Rassistische Klischees im Karneval: Rassismus Helau

„Zigeunertänze“ oder das Klischee der „leidenschaftlichen Zigeunerin“ gehören zur Fastnacht. KritikerInnen wollen rassistische Auswüchse unterbinden.

Karnevalsmaske

Im Karneval werden munter rassistische Klischees reproduziert Foto: Günter Schenk

Mainz taz | Thüringen ist eine Karnevalshochburg – über dreihundert Mitgliedsvereine zählt der dortige Landesverband der Karnevalsvereine. Es ist eine bunte Landschaft, jeder Verein hat seinen eigenen Narrenruf. Der Suhler Carneval Club ruft „Sulli Sulli Helau“, weiter im Norden erschallt ein „Zeinbocksrode Meck Meck“.

Und beim Karnevalsverein in Niederschmalkalden, einem 700-Seelen-Ort im südlichen Thüringen, heißt es „Zigeuner Helau!“. Der Ruf sorgte in diesen Tagen für Kritik in den sozialen Netzwerken. Er sei ein Beispiel für Alltagsrassismus. Sonst hat sich bisher allerdings wohl noch niemand an dem eigentümlichen Narrenruf der Thüringer groß gestört.

ist eine Fremdbezeichnung und wird von Sin­ti:­ze und Rom:­nja abgelehnt. Auch wird der Terminus „Antiziganismus“ häufig von Angehörigen der Roma-Minderheiten abgelehnt, da es die rassistische Bezeichnung reproduziert. Im Text wird das Z-Wort ausschließlich als Zitat wiedergegeben, der rassistische Charakter des Begriffs steht außer Frage. (Anmerkung der Redaktion).

Für Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, ist das erschreckend. Wie diskriminierend diese Fremdbezeichnung von Sinti und Roma empfunden werde, sei nun schon oft genug Gegenstand der öffentlichen Diskussion gewesen. „Jeder hat schon einmal gehört, dass man diesen Begriff besser vermeidet.“ Und dass man hundert Kilometer von der Gedenkstätte in Buchenwald entfernt unbeschwert einen solch befremdlichen Narrenruf intoniert, macht ihn fassungslos: „Wir reden uns in der Gedenkstättenarbeit zur Verfolgung der Sinti und Roma den Mund fusselig, und die finden es lustig, ‚Zigeuner Helau‘ zu rufen.“

Der „Zigeuner“ gehört zum Karneval dazu, das ist keine Thüringer Spezialität: Im baden-württembergischen Schwarzach existiert seit mehr als 60 Jahren der Carneval-Club „Zigeunerio“. Im Programm: Der „Zigeunerschorsch“, „Zigeunerlieder“, „Zigeunertänze“. So geht das bei dem Traditionsverein seit Jahren. Auch im neuen Jahrtausend hat sich da nichts geändert: Da gibt es den „Zigeunerball“, die „Zigeunernacht“, die „Zigeunergarde“ und die „Zigeiner Buwe“ – das vereinseigene Männerballett.

Kekse vom örtlichen Bäcker

Auch in Allmendingen im Alb-Donau-Kreis nennt sich eine Narrenzunft „Zigeunergruppe“. Sie wurde 1976 gegründet. Das dortige „Zigeunervolk“ wird nicht nur von einer „Zigeunerkapelle“ unterstützt, sondern auch vom örtlichen Bäcker. Der hat in diesem Jahr närrische Kekse gebacken. Die Aufschrift in Zuckerguss: „I be a Zigeiner“. Die Kekse kann man vorbestellen.

Im hessischen Hofheim hat sich die „Zigeunergruppe“, eine Tanzformation der Karnevalsgesellschaft 1900, zwar aufgelöst, wird aber weiterhin mit einem „Zigeunerwagen“ bei den Fastnachtsumzügen dabei sein und durfte sich auch ins Goldene Buch der Stadt eintragen: „Sie waren sechzig Jahre sympathische Botschafter für Hofheim“, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt.

Fast nirgends gibt es Diskussionen über das doch eigentlich unaussprechliche Wort. In Stuttgart sorgte der Name des Karnevalsvereins „Zigeunerinsel“ einmal für kritische Anmerkungen. Ein Politiker der Linkspartei bezeichnete den Namen als diskriminierend, eine Sprecherin des Landesverbands der Sinti und Roma hoffte auf eine Sensibilisierung der Vereinsmitglieder.

Doch die sehen kein Problem, der Name des Vereins gehe schließlich auf ein historisches Gebiet zurück: „Seit dem Mittelalter wurde dieses Gebiet durchziehenden Zigeunern als Lagerplatz angewiesen, da sie nicht innerhalb der Stadtmauern Stuttgarts nächtigen durften.“ In Erinnerung daran werde dieses Gebiet noch Zigeunerinsel genannt. „Einmal Zigeuner, immer Zigeuner“, heißt es selbst- und traditionsbewusst. Dass Angehörige der Sinti und Roma das diskriminierend finden, kann man offenbar nicht nachvollziehen.

