piwik no script img

Scholz' Reaktion auf Klima-AktivistInnenKlimakanzler mit Unterbrechungen

Hält Olaf Scholz Klima-AktivistInnen für Nazis? Kaum. Der Aufruhr um die Redenstörer zeigt aber, dass die deutsche Konsensmaschine stottert.

Und sei es nur, indem man ab und zu den Kanzler unterbricht: Protestaktion auf den Katholikentag Foto: Arnulf Hettrich/imago

A lso Bundeskanzler, nein, das wäre nichts für mich. Einmal mit den Mundwinkeln gezuckt, und der DAX stürzt ab. Einmal beim Telefonat mit Putin gehustet, schon bricht der Atomkrieg los. Einmal blöd über Gegendemonstranten geredet, schon kommt das Twittergewitter.

Aber Verfassungsorgane haben sich eben dauernd im Griff zu haben. Also auch Olaf Scholz. Der sagte in der vergangenen Woche auf dem Katholikentag über Störer in seiner Veranstaltung, diese „schwarz gekleideten Inszenierungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt, und Gott sei Dank“. Das wurde als inakzeptabler Vergleich mit dem Nazi-Terror interpretiert. Aber hält der Kanzler Klima-AktivistInnen wirklich für Nazis? Schwer vorstellbar.

Die Reaktion des Kanzlers und anderer auf dem Podium („wenn ihr euch radikalisiert, bricht das Gespräch ab“) und der Applaus des Publikums lassen mich grübeln. Der Versuch, die Erdüberhitzung aufzuhalten, wird behandelt wie ein Tarifstreit: Alles in Maßen, bloß nix Radikales, wir finden einen Mittelweg.

Das ist die gute alte Konsensmaschine, die dieses Land 70 Jahre lang stabil und wohlhabend gemacht hat. Und die gleichzeitig verhindert hat, dass reale Bedrohungen wie der Klimawandel, das Artensterben oder die Plastiklawine ernsthaft angegangen werden. Zeit-Kollege Bernd Ulrich hat das in seinem Buch „Alles wird anders“ klug seziert.

Randale ist verpönt – auch beim Klima

Denn beim Systemwechsel versagt das System. Die erstaunliche Sache am Klimaprotest ist ja, wie friedlich er bleibt. Freitags Schuleschwänzen ist da schon fast die größte Revolte. Randale ist trotz aller Klima-Horrormeldungen verpönt. Und nun gilt schon ein Zwischenrufer in Schwarz als inakzeptabler Störenfried?

Hier also die verständliche bürgerliche Sehnsucht nach „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, kleinen Schritten und „niemanden überfordern“. Andererseits die ernsthafte Sorge, dass nicht nur im Ahrtal alles den Bach runtergeht.

Eine Leserin schreibt, ihre Patentochter wolle vor dem drohenden Klimakollaps am liebsten nach Südostasien auswandern. Was ich da raten könne? Was soll ich sagen: Dass es bei uns klimatisch eher sicherer ist als in den Tropen? Das sind hier nicht umsonst die „gemäßigten Breiten“. Dass ich lieber in einem demokratischen Land lebe, wo die Krankenhäuser funktionieren und die Müllabfuhr kommt. Dass man statt Deutschlandflucht vielleicht besser hierbleibt und für schnelle Veränderung kämpft.

Und sei es nur, indem man ab und zu den Kanzler unterbricht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • "Das wurde als inakzeptabler Vergleich mit dem Nazi-Terror interpretiert."

    Krass. Eine deutliche Positionierung gegen massive gezielte Störungen demokratischer Debatten ist ein Vergleich mit dem Nazi-Terror.

    Mir scheint die Interpretierenden haben null Ahnung was Nazi-Terror bedeutete. Und überhaupt "Terror". Da hat ein ganzer Staat den Weltkrieg und den Holocaust zu verantworten und die Interpretierenden reduzieren die Verantwortung allein auf Nazis.

  • "Und nun gilt schon ein Zwischenrufer in Schwarz als inakzeptabler Störenfried?"



