als besonders bitter nannten viele Grüne den beschleunigten Ausbau von über 100 Autobahnprojekten, auf den sich der Koalitionsausschuss geeinigt hatte.

Wieso verkaufen die Grünen Erfolge nicht, rätselt die SPD

Wenn man in der SPD-Fraktion herumfragt, erntet man bei solchen Sätzen viel Kopfschütteln. Wieso die Grünen sich und ihre Erfolge im Koalitionsausschuss so schlecht verkauften, fragt sich ein Mitglied des Fraktionsvorstands. Dass Windanlagen schneller genehmigt und Kommunen künftig mehr Flächen für erneuerbare Energien ausweisen dürften, sei doch etwas, wofür die Grünen jahrzehntelang gekämpft hätten. Stattdessen zählten sie immer wieder auf, was sie angeblich nicht erreicht hätten.

Auch Nina Scheer, Sprecherin der SPD-Fraktion für Klimaschutz, lobt die Ergebnisse. Vor allem, dass für den Ausbau der erneuerbaren Energien weitere Hürden beseitigt werden sollen. „Letztlich zählt für den Klimaschutz das, was in der Umsetzung effektiv CO2-Minderung ermöglicht und zugleich die Energiebedarfe, auch für den Verkehrs- und Wärmebereich, deckt – und zwar durch erneuerbare Energien“, so Scheer zur taz.

Mit ihrer Fokussierung auf bestimmte Lösungen – etwa im Bereich Wohnen auf die Wärmepumpe als effektivste Alternative zu fossilen Heizungen – blockierten die Grünen mehr Klimaschutz, als ihn zu ermöglichen, heißt es in der SPD-Fraktion. Wenn man mehr Klimaschutz wolle, dürfe man die Menschen nicht vor den Kopf stoßen. „Wir brauchen auch ein Angebot für Leute, die einen alten Pkw haben“ sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. „Wir wollen die Menschen nicht überfordern.“

Die Ge­nos­s:in­nen fühlen sich in dieser Einschätzung durch das Ergebnis des Berliner Volksentscheids bestätigt. Gefragt, ob Berlin bis 2030 klimaneutral sein solle, stimmten zu wenige mit Ja. Und überraschend viele sogar dagegen.

Vereinzelte Kritik auch aus der SPD

In der SPD-Fraktion sind zwar nicht alle zufrieden mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses. Es stehe wenig bahnbrechend Neues drin, heißt es. Öffentlich zitieren lassen will sich aber niemand. Nach außen wird nur glückliche Zufriedenheit kommuniziert. Der Kanzler hat das Ergebnis selbst als sehr, sehr gut verkauft. Die SPD-Fraktion sei mit allen Punkten einverstanden, betont Mast.

Alle knapp 400.000 GenossInnen also auf Linie? Nein, eine kleine Gruppe leistet Widerstand: das SPD-Klimaforum, gegründet im Herbst 2021. Rund 250 GenossInnen gehören dazu, ungefähr ein Drittel ist aktiv. Die Leipzigerin Bettina van Suntum nimmt, anders als die allermeisten in der SPD, kein Blatt vor den Mund. „Angesichts der ökologischen Dramatik ist dieses Papier in der Summe ein Rückschritt. Dabei waren unsere Klimaziele schon vorher zu wenig ambitioniert“, sagt sie der taz. „Angesichts des dramatischen ökologischen Kollapses sind die Ergebnisse dieses Koalitionsausschusses eine Enttäuschung. Wir bräuchten ein Doppel- oder Dreifachwumms für Klimaschutz und Biodiversität.“

Was die Ampel tue, sei viel zu zaghaft. Dass im Klimaschutzgesetz nun die Sektorenziele wegfallen, hält van Suntum für „ein fatales Signal“. Zudem fehle „ein sozialer Ausgleich für die Erhöhung des CO2-Preises“. Dabei hatte doch die SPD selbst mal das Klimageld vorgeschlagen, das Reiche, die viel CO2 emittieren, belastet und Ärmere entlastet. „Es irritiert sehr, dass dieser Punkt komplett fehlt“, so die Öko-Genossin.

Van Suntum befürchtet, dass die SPD jetzt „Teile der Jugend verliert, die nicht mehr daran glaubt, dass es diese Regierung mit dem Klimaschutz wirklich ernst meint“. Und sie wünscht sich endlich „einen Klimakanzler, der Wort hält“.

Ganz anders Alexander Wagner, der Stadtverbandschef in Bad Segeberg. Der hat nun für Mitte April eine Demonstration angekündigt: für den Weiterbau der A20. Bad Segeberg dürfe sich das nicht mehr gefallen lassen.

Und Unruhe droht der Ampel auch an anderer Stelle. Finanzminister Christian Lindner (FDP) betonte am Wochenende, dass kein Geld für die Kindergrundsicherung da sei – die die Grünen und auch die SPD wollen. Der Stress geht weiter.

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