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Sozialwissenschaftlerin Ilona Otto„Klimaneutralität würde uns mehr Freiheiten geben“

Mit Klima ließe sich Wahlkampf machen, sagt die österreichische Forscherin Ilona Otto. Dafür müsste die Politik die Chancen thematisieren.

Diese Art der Freiheit verträgt sich nicht so gut mit Klimaschutz: Privatjet im Himmel über dem US-Bundesstaat Georgia Foto: Perry McIntyre/ISI Photos/getty images
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Frau Otto, bislang dringt die Klimabewegung im Bundes­­tagswahlkampf kaum durch. Was macht sie falsch?

Ilona Otto: Ich würde nicht sagen, dass sie was falsch macht. Es ist derzeit sehr schwierig, mit anderen Themen wie den Kriegen in der Ukraine und in Gaza zu konkurrieren, und auch innerhalb Deutschlands gibt es viele Spannungen.

taz: Heißt das, es besteht keine Chance, dass Klimaschutz noch zum Wahlkampf­thema wird?

Otto: Es gibt schon Klimathemen, mit denen man die Wäh­le­r*in­nen abholen könnte. Ein Beispiel ist das Klimageld. Wenn man vermitteln würde, dass je­de*r Bür­ge­r*in pro Jahr 300 Euro mehr auf dem Konto hätte, wäre das sehr attraktiv. Oder das Klimaticket …

taz: … das in Deutschland „Deutschlandticket“ heißt …

Im Interview: Ilona Otto

Ilona Otto

45, ist Professorin für gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz.

Otto: Genau, das ist ein ganz anderes Framing. Ich verstehe, dass sich viele Bür­ge­r*in­nen darüber aufregen, dass Benzin teurer wird. Aber wenn die Parteien sagen würden: „Dafür gibt es jetzt ein günstiges Klimaticket“, wäre das ein echtes Angebot. In Österreich kostet das Klimaticket 1.000 Euro im Jahr und man kann auch Schnellzüge nutzen. Klar, Österreich ist kleiner. Aber in Deutschland geht der Trend in die falsche Richtung, das Ticket gilt ja nur für Regionalzüge und wird immer teurer.

taz: Warum trauen sich die Parteien im Wahlkampf nicht an Klimathemen heran?

Otto: Weil wir zu sehr in negativen Narrativen verhaftet sind. „Klima“ bedeutet meistens schlimme Folgen oder Verzicht. Wenn ich „Klimakatastrophe“ sage, kann man sich darunter etwas vorstellen. Wenn ich Sie frage, ob Sie sich eine klima­neutrale Welt vorstellen können, wird es schwieriger.

taz: Warum wissen wir so wenig über positive Szenarien?

Otto: Das ist auch ein Fehler der Wissenschaften. Viele sehen den Weg zur Klimaneutralität bei Technologien, die es noch nicht gibt. Ein Wunderversprechen: Dann müssten wir unser Verhalten nicht ändern. Ich habe gerade einen Forschungsantrag zu Klimakommunikation, sozialem Wandel und Narrativen bei einem Exzellenzcluster eingereicht, aber er wurde abgelehnt. Es ging um zehn Jahre Forschung, ein großes Projekt. Das Geld hat ein Projekt der Ingenieurswissenschaft bekommen, das eine technologische Wunderlösung versprochen hat.

taz: Unterschätzt die Gesellschaft die Relevanz von Klimakommunikation?

Otto: Ja. Aber wenn man sich mit positiven Klimadiskursen beschäftigt, merkt man, wie die Gesellschaft profitieren würde. Klimaneutrale Lebensentwürfe würden uns mehr Zeit geben, mehr Freiheiten und mehr Kontrolle. Wenn ich meinen eigenen Strom produziere, bin ich unabhängig von Konzernen. Ich hätte weniger Druck, Geld zu verdienen. Ich hätte auch bessere Beziehungen zu den Nachbar*innen. Politik und Wissenschaften müssen sich mehr mit der Frage beschäftigen, wie solche Szenarien aussehen könnten und was wir für ein gutes Leben bräuchten.

taz: Stattdessen gilt Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für das gute Leben.

taz Themenwoche Klima

Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.

Otto: Von Wirtschaftswachstum profitieren hauptsächlich diejenigen, die schon sehr reich sind. Statistiken zeigen, wie die Ungleichheit wächst und sich Eigentum immer stärker konzentriert – nicht nur global, auch innerhalb der EU. Große Konzerne und sehr wohlhabende Personen zahlen ihre Steuern da, wo sie niedrig sind. Aber wenn es um von ihnen verursachte Schäden geht, erwarten sie, dass die Steu­er­zah­le­r*in­nen dafür aufkommen.

taz: Also müsste auch ein gerechteres Steuersystem zur Klimapolitik gehören.

