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Rechte Gewalt in GörlitzMutmaßliche Neonazis greifen linke Ak­ti­vis­t*in­nen an

In Görlitz wurden linke Ak­ti­vis­t*in­nen von mutmaßlich Rechtsextremen angegriffen. Von rechter Gewalt ist die gesamte Zivilgesellschaft bedroht.

Ausschnitt aus dem Video aus der Tatnacht Foto: screenshot MDR

Berlin taz | Drei Vermummte verfolgen eine Person auf der Straße, schlagen auf sie ein. Einer der Verfolger springt ihr mit voller Wucht in den Rücken, seine Füße treffen die Wirbelsäule. Die Person fällt zu Boden. Diese Szene aus der Nacht zum Samstag hat ein Augenzeuge in Görlitz aufgezeichnet. Die Aufnahme zeigt einen kurzen Ausschnitt eines Angriffs mutmaßlicher Rechtsextremisten. Sechs bis acht Vermummte griffen laut Polizei fünf bis sechs Personen an. Drei der Angegriffenen wurden dabei verletzt. Unter ihnen sind zwei Kommunalpolitikerinnen der Linken.

Laut LKA Sachsen wurden in der Nähe des Tatorts zunächst zwei Tatverdächtige festgenommen, die inzwischen aber wieder entlassen wurden. „Eine Rechtsgrundlage für die Festnahme lag nicht vor“, sagte Anja Leuschner, Sprecherin der Polizeidirektion Görlitz, der taz. Die Tatverdächtigen kämen aus dem „rechten Spektrum“, sie seien polizeibekannt. Ob sie einer bestimmten Gruppierung angehören, sei derzeit nicht bekannt. Nun ermittelt die Sonderkommission Rechtsextremismus des LKA Sachsen wegen schwerer Körperverletzung.

Die Gruppe war auf dem Weg zum Parteibüro der Linken in Görlitz, als sie angegriffen wurde, berichteten die Betroffenen dem MDR. Die mutmaßlichen Neonazis hätten sie erst mit Pyrotechnik und Flaschen beworfen, dann auch Tränengas eingesetzt. Die Täter hätten auf am Boden liegende Personen eingeschlagen.

Zu den Angegriffenen gehört die Kommunalpolitikerin Samara Schrenk. Sie ist Teil des Görlitzer Kreisvorstands der Linken, engagiert sich im Bündnis „Klare Kante gegen rechts!“ und organisiert Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Den Angriff beschrieb sie dem MDR so: „Ganz viele maskierte Männer standen uns auf einmal gegenüber. Man hat gemerkt, dass einfach gar keine Hemmschwelle mehr da ist.“

Die Betroffenen erlitten teils Platzwunden im Gesicht sowie Prellungen an Rippen und Ellenbogen. Es war nicht das erste Mal, dass die Kommunalpolitikerin rechte Gewalt erfuhr. Bereits im November habe eine Gruppe von Neonazis ihr auf einer Görlitzer Montagsdemo gedroht, man werde sie nicht verschonen, nur weil sie eine Frau sei.

Es fehlt der systematische Schutz vor rechter Gewalt

Nicht nur Po­li­ti­ke­r*in­nen der Linken seien regelmäßig Opfer von rechtsextremer Gewalt, sagte Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung: „Solche Angriffe treffen die gesamte demokratische Zivilgesellschaft.“ Seit der Europawahl im Juni 2024 verzeichnet die Stiftung in der ganzen Bundesrepublik einen Anstieg rechter Gewalt. Die ostdeutschen Bundesländer seien zwar besonders betroffen, aber auch in Westdeutschland gebe es immer mehr Vorfälle.

In Schwerpunktgebieten rechter Gewalt, zu denen auch Görlitz zähle, brauche es nur sehr wenig, um zur Zielscheibe Rechtsextremer zu werden. Es reiche dazu ein klares Bekenntnis zur Demokratie, die Zugehörigkeit zu demokratischen Parteien, der Wille, Geflüchteten zu helfen, oder Engagement in zivilgesellschaftlichen Initiativen. Die Übergriffe reichten von Beschimpfungen, Verunglimpfungen, Anfeindungen bis hin zu Gewalt. Wie verbreitet solche Übergriffe sind, zeigt auch eine Umfrage von So­zi­al­wis­sen­schaft­le­r*in­nen unter demokratisch engagierten Menschen: 79 Prozent der Befragten gaben an, schon gewaltbezogene Bedrohung erlebt zu haben. 8 Prozent von ihnen wurden mit dem Tod bedroht.