    Tja, was soll mensch da sagen? Falsche Veranstaltung, falsches Thema. Hätte die Person sich doch lieber auf Bürger*innenversammlungen zur Planung von Asylunterkünften rassistisch geäußert, dann wäre das im deutschen Rahmen geblieben. Besser noch: hätte die Person über ihre Anwält*innen klagen lassen oder hätte die Person ihre Netzwerkkontakte zur Regierung genutzt um Asylunterkünfte zu verhindern ... Aber auf so einer Veranstaltung und dann noch gegen Scholz - das geht doch nicht! /Sarkasmus/

  • Mit dieser Äußerung hat er zumindest sehr effektiv vom eigentlichen Thema abgelenkt.

    Anstatt darüber zu sprechen was wichtig wäre, reden wir über diesen unsäglichen Vergleich.

    Olaf Scholz hat es zumindest erfolgreich geschafft das Wort Klimakanzler zum Schimpfwort zu machen.

    Ich frage mich immer wieder ob unsere Politiker mal einen Blick in die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger des IPCC Berichts geworfen haben.

  • „In neue Infrastruktur für fossile Treibstoffe zu investieren ist moralischer und ökonomischer Wahnsinn. (...) Klimaaktivisten werden manchmal als gefährliche Radikale beschrieben. Aber die echten gefährlichen Radikalen sind die Länder, die die Produktion von fossilen Treibstoffen erhöhen."



    Sagte nicht eine "Radikale" der Klimabewegung, sondern UN-Generalsekretär Guterres und bezieht sich dabei auf die "CO2-Bomben" die Öl- und Gasmultis derzeit zünden. Weil die Welt AUCH DEUTSCHLAND, derzeit hektisch nach Öl- und Gasalternativen zu Gazprom sucht und Einbußen aus den Coronalockdowns wieder "aufholen" will, können Multis aktuell ungestört bereits geplanten riesige neue Förderprojekte aktivieren und niemand stoppt sie. Was gefördert wird, wird auch gebraucht. IMMER. Auch unsere Nachfrage in Deutschland ebnet aktuell den 4 Grad plus Erwärmungspfad. Gute Nacht.



    Ach so, hier noch der Link zum Zitat: www.freitag.de/aut...oerderung-ausbauen

  • Deutschland hat einen direkten Anteil von 2% an der globalen Emission. Auch wenn die Deutschen indirekt für mehr verantwortlich sind- Produktion für deutschen Markt-ist der Einfluß auch indirekt.



    Der deutsche Kanzler ist leider nicht derjenige ,der das globale Klima alleine retten könnte.Zudem ist die Regierung letztlich auf die Wählergunst,die Mehrheit der Wähler schätzt bisher keine negative Veränderung des Lebensstandards

    • @Mustardmaster:

      Den denkbar größten negativen Einfluss auf den Lebensstandard werden die Klimawandelfolgen haben.



      Allerdings kann sich die Mehrheit der Wählenden da beruhigt zurücklehnen, denn sie ist zu alt, als dass sie das noch am eigenen Leibe in voller Grausamkeit wird erleben müssen.



      Sie ist nicht bereit, auch nur ein wenig aus der Komfortzone zu kommen zu Gunsten nachfolgender Generation und zu Gunsten all derer, die unter unserem ausbeuterischen Lebensstil bereits jetzt entsetzlich leiden.



      Wenn einzelne Menschen so denken, wird man das nicht ändern können.



      Von einem verantwortungsbewussten Kanzler erwarte ich allerdings, dass ihnen in ihrem grenzenlosen Egoismus nicht nachläuft.



      Dass ich da von diesem Kanzler zu viel erwarte war mir immer klar.

    • @Mustardmaster:

      Endlich mal jemanden, der den geringen deutschen Einfluss aufzeigt. Gut gemacht. Deutschland kann nicht alleine die Welt retten, auch wenn mancher das glauben mag und möchte.

    • @Mustardmaster:

      "Deutschland hat einen direkten Anteil von 2% an der globalen Emission."



