piwik no script img

Politische KorrektheitIch, Zigeuner

Wer „Sinti und Roma“ sagt, glaubt, es richtig zu machen. Man kann aber auch „Zigeuner“ sagen. Solange man nicht ein fahrendes Volk mit dunklen Augen meint.

„Zigeunersoße“. Gibt es in Ungarn nicht. Dort heißen „Zigeunerschnitzel“ auch „Ethnoschnitzel“ Bild: imago/imagebroker

Stellen Sie sich vor, sie bestellen ein „Romaschnitzel“ oder „Ethnoschnitzel“ statt eines „Zigeunerschnitzels“. Klingt komisch, ist es aber nicht. So steht es in ungarischen Speisekarten. Die Ordnung politisch korrekter Begriffe hat ihre Fallstricke, und die Leute werden immer unsicherer, wie sie Angehörige dieser Ethnie nennen sollen. Ist es wirklich ein Zeichen von Aufklärung, die Begriffe Sinti und Roma zu verwenden? Nur weil „Zigeuner“ als eindeutiges Schimpfwort gilt?

Für mich ist die Antwort eindeutig: Ich bin Zigeuner. Und ich bin nicht damit einverstanden, dass der Begriff „Zigeuner“ ein mit Klischees und Vorurteilen belastetes Schimpf- und Schmähwort ist. Und gleichzeitig finde ich es schwierig, dass einige meiner Bekannten mich nicht „Zigeuner“ nennen. Mit dem Gebrauch politisch korrekter Begriffe stellt sich nicht unmittelbar Respekt ein. Und die alltägliche Diskriminierung wird nicht dadurch geringer, dass man die Bezeichnungen „Sinti“ und „Roma“ benutzt.

Das ungarische „Cigány“ (Zigeuner) ist nur ein Wort. Es sagt nichts über das Verhältnis zu Vertretern dieser Volksgruppe aus. Ein Großteil der Ungarn weiß sowieso kaum etwas über mein Volk und hat wenig persönliche Erfahrungen mit uns. „Du hast blaue Augen, du bist kein Zigeuner!“, sagte zum Beispiel ein Mädchen in Deutschland zu mir, und sie war sehr erstaunt, dass ich darauf beharrte, einer zu sein. Dabei hatte sie sich auch noch geirrt: Die Farbe meiner Augen ist grün.

Diese Episode ist wieder einmal ein Beweis dafür, dass die Leute es nur schwer akzeptieren können, wenn jemand nicht ihren Vorurteilen und Klischees entspricht. Viele können nicht glauben, dass Zigeuner Schriftsteller, Ärzte, Ingenieure oder Journalisten sind – so wie ich. Arbeitslosigkeit, Armut, Ausgrenzung – Zigeuner haben weitaus massivere Probleme als die Bezeichnung ihrer Zugehörigkeit.

„Weil ich ein Zigeuner bin“

Gedöns-taz

Gedöns ist Umwelt, ist, was wir essen, wie wir reden, uns kleiden. Wie wir wohnen, lernen, lieben, arbeiten. Kinder sind Gedöns, Homos, Ausländer, Alte. Tiere sowieso. Alles also jenseits der „harten Themen“. Die taz macht drei Wochen Gedöns, jeden Tag vier Seiten. Am Kiosk, eKiosk oder direkt im Probe-Abo. Und der Höhepunkt folgt dann am 25. April: der große Gedöns-Kongress in Berlin, das taz.lab 2015.

Wenn jemand mich fragt: „Du arbeitest, du hast studiert, warum nennst du dich Zigeuner?“ Dann antworte ich: „Weil ich ein Zigeuner bin, genauso wie diejenigen, die keine Arbeit haben und nicht studieren konnten.“

Die Kluft zwischen Europas größter Minderheit und den Mehrheitgesellschaften wird immer größer, weil Letzteren Erfahrungen und die Neugierde fehlen, sich uns zu öffnen. In Ungarn bin ich mit vielen Akademikern befreundet, die darauf bestehen, „Cigány“ genannt zu werden. Auch sie wissen mit den Begriffen „Sinti“ und „Roma“ nichts anzufangen. Aber nicht nur sie. Meine Eltern sagen immer: „Das Wort Roma ist scheinheilig. Wir sind Zigeuner. Wir haben uns niemals Roma genannt. Und dieses Wort ist so gut oder so schlecht, wie man uns behandelt.“

Erst langsam entwickelt sich bei uns Zigeunern ein ethnisches Bewusstsein. Und das ist wichtig. Genauso wichtig ist es aber, die großen Probleme zu lösen. Vor allem in Osteuropa gibt es immer noch viele Zigeunersiedlungen, in denen Menschen an den Rändern der Städte ohne fließendes Wasser und Strom leben müssen. Und es gibt Vorschläge, wie der vom ungarischen Kulturminister Zoltan Balog, die Zigeunerkinder in den Schulen von anderen getrennt unterrichten zu lassen.