Für Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen oder Engagierte der Zivilgesellschaft fehle der systematische Schutz vor rechter Gewalt. Oft würden Straftaten nicht ausermittelt, die Täter kämen viel zu häufig mit mickrigen Strafen oder ganz ohne juristische Konsequenzen davon, kritisierte Blumenthaler.

Festnahmen und Strafverfolgung hätte es aber immerhin nach Angriffen mit Beteiligung der rechtsextremen Gruppe Elb­land­revolte gegeben. Ein Mitglied war beispielsweise am Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke beteiligt, der im Mai in Dresden beim Plakatieren von vier Männern schwer verletzt wurde. Das wirksamste Mittel dagegen sei genau das, eine konsequente juristische Verfolgung rechter Gewalt, so Blumenthaler. Auch im Bundestagswahlkampf rechnet er mit weiteren Übergriffen auf demokratische Politiker*innen.

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33 Kommentare

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  • Was ist mit dem Angriff von der SPD Vorsitzenden auf den AFD MItglied jetzt zu deuten? Angriff ist Angriff egal von wem und wie

    • @Cello:

      Immerhin ein Lebenszeichen von der SPD. Was Onkel Herbert in den 50ern recht war, sollte auch heute jedem billig sein, der nicht tatenlos zuschauen will, wie dieses Geschwür weiter wächst.

    • @Cello:

      Erklären Sie bitte mal etwas genauer, was Sie uns sagen wollen - welche SPD-Vorsitzende hat wo und wann welches AfD-Mitglied angegriffen?

      • @Volker Scheunert:

        Am 21. Dezember hat in einer Kneipe in Hürth bei Köln ein SPD-Politiker einen AfD-Politiker körperlich attackiert. Den Vorfall meinte wohl Cello.

  • Nazis in Deutschland halt.

  • Mutmaßlich!!



    "Ich lach mich tot!" (Olli Kahn)

  • So, die Neonazis sind "mutmaßlich". Das muss man als Journalist wohl so ausdrücken. Die angegriffenen Menschen sind aber definitiv "linke Aktivist-Innen"? Warum sind das nicht einfach Frauen oder Männer?



    Davon abgesehen: „Eine Rechtsgrundlage für die Festnahme lag nicht vor“ - Bei anderes Straftaten ist das Geschrei nach Gesetzesverschärfungen gleich sehr laut. Aber Menschen auf der Straße aus niederen Beweggründen angreifen ist kein Haftgrund? Das ist "schade".

  • Wer von Neonazis angegriffen wird:

    Linkspartei (ohne BSW), Grüne, machmal SPD, selten Union.

    Wer bislang nicht von Neonazis angegriffen wird:

    Die anderen.

    Büschen auffällich is das schon, newar.

    • @Ajuga:

      somit haben die anderen BSW und AfD einen Draht zu diesen Terroristen. Somit sollten wir Demokraten und vor allem alle Parteien der sog. Mitte die beiden extremistischen Parteien dazu aufrufen gegen die Rechtsextremen vorzugehen. Solange die das nicht tun sollten BSW und AfD für Übergriffe verantwortlich gemacht werden. Und das nicht nur indirekt, das AfD und BSW als undemokratisch bezeichnet werden sondern wegen ihrer Unterlassung in Mitverantwortung genommen werden. Wer den Wahnsinn in Magdeburg für seine politischen Ziele auschlachtet hat jedes Maß an Menchlichkeit verloren.

  • Pfoten weg von unseren Kumpeln!



    Rechtstaat auch gegen Rechte durchsetzen!



    Die 1920er mahnen.

    • @Janix:

      Korrekt. Historich betrachtet ist jetzt aktive Solidarität gefragt. Nicht nur von den Bürgern sondern viel mehr und gerade von der Exekutive.

  • Das ist ein besorgniserregendes Ereignis und ich hoffe, dass die Verantworlichen überführt und für lange Zeit aus dem öffentlichen Raum entfernt werden,



    Den Opfern dieser Gewalttat gilt mein volles Mitgefühl. Ich hoffe, dass sie sich nicht in ihrem Entschluss, gegen diese rechte Gewalt aktiv zu werden, abbringen lassen.

  • Unsere Behörden, Sicherheitsorgane und die Justiz müssen rechte Gewalt endlich ernst nehmen! Besonders bei der Polizei und der Justiz scheint hier noch eine merkwürdige Laissez-faire-Einstellung vorzuherrschen.



