Selenski zu Besuch in Berlin: Militarisiertes Denken
Der ukrainische Präsident Selenskyj trifft Bundeskanzler Merz in Berlin. Ein Blick auf die Berichterstattung zeigt, dass sie die falschen Prioritäten setzen.

D er ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht Berlin. Das ist schön. Und Kanzler Merz und Selenskyj haben viel zu besprechen.
Doch wie sieht ihre Tagesordnung aus? Öffentlich einsehbar ist die nicht, aber ukrainische Medien berichten wenige Stunden vor Selenskis Eintreffen in Berlin, worüber gesprochen werden soll. Und das sind vor allem: Waffen.
Wo sind die Punkte „Wie lässt sich das Morden in der Ukraine stoppen?“ und „Wie bereiten wir uns auf Friedensverhandlungen vor?“ auf der Tagesordnung von Präsident Selenskyj und Bundeskanzler Merz? Sucht man sie ganz oben, sucht man vergeblich. Sicherlich werden sie unter „Diverses“ abgehandelt.
Im Vorfeld des Besuches ist auch in deutschen Medien viel von „Raketenreichweite“, Taurus, „noch mehr Waffen“, Drohnen, Abfangjäger, „mehr Munition“, Panzerhaubitzen, Gamechangern, Marschflugkörpern und einem längeren Krieg, auf den man sich angeblich einstellen muss, die Rede. Wollen wir mal hoffen, dass man sich da nicht eine Selffulfilling Prophecy geschaffen hat.
Manche sehen es gar als „Haken“, dass Deutschland bisher keine Waffen an die Ukraine geliefert hat, die für Angriffe weit in russisches Territorium hinein eingesetzt werden könnten. Und eine FDP-Politikerin rät, nicht an die Moskauer Geschichte zu glauben, die Marschflugkörper Taurus könnten Moskau erreichen. Offensichtlich hat sie in Geografie nie gute Noten gehabt.
Es gibt keine militärische Lösung
Tagesordnungen sind keine technische Frage. Sie geben Aufschluss über die Prioritätensetzung derer, die sich die Tagesordnung einfallen lassen. Wer Waffensysteme und einem längeren Krieg ganz oben in der Tagesordnung ansetzt, denkt an militärische Lösungen des Krieges. Doch es gibt keine militärische Lösung des Krieges gegen die Ukraine.
Und dabei gibt es viel zu besprechen, wenn man Frieden, einen Waffenstillstand und Verhandlungen will. Angefangen mit der Frage, wie man die USA im Verhandlungsprozess halten kann, wie man einen Waffenstillstand gestalten kann, bis zum Verhandlungsort. Überlegenswert sollte auch sein, wen man gerne als Vermittler hätte: Papst Leo XIV. oder Recep Tayyip Erdoğan?
Wollen wir wirklich warten, bis eine Seite wirtschaftlich, militärisch oder den Vorrat an Ressourcen – übersetzt in menschliche Sprache: Menschen – ausgeschöpft hat?
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