Der Autor

ist derzeit Praktikant der gedöns.taz und Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung als „Medienmittler zwischen den Völkern“.

In Deutschland liegt der Fall anders. Hier ist das Wort Zigeuner vor allem durch die NS-Herrschaft diskreditiert. Die Hüter einer diskriminierungsfreien Terminologie meinen, ihre „Sinti“ und „Roma“ vor jedweder Beleidigung schützen zu müssen. Aber auch ich lebe seit über 30 Jahren in einem Staat voller Vorurteile gegenüber Zigeunern: in Ungarn. Dort ist die rechtsradikale Partei Jobbik landesweit zweitstärkste Kraft und wird von Tag zu Tag populärer.

Und trotzdem: Meine Herkunft ist meine Privatsache. Ich bin glücklich und stolz, ein echter Zigeuner zu sein – wie es in dem Lied des spanischen Flamenco-Sängers Cameron de la Isla „Soy gitano“ heißt. Aber ich bin gleichzeitig auch Ungar und Europäer. Und jetzt – ich hoffe, dass das kein Kannibalismus ist – esse ich ein Zigeunerschnitzel.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • Dankeschön!

    Vielleicht werde ich noch ein richtiger taz-Fan? Weil sie sich traut die blödsten und die besten Artikel zu diesem Thema zu bringen. Dieser ist ein toller, weil er so elegant mit diesem linken Besserwisserkäse aufräumt, der vieles komplizierter und kaputter wo er glaubt zu helfen. Ich arbeite seit Jahren mit Zigeunern zusammen, die einen ziemlich Groll auf die "Linken" politisch Korrekten, hegen, der nicht mit sondern über sie redet. Mit einigen von ihnen veranstalte ich übrigens am 6. Juni das 2. »Rheinische Zigeunerfestival« in Köln am Rhein u.a. mit Loyko, Romengo, Markus Reinhardt Ensemble ... Kommt vorbei. Der Autor Tibor Racz ist besonders herzlich eingeladen!

    • @jan ü.:

      Korrektur: Das Rheinische Zigeuernfestival in Köln ist am 4. Juni, also am Fronleichnamstag!

  • Wen will die taz mit sie einem Artikel eigentlich erreichen? Und wo bleibt der taz-Beitrag, in dem eine Romni / ein Rom die verletzende und historische Dimension des Begriffs kritisieren darf?

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Wer auf Unfug aus ist, kreiert ein “wir”, um ein “ihr” zu erzeugen, was somit erzwungen, oder er erzeugt ein “ihr”, womit ein “wir nicht” erzwungen. Solche Narren glauben auch, einer durch nichts gerechtfertigten Pejoration wäre mit dem Austausch des Wortes zu begegnen. Aber die glauben auch, dass für einen “Auszubildenden” dadurch etwas Positives erreicht wurde, weil er nicht mehr “Lehrling” genannt wird von jenen, die sich über ihn das Maul zerreissen.

     

    Sie sind ein Opfer des grassierenden Wortjonglierismus geworden. Wo ein gesprochenes “ich bin” nicht akzeptiert, wird ein “er ist” erfunden, und an dessen Stelle gesetzt. Wer ein gesprochenes “ich bin” akzeptiert, dem ist solch erzeugtes “er ist” nicht nur fremd, sondern auch entbehrlich. Sprachen, die nicht auf das Wort “wir” zurückgreifen können, da es im Vokabular gar nicht erst existiert, haben ohnehin mit solchen Narreteien nicht viel am Hut, und kennen daher die einzig sinnvolle Antwort: “So wie Du Dich nennst, so will ich Dich heißen”. Denn alles andere kann nur grober Unfug sein.

    In diesem Sinne: “Guten Appetit!”.

  • Man muss anderen Bevölkerungsgruppen nicht helfen, man muss sie nur anders nennen. Und schon ist das schlechte Gewissen weg und der Rassismus natürlich auch ..