    Solche Angriffe sind meiner Meinung nach grundsätzlich als Mordversuche zu werten. Werden sie in Gruppen ausgeführt, würde ich stets von der Bildung einer kriminellen Vereinigung und terroristischen Straftaten ausgehen. Um sicherzugehen, dass Zeugenaussagen nicht abgesprochen werden können, würde ich in solchen Fällen auch stets Untersuchungshaft anordnen.

    • @Aurego:

      Gewalttaten werden schon lange nicht angemessen verfolgt, durfte das selbst erleben nach einem Angriff eines vorher schon mehrfach auffälligen Täters gegen meine Tochter, die Justiz schien sich mehr für den Täter zu interressieren, das Opfer wurde nicht mal als Zeuge wahrgenommen.

    • @Aurego:

      Da würde ich zustimmen.



      Allerdings bekommst du hoffentlich nicht die Gelegenheit zu beobachten wie das bei einem Gerichtsverfahren gegen Rechtsextreme abläuft. Da reicht es leider nicht, wenn sich ein Nazi eine Waffe einpackt, Leute provoziert und ihnen dann Verletzungen zufügt, die zum Tod führen würden. Das Stichwort lautet "Tötungsabsicht". Kann ja sein, dass der Nazi zwar die Schlägerei anfängt, dann aber in eine Situation kommt in der er leider, leider seine Waffe einsetzen muss. Und nur weil man der Nazi jemanden mit einer mitgebrachten Waffe "nach" einer von ihm provozierten Schlägerei mehrere Wunden zufügt, die zum Tod führen können, heißt das ja noch nicht, dass er überhaupt vorhatte denjenigen zu töten.



      Besser haben es da Polizisten: Da wird selbst bei vergleichsweise kleinen Verletzungen immer (aber auch nicht häufiger als bei normalen Menschen ;) ) von einer Mordabsicht ausgegangen. Nimm z.B.: den Fall als die Polizei in Leipzig widerrechtlich Minderjährige eingekesselt und festgehalten hat. Da flog ein Molotovcocktail _neben_ die Polizei und siehe da: Mordversuch. Da streitet man sich nicht über die Absicht. Derartige Beispiele gibt es Massenhaft.

  • Zwei Säulen der Demokratie scheinen in einigen Gegenden Ostdeutschlands ins Wanken geraten zu sein.

    Das Bild welches die Exekutive und die Judikative teilweise abgeben wenn es um rechtsextremistische Straftaten geht, kann mit viel gutem Willen gerade noch als kläglich bezeichnet werden.

    Mit etwas weniger guten Willen könnte man angesichts der milden Urteile und der nachlässigen Ermittlungsarbeit seitens der Polizei auch auf andere Gedanken kommen.

    Das der Staat sein Gewaltmonopol nicht ausschöpft und Rechtsextremisten den öffentlichen Raum weitgehend überlässt ist ein Trauerspiel, es erschüttert das Vertrauen in den Rechtsstaat und beschädigt das Ansehen der Demokratie.

    Unter diesen Zuständen zu Leiden haben diejenigen Bürger, welche sich eine demokratischen Gesinnung bewahrt und darauf vertraut haben, dass der Staat in der Lage ist seine Bürger zu schützen.

    Denn gefährlich ist es seit längerer Zeit bereits für diejenigen, die schon rein optisch nicht in das Bild der Rechtsextremisten passen.

    Der Staat steht in der Pflicht, diese Personen zu schützen und er ist angehalten, die Sicherheit im öffentlichen Raum zu gewährleisten.

    • @Sam Spade:

      Warum so vorsichtig formuliert?

      Unsere Behörden gerade im Osten sind selber zu großem Teilen von Rechten unterwandert und rechte Schläger haben da Narrenfreiheit. Hunderte unvollstreckter Haftbefehle, absolute Wischiwaschiurteile (siehe Ballstädt)‌, mittlerweile tagtägliche Angriffe auf Personen der Zivilgeselllschaft.

      Wenn das Linke wären dann wäre der Staat da schon mit der Armee angerückt, wir hätten nationalen Notstand und Sie könnten keinen Bahnhof betreten ohne damit rechnen zu müssen, mit vorgehaltener MP kontrolliert zu werden.

      Alles was Sie von der Politik bekommen ist seiernd salbadernder Pathos und Schulterklopfen.

      • @David Palme:

        Ich träume von Abschiebungen bei rechter Gewalt.



        Egal wohin.