Otto: Wer in hoher Position im fossilen Sektor arbeitet, verdient sehr gut. Da ist es nur gerecht, dass man auch zahlt, wenn es zum Schaden kommt. Aber wir können das nicht auf nationaler, vielleicht auch nicht auf EU-Ebene klären. Wohlhabende Menschen sind sehr mobil und haben Eigentum auf verschiedenen Kontinenten. Wir brauchen neue internationale Kooperationen, um Reiche und Großkonzerne zu Zahlungen zu verpflichten.

taz: Fridays for Future hat in der vergangenen Woche die Parteien aufgefordert, sich für Steuern für fossile Unternehmen und Superreiche einzusetzen – neben einem Gasausstieg und Klimaneutralität bis 2035. Sind das die Forderungen der Stunde?

Otto: Es ist wirklich gravierend, wie stark superreiche Menschen und Konzerne mit ihren Emissionen zur Klimazerstörung beitragen. Und irgendwo muss das Geld für ein Klimaticket, das Klimageld oder den Ausbau klimaneutraler Infra­struktur herkommen. Deshalb sind Themen wie Gerechtigkeit gerade besonders wichtig. Wir müssen mehr darüber reden, was wir voneinander erwarten. Das ist sehr komplex und es gibt bisher wenig Experimente dazu.

taz: Sie meinen zum Beispiel Bürgerräte.

Otto: Ja, unter anderem. Der Bürgerrat zum Klima in Österreich im Jahr 2022 hat sehr erfolgreich gearbeitet und gute Empfehlungen an die Regierung gegeben. Leider wurden sie nicht implementiert. Man müsste die Po­li­ti­ke­r*in­nen verpflichten, solche Empfehlungen umzusetzen. Wir brauchen mehr Brücken zwischen Bür­ge­r*in­nen und Politik, wo sich Menschen über längere Zeit mit einem Thema beschäftigen.

taz: Trotz solcher Erfolge wendet sich die Gesellschaft in Österreich jedoch von der progressiven Stimmung ab – jetzt wird es sogar eine rechtsextreme Regierung geben. Haben Sie eine Erklärung für diesen Gegensatz?

Otto: Viele Bür­ge­r*in­nen waren sehr enttäuscht, dass die Empfehlungen des Bürgerrats nicht umgesetzt wurden. Forschungsergebnisse zeigen auch, dass viele Menschen nicht verstehen, woher das Klimageld kommt und warum es so heißt. Die Kommunikation der Klimapolitik muss auch in Österreich verbessert werden. Trotz der aktuellen Schwierigkeiten auf der nationalen Ebene gibt es Fortschritte auf den lokalen Ebenen. In Graz etwa ist die lokale Regierung aus KPÖ, Grünen und SPÖ sehr umwelt- und klima­orientiert. Es gibt zum Beispiel Förderungsprogramme für Bürger*innen, die beim Klimaschutz aktiv werden möchten.

taz: Sind Klimastreiks und Großdemonstrationen noch zeitgemäß?

Otto: Sie sind nach wie vor sehr wichtig, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Außerdem ist eine wichtige Funktion der Demos, dass Menschen dort zusammenkommen. Gleichzeitig brauchen wir auch andere Strategien der Vernetzung. Für junge Menschen ist es zum Beispiel wichtig, zu erfahren, wo sie eine zukunftsträchtige Ausbildung in einem nachhaltigen Bereich finden und welche Jobs es dort gibt.

taz: Hat der Bedeutungsverlust von Greta Thunberg durch ihre Haltung im Nahostkonflikt der Bewegung geschadet?

Otto: Es war eine schöne Vorstellung, dass es eine Heldin gibt, die uns alle retten wird. Diese Hoffnung konnte sie natürlich nicht erfüllen, denn sie ist einfach eine junge Frau, die das Recht hat, verschiedene Meinungen zu verschiedenen Themen zu vertreten. Greta Thunberg hatte eine wichtige Rolle und hat viel für die Bewegung und uns alle getan, aber man kann nicht erwarten, dass sie immer in dieser zentralen Position bleibt.

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11 Kommentare

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  • Finde es immer wieder spannend wie heutzutage mit offen fortschrittsfeindlicher Attitüde im Wissenschaftsbereich reüssiert werden kann. Selten so eine Ansammlung von weltfremden Phrasen auf einem Haufen gelesen. Ein Hoch auf die Ingenieure an der Stelle.

  • Es wird m.E. nur gefördert - neoliberales Gedankengut -, dass "ich" nur die meisten Menschen zu unterdrücken brauche, zB wirtschaftlich, oder im Wege der Einschränkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, dann gehöre "ich" (Prinzip Hoffnung) zu denen, die übrig bleiben und sich alles erlauben können, weil die anderen im Dreck sitzen müssen, und "ich" brauche mich nicht zu ändern. Die Rechten haben das gut erkannt und bauen darauf ihre Ideologie auf und erzeugen so Identitäten.

