Sondersitzung der EU-Innenminister: Europa mauert
Die EU-Innenminister haben sich darauf geeinigt, europäische Außengrenzen für Flüchtlinge abzuriegeln. Autokratische Anrainer dürfen sich auf Gelder freuen.
E s ist eine typische Geisterdebatte, die die Innenminister der Europäischen Union führen. Kaum, dass die EU-Staaten und die USA aus Afghanistan abgezogen sind, diskutieren Horst Seehofer und seine Kollegen über den Schutz der europäischen Außengrenzen und die Abwehr „illegaler“ Migration. „2015 darf sich nicht wiederholen“, ist das unverhohlene Motto der Minister.
Dabei tun sie so, als stünden – wie vor sechs Jahren – eine Million Menschen in den Startlöchern, um nach Europa auszurücken. Doch dem ist nicht so. Selbst das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet maximal mit 500.000 Afghanen, die der Willkürherrschaft der Taliban entkommen wollen. Der größte Teil dürfte in Nachbarländern wie Pakistan Zuflucht suchen, Europa ist zu weit weg.
Mit der außenpolitischen Realität hat diese Geisterdebatte also wenig zu tun, umso mehr mit Innenpolitik. Der rechtslastige EU-Vorsitz aus Slowenien, die erzkonservative Regierung in Österreich und der CSU-Innenminister aus Deutschland wollen sich keine Blöße geben. Deshalb reden sie (fast) wie Viktor Orban oder Marine Le Pen, so beklagt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ganz zu Recht.
Allerdings sollten wir uns nichts vormachen: Dass sich „2015“ nicht wiederholen dürfe, ist in der EU keine Außenseitermeinung, sondern Konsens. Die entscheidende Frage ist nun, welche Konsequenzen die EU aus dieser Maxime zieht. Und hier fällt die Antwort bitter aus – bisher ist kaum etwas geschehen. Man müsse Fluchtursachen bekämpfen, hieß es nach 2015. Doch nun haben die USA und ihre europäischen Alliierten selbst eine riesige Fluchtursache geschaffen – durch den überstürzten Abzug.
Man müsse legale Fluchtwege schaffen, lautete eine weitere Einsicht. Doch die Innenminister konnten sich nicht einmal darauf einigen, ein Kontingent für besonders Hilfsbedürftige anzubieten. Unerledigt blieb auch die Aufgabe, für eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU zu sorgen. Weil es bis heute keine fairen Regeln gibt und jeder fürchtet, im Zweifel allein im Regen zu stehen, zieht man es vor, die Schotten dicht zu machen, als sich solidarisch zu zeigen.
Allenfalls wollen die EU-Staaten den Nachbarn Afghanistans helfen, die erwarteten Lasten zu stemmen. Die Türkei, Pakistan und andere autokratisch regierte Anrainer dürfen sich jetzt auf einen Geldsegen aus Europa freuen – weil die EU ihre eigenen Hausaufgaben nicht erledigt hat. Und weil sie es nicht wagt, den Hauptverantwortlichen – die USA – zur Rechenschaft zu ziehen. Die Amerikaner waren es schließlich, die den überstürzten Abzug angeordnet haben – gegen den Willen der Europäer.
Bleibt zu hoffen, dass es die Außenminister besser wissen als Seehofer & Co. Sie treffen sich am Donnerstag in Slowenien und können dann endlich über die wahren Probleme in Afghanistan reden. Die unverantwortliche Politik der USA, die blinde Gefolgschaft der Nato, der verlorene Kampf gegen den Terror: All das ist eine Debatte wert. Die Flüchtlinge sind es – jedenfalls bisher – nicht.
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