Die Welt des Teufels

Auch anderswo nicht: Durch Köln ziehen die „Ihrefelder Zigeuner“, in Massenbachhausen tanzen alljährlich die „Zigeunerinnen“, und im bayerischen Amtzell gibt es den närrischen Ruf: „Loch zua – Zigeuner kommet“.

All das hat eine lange ­Tradition, nicht nur in Deutschland, in ganz Europa. „Die Fastnacht hat im Mittelalter das Reich des Teufels verkörpert“, sagt Karnevalsexperte Günter Schenk aus Mainz. Er erforscht seit Jahrzehnten die Geschichte des Brauchtums. „Alle Außenseiter der Gesellschaft sind dieser Welt des Teufels zugeordnet worden: Bettler und Hausierer, alte Frauen, Juden, behinderte Menschen, die damals noch Narren genannt wurden.“ Auch Sinti und Roma gehörten zu dieser Gruppe, die ausgegrenzt wurde und der man nur Verachtung entgegenbrachte. In diese „böse Welt“ zu fliehen, aus dem Alltag auszubrechen und in eine andere Rolle zu schlüpfen sei faszinierend.

Die Faszination, die die Maske des „Zigeuners“ auf brave Bürger ausübt, sieht auch der Kulturwissenschaftler Tobias Neuburger. Er forscht an der Leibniz Universität Hannover über Antiziganismus. Er weist darauf hin, dass es nicht nur die romantische Figur der „schönen Zigeunerin“ oder des melancholischen „Zigeunergeigers“ ist, die bei den Maskeraden eine Rolle spielten.

Auch die Gewalt gegen Sinti und Roma wird in den Fastnachtsumzügen seit dem 19. Jahrhundert immer wieder inszeniert: „So wurde beispielsweise auch die damals weitverbreitete und brutale Vertreibung von Sinti und Roma in diesen Umzügen nachgestellt. Da sah man dann verkleidete Polizisten, die Figuren ‚krimineller Zigeuner‘ durch das Dorf trieben. Und die Zuschauer, die amüsierten sich über dieses makabre Spiel.“ Das Bild des „Zigeuners“ in der Fastnacht sei schon immer geprägt von Stereotypen und dem Hass auf die „unheimlichen Fremden“.

Beliebteste Verkleidungen

In den Katalogen der Karnevalskostüme schillert die Figur: „Als leidenschaftliche Zigeunerin sind Sie im Karneval und Fasching genau richtig“, heißt es bei einem Kostüm­anbieter. Die „verführerische Zigeunerin“, der „freie Zigeuner“ – sie gehören zu den beliebtesten Karnevalsverkleidungen.

„Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass wir nicht alles verbieten wollen und können“, sagt Herbert Heuss vom Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma in Heidelberg. Wenn aber die Minderheit verächtlich gemacht werde, sieht er Handlungsbedarf. Den gab es zum Beispiel, als vor ein paar Jahren bei einem Fastnachtsumzug ein Wagen mit dem Schild „Zick zack Zigeunerpack“ auftauchte. So etwas hält Heuss für nicht hinnehmbar.

Gegen jede Tanzgruppe, die sich „Zigeuner“ nennt, einzuschreiten, hält er dagegen nicht für sinnvoll. Angezeigt wäre es, dass die Karnevalsvereine sich bewusst machten, was sie da eigentlich tun. „Die Figur des ‚Zigeuners‘ war schon immer faszinierend, mit ihr träumt man sich beim Karneval in ein anderes Leben.“ In ein lustiges „Zigeunerleben, ein Leben ohne Zwänge und Arbeit, ein Leben, in dem die gewohnte Ordnung und Hierarchie umgekehrt werden, für ein paar Tage. Zugleich bleibe die gesellschaftliche Ächtung und Stigmatisierung von Sinti und Roma bestehen. Das – und ihre Rolle dabei – müsse den Karnevalsvereinen klar sein.

Dass sein „Zigeuner Helau“ ein Problem darstellen könnte, war dem Niederschmalkaldener Carnevalsverein bisher nicht klar. Der Schlachtruf gehe auf eine Legende zurück, erklärt Vereinschef Guido Wiedemann. Vor Hunderten von Jahren sollen „Zigeuner“ Niederschmalkalden gegründet haben, weil sie eine Wagenpanne hatten. Von dieser Geschichte, sicher nur einer Legende, komme der Spitzname „Zigeuner“ für die Dorfbewohner. Sie würden sich auch selbst so nennen, das sei nicht bösartig ­gemeint.

Dass Menschen, die das nicht wüssten, der Narrenruf irritieren könnte, versteht Wiedemann. Er verweist auf das Gründungsjahr seines Vereins: 1972. „Da hat das wirklich keinen interessiert, schon gar nicht in der DDR.“ Nun überlegt Wiedemann, den Ursprung des Schlachtrufs wenigstens zu erklären und die Geschichte auf die Vereinshomepage zu bringen.

Der Verein feiert demnächst 50-jähriges Jubiläum. Der Historiker Jens-Christian Wagner meint, das wäre doch ein guter Anlass, sich von diesem Schlachtruf zu verabschieden. Und vielleicht passiert das sogar. „So etwas ist ja nicht in Stein gemeißelt“, sagt Narrenchef Wiedemann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.