Ringen um nächsten EU-Kommissionschef: Skandale qualifizieren für Topjob
Die Regierungschefs einigen sich endlich auf KandidatInnen für die zu besetzenden EU-Posten. Ursula von der Leyen soll Kommissionschefin werden.
Die Bundesverteidigungsministerin von der Leyen soll nach dem Willen der EU-Staats- und Regierungschefs Präsidentin der EU-Kommission werden. Der Gipfel in Brüssel schlug zudem den belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel als Ratspräsident und den spanischen Außenminister Josep Borrell als EU-Außenbeauftragten vor. Neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) soll IWF-Chefin Christine Lagarde werden.
Auf Lagarde und von der Leyen hatten sich zuvor schon Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron geeinigt. Merkel habe sich auch mit den osteuropäischen Visegrad-Staaten beraten, hieß es in Brüssel. Diese hatten am Montag eine Verständigung auf den Sozialdemokraten Timmermans verhindert.
Allerdings waren noch andere Namen im Gespräch, etwa die liberale Dänin Margrethe Vestager. Die EU-Wettbewerbskommissarin ist wegen spektakulärer EU-Verfahren gegen US-Konzerne wie Apple die bekannteste Frau in Brüssel. Gegen Vestager gab es aber auch Vorbehalte, da sie nicht als offizielle Spitzenkandidatin ins Rennen um die Juncker-Nachfolge gegangen ist.
Empörung bei Konservativen
Bereits beim erfolglos abgebrochenen EU-Gipfel am Sonntag und Montag hatte sich das Personenkarussell wild gedreht. Allerdings hatte Kanzlerin Merkel in dieser Phase des Personalpokers noch versucht, das System der Spitzenkandidaten zu retten. Statt Weber schlug sie Timmermans als Kommissionschef vor. Dies führte zu einem Aufschrei der Empörung bei den Konservativen, die für Weber ins Rennen um die Juncker-Nachfolge gegangen waren und sich verraten fühlten. Am Dienstag legte Merkel die nächste gewagte Wende hin. Weil auch Timmermans nicht durchsetzbar schien, rückte sie vom System der Spitzenkandidaten ab.
Von der Leyen hat aus Merkels Sicht mehrere Vorteile: Sie gehört der CDU und damit auch der Europäischen Volkspartei an, die sich nach der Europawahl zum Sieger erklärt hatte. Die überzeugte Europäerin hat Regierungserfahrung und ist – weil sie für deutsche Aufrüstung eintritt – auch in Osteuropa vermittelbar.
Wegen diverser Bundeswehr-Affären wurde wiederholt über ein Ausscheiden von der Leyens aus der Bundesregierung und einen Wechsel nach Brüssel spekuliert. Allerdings dürfte „Flinten-Uschi“ der Sprung an die EU-Spitze nur in einer Paketlösung mit Frankreich gelingen. In Brüssel gibt es jedoch Widerstand gegen solche Machtspiele.
Am Montag hatten sich die Visegrad-Staaten, aber auch Italien, Kroatien und Irland gegen den deutsch-französischen Deal zugunsten von Timmermans ausgesprochen. Paris und Berlin könnten nicht den Kurs vorgeben, hieß es. Am Dienstag zogen Macron und Merkel jedoch wieder an einem Strang.
Sollte von der Leyen aber tatsächlich die Kommission übernehmen, so könnte CSU-Vize Weber nicht mehr wie bisher angedacht das Europaparlament leiten. Zwei Chefposten für Deutschland gelten als ausgeschlossen.
Mit dem neuestem Vorstoß der EU-Regierungschefs würde aber nicht nur Weber leer ausgehen. Auch das Europaparlament würde vor den Kopf gestoßen. Abgesehen von den Liberalen haben nämlich alle großen Parteien bisher darauf bestanden, einen Spitzenkandidaten zum nächsten Chef der EU-Kommission zu nominieren. Über dieses ebenso hehre wie umstrittene Prinzip haben sich die Regierungschefs hinweggesetzt.
Das könnte sich noch rächen – denn das Parlament muss die Kommissionsspitze per Wahl bestätigen. Von den Grünen kam schon vorab ein Schuss vor den Bug. „Von der Leyen als EU Kommissionspräsidentin?“, twitterte Europa-Grünen-Chef Reinhard Bütikofer. „Eine sehr gute Lösung. Für die Bundeswehr.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn