Reagieren bei Polizeigewalt: Was tun, wenn’s knallt
Viele wissen nicht, wie sie reagieren sollen, wenn sie Polizeigewalt beobachten. Ein kleiner Ratgeber, was Sie tun können und was legal ist.
Sie kommen um die Ecke. Da sehen Sie, wie ein Polizist auf einem Mann sitzt und ihn festhält. Der Mann liegt auf dem Boden und schreit. Ihnen kommt die Situation bedenklich vor. Sie denken an Minneapolis, als ein Polizist Ende Mai den 46-jährigen George Floyd tötete, indem er fast neun Minuten lang sein Knie in dessen Nacken drückte. Sie wollen nicht einfach weitergehen.
Was darf die Polizei?
Die Polizei darf Menschen festnehmen, wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden oder wenn gegen sie ein Haftbefehl vorliegt. Bei der Festnahme darf die Polizei, soweit erforderlich, auch Gewalt anwenden. Die Gewalt muss aber verhältnismäßig sein, das heißt geeignet, erforderlich und angemessen. Auch wenn jemand eine Straftat begangen oder Polizisten angegriffen hat, darf die Polizei nicht machen, was sie will. Unverhältnismäßige Gewalt ist stets rechtswidrig.
Sie als Passant wissen aber nicht, was in den Minuten vorher passiert ist. Vielleicht hat der Mann gerade jemanden getötet, vielleicht war er bewaffnet, vielleicht steht er unter aufputschenden Drogen oder leidet unter aggressiven Wahnvorstellungen. Es kann viele Gründe geben, warum der Polizeieinsatz notwendig und rechtmäßig ist. Sie als hinzugekommener Passant sollten sich bewusst sein, dass Sie nicht wissen, ob die Polizei hier rechtswidrig oder rechtmäßig handelt.
Sollten Sie den Polizeieinsatz filmen?
Ja. Einen uneindeutigen Polizeieinsatz zu filmen ist in der Regel sinnvoll. Heute ist dies auch leicht möglich, fast jeder hat inzwischen ein Smartphone dabei, das Videoaufnahmen erlaubt.
Wenn die Polizei merkt, dass sie bei einer Festnahme gefilmt wird, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass sie rechtsstaatlich vorgeht. Sollte es später zu Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung kommen, ist die Handyaufnahme ein wichtiges Beweismittel. Falschaussagen von Beteiligten (auch der Polizisten) sind dann deutlich erschwert.
Selbst wenn bereits andere Passanten filmen, sollten auch Sie filmen. Je mehr Leute aus unterschiedlichen Perspektiven einen fragwürdigen Einsatz filmen, umso besser kann dieser später bewertet werden. Je mehr Passanten den Einsatz filmen, umso schwerer ist es auch für die Polizei, das zu verhindern.
Dürfen Sie den Polizeieinsatz filmen?
Das ist leider noch umstritten. Es gibt aber kein Gesetz, das das Filmen von Polizeieinsätzen generell verbietet.
Früher berief sich die Polizei auf das Kunsturhebergesetz, das auch das Recht am eigenen Bild schützt. Verboten ist dabei aber nur das Verbreiten von Aufnahmen, die ohne Einwilligung oder sonstige Berechtigung aufgenommen wurden. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2015, dass die Polizei, wenn sie gefilmt wird, nicht einfach unterstellen darf, dass die Bilder später verbreitet werden. Es könne ja auch sein, so die Richter, dass die Aufnahmen nur der Beweissicherung dienen, was legal wäre.
Seitdem beruft sich die Polizei, wenn sie sich gegen Aufnahmen wehren will, immer wieder auf eine Strafnorm zum Schutz der „Vertraulichkeit des Wortes“. Es geht dabei also nicht um die Bilder, sondern um die mitlaufende Tonspur. Nach dieser Strafnorm ist schon die Aufnahme strafbar (nicht erst das Verbreiten).
Der Kölner Rechtsanwalt Christian Mertens hat erst im Mai das Bundesverfassungsgericht in einem entsprechenden Fall angerufen. Er hofft auf einen Karlsruher Beschluss, dass diese Strafnorm nicht benutzt werden darf, um die Dokumentation von Polizeieinsätzen zu verhindern. Wie der Fall aus Minneapolis zeigt, ist gerade auch die Tonaufnahme („I can’t breathe“) wichtig.
Bisher ist die Rechtsprechung uneinheitlich. Das Landgericht Kassel hat eine Strafverfolgung von filmenden Passanten abgelehnt, das Landgericht München I hat sie erlaubt.
Darf die Polizei Ihr Smartphone beschlagnahmen?