  • Es scheint doch etwas zu einfach:



    Wenn man eigene PV hat, muss man weniger arbeiten? Das hat eh kein Mieter. Und die gesparten Stromkosten sind nicht signifikant für eine Arbeitszeitreduktion. Und dann hätte man bessere Beziehung zum Nachbarn? Wieso?



    Und vom Wirtschaftswachstum profitieren nur die Reichen? Sicher über proportional, aber in einer Rezession mit Inflation geht es den einfachen Leuten sicher nicht gut.



    Klimapolitik wäre ein gutes Wahlkampfthema? Wenn die Leute schon das Konzept des Klimageldes nicht verstehen?



    Nein, da ist vieles bei aller Notwendigkeit doch zu einfach. Vielleicht gut, dass ein Ingenieurprojekt die Fördermittel bekommen hat.

  • Wo sind denn die in der Überschrift erwähnten neuen Freiheiten, die Klimaneutralität bringen soll, versteckt? 300€ mehr im Jahr (WOW) und eine diffuse bessere Beziehung zu den Nachbarn kann ja wohl kaum alles sein und wird sicher niemanden bei seiner Wahlentscheidung beeinflussen. Das Wirtschaftswachstum nur Reiche begünstigen würde, ist doch auch ausgemachter Unsinn, denn es ist doch viel eher so, das ausbleibendes Wachstum in erster Linie die Mittel- und Unterschicht trifft und Reiche erstmal weniger tangiert, während vom Wachstum alle profitieren

  • Irgendwie führt das Interview sehr an der Realität vorbei.



    "Es ist derzeit sehr schwierig, mit anderen Themen wie den Kriegen in der Ukraine und in Gaza zu konkurrieren". Weder Ukraine noch Gaza spielen im Bundestagswahlkampf eine Rolle, Migration und Wirtschaft bestimmen die Debatte.



    "Ich verstehe, dass sich viele Bür­ge­r*in­nen darüber aufregen, dass Benzin teurer wird"



    Wer tut das? Die Benzinpreise sind stabil niedrig, selbst die 'üblichen' Preisspitzen vor Feiertagen und in Reisezeiten fielen 2024 fast komplett aus.



    Zum Thema Klimageld: das war groß angekündigt zu Beginn der Ampel, danach verschwand es in der Versenkung und wurde nie wieder ernsthaft thematisiert. Das glaubt doch jetzt keiner mehr wenn sich die Grünen das nochmal auf die Fahne schreiben.



    Selbiges gilt für ein Klimaticket. Es ist schön wenn das in Österreich funktioniert, das inkludieren von Fernverkehrszügen wäre zwingend, da bin ich voll bei Frau Otto, aber das Problem ist doch der Zustand von Bahn und Schiene.



    Das Netz marode, die Züge knapp, es fehlt an Lokführern und auf Jahre sind Großbaustellen angekündigt. ICEs sind jetzt schon oft überfüllt, ein Mehr an Passagieren ist aktuell kaum händelbar 🤷‍♂️

  • "Forschungsergebnisse zeigen auch, dass viele Menschen nicht verstehen, woher das Klimageld kommt und warum es so heißt. "



    Ja dann erklärt das doch mal!



    So schwer ist das wirklich nicht: Für Verbrennung eines fossilen Brennstoffe muss eine Emissionsabgabe gezahlt werden . Das Geld geht an die EU-Staaten. Diese könnten es in Form von Klimageld wieder an die Bürgerinnen und Bürger verteilen - wenn sie den wollten.



    So verkürzt reicht völlig aus. Mit Emissionshandel und Zertifikaten muss man nicht argumentieren. Das sind nur die Werkzeuge zur Umsetzung.

    • @Jörg Schubert:

      Und nein, es ist nicht nur die Aufgabe der Politik, über das Thema Klimageld aufzuklären. Es ist auch Aufgabe der Medien. Hier wäre mal wieder eine Gelegenheit gewesen. Warum habt Ihr Frau Otto nicht gefragt?

      • @Jörg Schubert:

        Dazu muss man erst mal begreifen, dass etwas so simples nicht von jedem verstanden wird.



        Was gibt es da nicht zu verstehen?



        Ich hatte eigentlich den Eindruck, dass es sehr ausführlich erklärt wurde. Es redet jetzt nur in Deutschland niemand mehr drüber, weil es zu peinlich ist drüber nachzudenken, dass der Finanzminister nicht wusste, wie er Geld an die Bürger verteilen kann.

  • Das Klima braucht eine funktionierende Wirtschaft, und eine florierende Wirtschaft geht nicht ohne Klima.

    • @Stoffel:

      Das Klima braucht vor allem eine nachhaltige Wirtschaft.

    • @Stoffel:

      Das Klima benötigt nur, dass der Mensch aus seiner Sicht endlich von diesem Planeten getilgt wird. 👍