      Stellt dabei aber nur rund 1% der Weltbevölkerung. Was sagt uns das?



      "Der deutsche Kanzler ist leider nicht derjenige ,der das globale Klima alleine retten könnte."



      Niemand kann "alleine" das Klima retten. Das wird nur gemeinsam funktionieren, aber nicht wenn die Deutschen auf China zeigen weil die 30% der globalen Emissionen verurschane und die Chinesen auf die Deutschen zeigen weil die pro Kopf viel mehr emittieren und keiner was tut weil ja erstmal die Anderen was tun sollen.



      "die Mehrheit der Wähler schätzt bisher keine negative Veränderung des Lebensstandards"



      Die Mehrheit der Wähler könnte aber wissen, wenn sie es denn wissen wollte, dass der heutige Lebensstandard so oder so nicht zu halten sein wird, der Unterschied zwischen einem 1,5° Szenario, das massive Einschnitte bedeuten würde und dem 2,8° Szenario auf das wir aktuell zusteuern und das mit sehr hoher Konfidenz zu einem totalen Kollaps menschlicher Zivilisation führen wird, aber recht drastisch ist.

  • Warum dieser verwässernde Kommentar? De erste Kommentar war prägnant und zutreffend

  • Laut ihrer eigenen Aussage, ist doch mittlerweile schon Rechts, wer Ricarda für übergewichtig hält, und diese Meinung öffentlich teilt. Worüber also, regt man sich auf?!



    Und wenn ich sehe, was mittlerweile denen blüht, die eine "andere" Meinung haben, dann finde ich den Vergleich zu "damals" wirklich sehr naheliegend, denn die haben sich keinen Deut anders verhalten

  • Komme was wolle, wir werden auf gar keinen Fall radikal. Wo kämen wir auch hin?

    Ein paar Millionen Tesla auf die Straßen, dann klappt das schon.

    Und dafür:

    "Die Menschen würden dann im Jahr 2060 rund 1,2 Milliarden Tonnen Kunststoffe verbrauchen, gegenüber 460 Millionen Tonnen im Jahr 2019. Entsprechend steigt auch die Menge an Plastikmüll: Von 353 Millionen Tonnen 2019 auf eine Milliarde Tonnen 2060."

    fällt uns auch noch irgendein Gimmick ein.

    taz.de/OECD-warnt-...tikmuell/!5858842/

    • @Jim Hawkins:

      Eben! Das muss alles seine Ordnung haben! Wenn bspw. eine Autobahn geplant wurde, muss sie auch Jahrzehnte später gebaut werden, auch wenn sich zwischenzeitlich die Bedingungen geändert haben! Und von heute auf morgen den eigenen Lebensstil ändern? Och nö, das ist zu anstrengend. Außerdem hat die Grillsaison doch gerade erst angefangen ... Und die Aktivistis sind doch bestimmt so moralinsaure Spaßbremsen, die heimlich selber in den Flieger steigen ... ;-/

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    "Randale ist verpönt"

    Naja, kommt halt drauf an wer sie macht.



    Wenn die Landwirte mit ihren millionenschweren Zugmaschinen ganze Städte tagelang außer Betrieb setzen, (um ihre Gewinne zu sichern), findet das irgendwie jeder verständlich.



    Wenn Jugendliche von Extinction Rebellionen Straßen blockieren, um ihr und unser aller Überleben zu sichern, spricht man von Radikalisierung ...



    In genau diese Kerbe schägt jetzt auch der angebliche "Klimakanzler".

    In unserem Land sind leider die moralischen und ethischen Standards komplett verutscht.

  • Ich denke, es ist kein allein deutsches Phänomen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung keine "Randale" will - egal um welches Thema es geht.

    Im übrigen wird in allen anderen Ländern der Welt ebenfalls nicht gegen Bedrohungen wie Klimawandel & Co. angegangen. Die deutsche Konsensmaschine ist also nicht schuld, wie diese Kolumne impliziert.