      • @David Palme:

        Wie in den 1920-er Jahren. Wenn die beiden Säulen der Demokratie nicht aktiv demokratich werden, wird das in einer Machtergreifung der Rechten enden. Daran arbeitet die AfD mit Hochdruck.

    • @Sam Spade:

      Dann brauchen wir flächendeckend Kameras, Vorratsdatenspeicherung, fünfmal so viel Polizei, die jederzeit alles im Blick hat, ausgestattet mit umfassenden Befugnissen. Wollen wir das?

      • @Wonneproppen:

        Nein, wir bräuchten eine flächendeckende Kontrolle der Polizei, die von der Polizei unabhängig ist. Gar nicht mal vorbeugend, aber bei den Zuständen in manchen Gegenden gäbe es sehr sehr viel für eine solche Einrichtung zu tun.

        • @T 1000:

          Und wer kontrolliert die?



          Ich denke das Verhältnis von Einsätzen pro Jahr und (erstmal reinen) Beschwerden/Vorwürfen spricht sehr für die gute Arbeit der Beamten.

      • @Wonneproppen:

        Brauchen wir nicht, aber dafür eine Polizei, die ihre Prioritäten richtig setzt! Bei linken Demos ist sie nämlich immer in voller Mannstärke und komplett ausgerüstet, scheut auch nicht vor Gewaltanwendung zurück, während sie bei rechten Aufmärschen - einschließlich sogenannter Querdenker - regelmäßig überrascht und unterbesetzt ist. Und ja, das systemisch.

      • @Wonneproppen:

        Nein, das brauchen wir sicher nicht. Was wir brauchen ist eine auf demokratichem Boden stehende Polizei die sich nicht unterwandern lässt und eine Justiz die nicht einseitig urteilt.

        • @Sonnenhaus:

          Bis jetzt hat hat noch jede Untersuchung, Statistik und Umfrage für eine saubere Polizei gesprochen. Dass es bei 300.000 Polizisten im ganzen Land einzelne Faule Eier gibt, das wird man nicht verhindern können.

          Wie hoch ist der Anteil Gewalttäter und Extremisten bei linken Demos? Sicherlich um ein Vielfaches höher. Wie oft lese ich "System abschaffen", "angreifen", "Widerstand"!? Von verbrecherischen Groß- und Kleinschreibung ganz zu schweigen.

      • @Wonneproppen:

        Oder halt einen Rechtsstaat, der rechtsextreme konsequent aus seinem Dienst entlässt und keine nachsichtige Sonderbehandlung für Rechtsextreme vor Gericht.

      • @Wonneproppen:

        Wer will schon Pest gegen Cholera eintauschen.

        So, wie es jetzt läuft, ist jedenfalls nicht akzeptabel.



        Wenn ich aber eine Lösung wüsste, wäre ich für die derzeitige Politik noch weniger geeignet als jetzt.

  • "Es fehlt der systematische Schutz vor rechter Gewalt". Das ist genau so und die Tat in Magdeburg hat genau so einen Hintergrund, neben der üblich deutschen Schlafmützigkeit in Sachen Sicherheit.

  • Warum ist immer die Rede von der "Zivilgesellschaft" und nicht schlicht von der "Gesellschaft"? Wen schließt man da bewusst aus?

    • @QuerBeetLeser:

      Die Zivilgesellschaft umfasst die Gesamtheit des Engagements der Bürgerinnen und Bürger eines Lande. Thats all.

    • @QuerBeetLeser:

      Rein formal gesehen: die Bundeswehr...

      Aber ich glaube, eher Staat und NGOs. Wenn man "Bürger*innen" sagen aber die semantische Verbindung mit Bürgerlichkeit oder Bourgeoisie vermeiden will.

    • @QuerBeetLeser:

      Koinōnía politikḗ nach Aristoteles umfasst die gemeinsam in derselben Stadt Lebenden, wobei Aristoteles leider wie fast alle damaligen Griechen bei den Menschengruppen noch unterscheidet.



      Nehmen Sie aber moderne Nutzer des Wortes wie Havel als Maßstab, sieht das harmloser aus. Verantwortlich und handlungsfähig sind wir eigentlich alle.

    • @QuerBeetLeser:

      Da stellen Sie eine spannende Frage.

      Nicht "Zivilgesellschaft" sind z. B. Behördenbeschäftigte, wie Polizist_ innen, Justizbedienstete, etc.

      Dass die angegriffen werden, passiert ja auch.

      Natürlich kann man nur spekulieren, warum diese Leute von der Autorin und dem Autor nicht mit eingeschlossen werden.