  • WARUM WOLLEN SIE UNS ESSEN? / WHY DO YOU WANT TO EAT US?

    https://derparia.wordpress.com/2013/12/01/warum-wollen-sie-uns-essen/

  • ... im Übrigen rauche ich nichts lieber als meine "Gitanes", was eben auch nichts anderes heißt als "Zigeuner".

  • Mittlerweile wendet das Blatt sich ja schon wieder. Es gibt nicht nur Zigeuner, die solche genannt werden wollen (wie der Autor selbst), sondern zunehmend auch Schwarze, die sich rappend gegenseitig so bezeichnen ("Hi, Nigger, how r u ... ?"). Mit der Vergewaltigung von Sprache sollte endlich Schluss sein. Wenn wir aufgrund des Missbrauchs der Bezeichnung "Zigeuner" durch die Nazis diesen heute nicht mehr benutzen, verhelfen wir damit den Nazis zu einem späten Sieg. Das sollten wir lieber vermeiden.

    • @DorianXck:

      Mittlerweile wendet das Blatt sich ja schon wieder. Es gibt nicht nur Zigeuner, die solche genannt werden wollen (wie der Autor selbst), sondern zunehmend auch Schwarze, die sich rappend gegenseitig so bezeichnen ("Hi, Nigger, how r u ... ?"). Mit der Vergewaltigung von Sprache sollte endlich Schluss sein.

      -------

       

      Das ist ja nichts neues. Auch Homosexuelle haben sich als "Schwule" bezeichnet und damit dem Gegner das Schimpfwort einfach geklaut.

      Das Wort "Sinti, oder Roma" benutze ich nur mit einem Grinsen, jeder weiss, was los ist, aber keiner kann mir was. PC ist lächerlich.

      • @Frank Mustermann:

        Right.

  • Vielleicht dringt es ja auch bald zu den letzten durch, dazu ist der Artikel eine gute Hilfe, das Wort "Zigeuner" hat nichts erniedrigendes an sich, die etymologische Herkunft ist vollkommen unbekannt. Die Inuit wurden früher Eskimos genannt (oder nannten sich gar selber so?), übersetzt heißt das Rohfleischesser, darauf wollten die Inuit nicht länger reduziert werden, irgendwo nachvollziehbar. Bei der Bezeichnung Zigeuner lässt sich eine solche Negativkonnotation nicht etymolog. herleiten. Oft genannte Begründung, warum Zigeuner nun negativ sein sollte: es würde als Schimpfwort gebraucht. Auch "Jude" wurde und wird von Antisemiten negativ gebraucht, aber den Juden fiel es deswegen nicht ein sich umzubenennen, warum auch? Die offizielle Bezeichnung der entsprechenden Sprach- und Kulturwissenschaft heißt auch immer noch Ziganologie, und sehr viele Zigeuner wollen auch so genannt werden, wie der Artikel aufs neue klar macht, Die Diskussion ist also überflüssig.

    • @ingrid werner:

      Ich bin bis heute nicht bereit, in der Bezeichnung Negerkuss eine Lebensmitteldiskriminierung zu sehen.

  • Wir machen Sozialarbeit in Duisburg-Hochfeld (menschistmensch.de) und haben sehr viel mit Roma zu tun. Zudem haben wir eine Sprachmitllerin aus dem Romanes (= die Zigeunersprache).

     

    Ich kann den Beitrag voll bestätigen. Alle unserer Kunden bezeichnen sich als Zigeuner (wenn gefragt).

     

    Ich denk mal, es ist so eine Sache wie 'Jude'. Das war auch mal ein Schimpfwort. Aber kein akademischer Zirkel in D würde das Wort auf den Index stellen. Da ist die Angst vor New York Times etc. doch zu groß.

  • Es ist doch eigentlich nicht so schwer.

     

    1. Eigenbezeichnung ist eben nicht gleich Fremdbezeichung. Wenn ich von mir selber sage, dass ich eine Schwuchtel, Schlampe oder fett bin, dann kann ich das machen. Im besten Fall führt es dazu, dass das Wort "reclaimt" wird und seine negative Konnotation verliert.

     

    Nur weil ich selber sage, dass ich x bin heißt es aber noch lange nicht, dass es ok ist wenn andere x zu mir oder über mich sagen.

     

    2. Klar, wenn ich etwas diskriminierendes sagen will, dann macht es nicht unbedingt einen Unterschied, ob ich sage

    "Alle Roma und Sini machen [Vorurteil]."

    oder "Alle Z* machen [Vorurteil]." Keine Frage.

    Aber wenn sich mein Denken möglicherweise schon geändert hat, dann macht es -auch für den Hörer, der sich, wenn ich die rassistische Bezeichung verwende in seinem Rassismus bestätigt sieht- sehr wohl einen Unterschied, ob ich sage

    "Mein neuer Nachbar ist Rom." oder "Mein neuer Nachbar ist Zigeuner."

  • Ich bin gar nicht stolz darauf, irgendetwas zu sein oder nicht zu sein...

  • 7G
    75159 (Profil gelöscht)

    Ist doch ganz einfach. Wer sich Zigeuner nennen will, darf und soll das tun, wie er möchte.

     

    Wer andere aber pauschal als Zigeuner anspricht, redet als Rassist. Der Begriff "Roma und Sinti" wurde nicht umsonst eingeführt.

     

    Ich persönlich kenne besonders in Rumänien viele Menschen, die ich, ohne sie damit zu verletzen, im direkten Gespräch als Zigeuner anspreche und so nenne, weil wir uns zum Einen lange kennen und mögen und sie sich auch selbst ausschliesslich so nennen. Sobald ich allerdings über sie rede, egal wo, verwende ich die Bezeichnung "Roma". Das hat für mich auch etwas mit Respekt zu tun.

     

    Übrigens, dieselben Roma werden dort in der Öffentlichkeit, zum Beispiel auch in der Schule, als Zigeuner *beschimpft*. Und das tut ihnen dann sehr wohl auch weh.

     

    Das Zigeunerschnitzel muss nicht sein und gehört abgeschafft. Wem es leid tut, das jetzt "Balkanschnitzel" nennen zu müssen, den beglückwünsche ich zu seinen Problemen.

     

    Schade, dass in den letzten Jahren häufiger gemischte Signale von Roma und Sinti zu dem Thema in die Zeitungen kommen :(

    • @75159 (Profil gelöscht):

      Das ist Unsinn. Es gibt etliche Zigeunergruppen, die sich weder als Roma noch als Sinti begreifen, warum soll man die so nennen. Zigeuner ist ein wertfreier Begriff. Er ist nicht mehr oder minder Schimpfwort als es "Jude" ist. Schade dass gemischte Signale kommen? Schon frech von diesen Roma, gell?

  • In Zukunft sagt jeder "Sinti und Roma" und in 20 Jahren kommt dann ne Diskussion ob man überhaupt Sinti und Roma sagen darf da es beleidigend sein könnte, weil in den 20 Jahren der Gebrauch von "Sinti und Roma" oftmals mit negativen Aussagen in Verbindung gebracht wurde.

  • Ich traf auch schon viele, die sich "Zigeuner" nannten. Es hatte etwas freieres, souveräneres an sich als das bürokratische ja-nicht-wehtu-Etikett "Sinti-und-Roma" - besonders wenn die Betreffenden gerade nicht einer der beiden sein wollten, was durchaus mal gegenseitig vorkam.

  • Welch für ein kluger und gut geschriebener Artikel!!! Wieso ist der Mann nur Praktikant??? Sofort einstellen!!!

    (Sonst schnappt ihn den euch noch die FAZ weg oder die SD oder die Zeit et. pp.)

  • Als schwuler Mann bin ich heilfroh, dass die Schwulenbewegung keine verkrampften Versuche unternommen hat, das damals viel stärker negativ belastete Wort "schwul" aus dem Sprachgebrauch zu verbannen und stattdessen sich darum bemühte, mit dem Wort "schwul" positive Emotionen und Assoziationen zu verbinden.

    Bei mir löst das Wort "Zigeuner" eh mehr positive Assoziationen aus, Von daher konnte ich nie verstehen, wieso man dieses Wort verbannen sollte.

  • Danke. Ich wiederhols gern.

    Meine Lieblingskollegin als Ehrenamtliche -

    "Natürlich sind wir Zigeuner - was sollen wir sonst sein?

    &wir leben in dieser alten Römerstadt

    am Rhein seit 2000 Jahren."

    &mit viel Zigeunern ich Musik gemacht habe - ¿

    keine Ahnung - aber keiner wollte Roma oder Sinti sein.