Solange nicht höchstrichterlich geklärt ist, dass das Filmen von Polizeieinsätzen erlaubt ist, wird die Polizei immer wieder versuchen, die zum Filmen benutzten Handys zu beschlagnahmen. Sie wird dann behaupten, es liege der Anfangsverdacht einer Straftat vor.
Wenn Sie einen Polizeieinsatz filmen, kann es also sein, dass Sie für einige Wochen oder Monate auf Ihr Smartphone verzichten müssen. Besonders frappierend ist eine Beschlagnahme, wenn sie bereits während des laufenden Polizeieinsatzes erfolgt und damit dessen weitere Dokumentation verhindert. Man stelle sich nur vor, die Polizisten in Minneapolis hätten der Passantin, die den Polizeieinsatz filmte, schon nach zwei Minuten das Smartphone weggenommen.
Was sollten Sie beim Filmen beachten?
Wenn Sie aus einigen Metern Entfernung filmen, ist es für die Polizei deutlich schwerer, gegen Sie vorzugehen, denn nun sind „vertraulich“ gesprochene Worte offensichtlich nicht mehr zu hören.
Sie sollten beim Filmen auch nicht ankündigen, dass Sie die Aufnahmen im Internet veröffentlichen werden, da auch dies ein Vorgehen gegen Sie rechtfertigen könnte. Es genügt, wenn Sie darauf hinweisen, dass Sie den Einsatz filmen.
Wenn die Polizei das Smartphone beschlagnahmen will, sollten Sie vorher die Displaysperre (auch Screenlock oder Sperrbildschirm genannt) aktivieren. Das Gerät kann dann nur durch die PIN oder ein ähnliches Verfahren entsperrt werden, also nicht ohne Ihre Mitwirkung. So verhindern Sie, dass ein Polizist das Video des Polizeieinsatzes sofort wieder löscht.
Wie können Sie sonst intervenieren?
Auf keinen Fall sollten Sie die Polizisten beim Einsatz behindern oder gar körperlich angehen. Denken Sie daran: Auch wenn der Einsatz beunruhigend wirkt, könnte er rechtmäßig sein. Ihnen droht dann jedenfalls schnell eine Strafanzeige wegen eines Angriffs auf Vollstreckungsbeamte oder wegen versuchter Gefangenenbefreiung.
Aber Sie können Passanten ansprechen und auf die Situation aufmerksam machen. Vielleicht sind auch sie bereit, die Situation zu filmen. Oder die Passanten sind bereit, Ihnen das eben Gesehene zu schildern und sich dabei filmen zu lassen.
Sie können auch Kollegen des Polizisten ansprechen und bitten, die vermeintlich exzessive Gewalt zu stoppen. Oft haben dabeistehende Beamte einen ruhigeren Kopf als ein Polizist, der vielleicht eben noch angegriffen wurde.
Sie können sogar die Polizei anrufen (110) und schildern, was Sie sehen, dann ist Ihr Anruf in der Einsatzzentrale dokumentiert und kann später auch ein Beweismittel sein.
Ist es sinnvoll, Polizisten anzuzeigen?
Wenn Sie nach Abschluss des Polizeieinsatzes den Eindruck haben, die Polizeigewalt sei unverhältnismäßig gewesen, sollten Sie eine Strafanzeige in Erwägung ziehen. Viele Betroffene verzichten darauf, Polizisten anzuzeigen, weil sie das Gefühl haben, dass es ohnehin nichts bringt. Die Polizei verweist dann aber auf die sehr niedrige Anzahl entsprechender Ermittlungsverfahren.
Früher mussten Betroffene, die nach einer aggressiv durchgeführten Festnahme die Polizisten anzeigten, damit rechnen, dass sie postwendend von den Polizisten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ebenfalls angezeigt wurden. Dies ist heute nicht mehr üblich, weil Polizisten gehalten sind, Widerstandshandlungen sofort zu dokumentieren und anzuzeigen (und nicht erst als Reaktion auf ein Vorgehen des Betroffenen).
Passanten, die nach einem Polizeieinsatz eine Strafanzeige stellen, droht eventuell eine Strafanzeige der Polizisten wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung. Deshalb sollte eine Strafanzeige vor allem dann gestellt werden, wenn der Einsatz gut dokumentiert ist und es viele Zeugen gibt. Die Strafanzeige verspricht dann nicht nur mehr Erfolg, sondern ist auch risikoärmer. Zur Formulierung einer Strafanzeige gegen Polizisten empfiehlt sich anwaltliche Beratung.
Statt eine Strafanzeige zu stellen, können Sie Ihr Videomaterial auch Journalisten überlassen, die es dann veröffentlichen und die Polizei und Staatsanwaltschaft um Stellungnahme bitten können. Auch so können Ermittlungen ausgelöst werden, ohne dass Sie sich exponieren müssen.
Empfohlener externer Inhalt
.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld