Proteste gegen Rassismus in Berlin: „Hör auf zu zappeln“
Bei den Demos gegen rassistische Polizeigewalt in Berlin wurden viele schwarze DemonstrantInnen verhaftet. Vier erzählen ihre Geschichte.
Dann änderte sich die Stimmung durch die Festnahme eines Demonstranten, der, so der Vorwurf, ein Einsatzfahrzeug beschädigt haben soll. Umstehende reagierten aufgebracht auf den Einsatz, der den Anlass der Demo zu untermauern schien. Es folgten Aggressionen von beiden Seiten. Dabei kam es zu vereinzelten Stein- und Flaschenwürfen und zu Polizeigewalt. 93 Personen wurden festgenommen, viele von ihnen junge schwarze Männer. In Hamburg und Stuttgart kam es zu ähnlichen Szenen. In Hamburg wurden 35 überwiegend migrantische Jugendliche in Gewahrsam genommen. Der Polizeipräsident wies jede Kritik zurück und behauptete, eine „linksextremistische Organisation“ hätte die Proteste gekapert.
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Den Vorwurf, dass bei diesen Polizeieinsätzen Rassismus eine Rolle gespielt habe, haben viele Betroffene in den sozialen Medien artikuliert und Bilder und Videos von prügelnden PolizistInnen hochgeladen. Die Berliner Polizei nahm dazu bis zum Redaktionsschluss der taz keine Stellung.
Viele Nichtweiße erlebten schikanöse Behandlungen, etwa anlasslose Kontrollen oder brutales Vorgehen der Polizei nicht zum ersten Mal. Bundesweit sind seit dem Mord an Oury Jalloh im Jahr 2005 mindestens zehn Todesfälle aus den vergangenen Jahren bei Polizeieinsätzen, in Polizeigewahrsam oder in staatlichen Einrichtungen bekannt, bei denen die Annahme im Raum steht, dass sie mit der Hautfarbe der Opfer in Verbindung stehen. Die Kampagne „Death in Custody“ spricht sogar von 159 „Todesfällen von Schwarzen Menschen und Menschen of Color in Gewahrsamssituationen in Deutschland seit 1990“.
Polizeibeauftragte könnten helfen
Zur Aufklärung solcher Fälle, aber auch bei Übergriffen auf Demonstrationen oder im Alltag könnten Unabhängige Polizeibeauftragte beitragen. Nach Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg will auch der rot-rot-grüne Berliner Senat zukünftig einen solchen einsetzen. Unterstützung kam von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die der deutschen Polizei „latenten Rassismus“ attestierte. Scharfer Widerspruch dazu kam aus den Polizeigewerkschaften und vom baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU), der im Deutschlandfunk sagte: „Strukturellen Rassismus gibt es bei unserer Polizei nicht.“
Oliver von Dobrowolski, Vorsitzender des Vereins Polizei Grün, sagte dagegen der taz, er freue sich, „dass die Diskussion nun nach Deutschland schwappt“. Es bestehe kein Zweifel, dass es auch hier „Probleme mit rassistischem Polizeiverhalten, ob latent oder strukturell“, gebe. Der Widerstand aus der Polizeilobby, zu der er auch konservative Politiker zählt, sei „symptomatisch“.
Vier der am Samstag Festgenommen haben der taz ihre Erlebnisse erzählt. Subjektiv, aber gestützt auf Bild- und Videomaterial. Ihre Namen sind der Redaktion bekannt, einige wurden jedoch anonymisiert.
Joel, 19, aus Berlin-Wedding: „Mehrfach habe ich gesagt, ich kriege keine Luft“
Während der Demo bin ich mit fünf Freunden auf die Baustelle neben dem Primark gegangen, weil der Platz total überfüllt war. Nach einiger Zeit kamen Polizisten, die uns aufforderten herunterzugehen. Wir haben uns zum Ausgang bewegt, als ein Polizist hinter mir einen Jungen in Gewahrsam nahm. Als die beiden an mir vorbeigingen, sagte der Polizist, ich soll ihnen Platz machen. Obwohl ich das getan habe, hat er mich zur Seite geschubst. Da war ein Engpass, neben mir waren aufgestapelte Steinplatten. Weil ich nicht dagegen fliegen wollte, habe ich im Fallen den Arm des Polizisten gepackt, um mich festzuhalten. Er hat direkt gesagt, ich solle mitkommen; eine Polizistin kam dazu und gab mir einen Tritt in den Oberschenkel.
Nachdem ich mich kurz entfernen konnte, um mich zu beruhigen, haben mich dann vier Polizisten gepackt und wollten mich zu Boden drücken. Sie haben mich heruntergedrückt und dabei auch meinen Kopf auf den Boden geschlagen. Davon habe ich einen Bluterguss am Auge und eine Schürfwunde. Liegend war mir dann durch meine Bauchtasche, die ich schräg über der Schulter trug, die Luft abgeschnürt, bestimmt für 30 Sekunden. Mehrfach habe ich gesagt, ich kriege keine Luft. Die Antwort war nur: Hör auf zu zappeln.
Erst als ich in Handschellen war, wurde ich hochgezerrt und konnte ich wieder atmen. Es wurden dann Fotos von mir gemacht und meine Personalien aufgenommen. Sie sagten, dass sie mich eigentlich mitnehmen müssten, aber dann die Menge zu emotional reagieren würde. Also ließen sie mich nach 30 Minuten gehen. Ich soll eine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bekommen.
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Lucy, 22, geboren in Potsdam, nigerianische Eltern: „Ich will das Recht haben zu schreien“
Ich bin mit Freunden zur Demo, nicht weil George Floyd umgebracht wurde, sondern weil ich hier geboren und aufgewachsen bin und immer Unterdrückung erlebt habe. Ich will nicht, dass meine Kinder diese Erfahrungen machen müssen. Wir waren nicht bei der „Silent Demo“ auf dem Platz, sondern haben uns als linker Block formiert. Wir Schwarzen wurden 200 Jahre zum Schweigen gebracht, ich will das Recht haben zu schreien. Vor dem Start haben wir Schilder gemalt. „Fuck the Police“ stand auf meinem. Das habe ich den Polizisten vor die Nase gehalten, nicht weil ich die Polizei hasse, andern weil ich Reaktionen wollte, etwa, dass sie auf die Knie gehen oder sagen, dass sie keine Rassisten sind.
Am Strausberger Platz wurden wir angehalten und von vielen Polizisten umzingelt. Über unsere Reden haben sie gelacht, auch darüber, dass wir diese durch den Lärm eines Polizeihubschraubers schlecht verstehen konnten. Dann wurde die Demo aufgelöst, wir sollten uns entfernen, durften aber nicht zurück zum Alex. Meine Cousine, eine weiße Freundin und ich standen noch da. Dann kam ein Polizist zu mir und sagte, dass mein Schild illegal sei, dabei trug ich es schon vier Stunden.
Direkt danach schoben mich mehrere Polizisten zu einem Polizeiauto. Einige Leute sind dazwischen, da haben sie meine Cousine auch noch mitgenommen, die weiße Freundin aber stehen gelassen. Auf dem Schild meiner Cousine stand „No justice no peace“. Dass da noch klein „1312“ (All Cops Are Bastards; d. Red.) daneben stand, haben sie erst im Auto gesehen. Ich habe eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung bekommen, sie eine wegen eines Krümels Weed (Marihuan; d. Red.).
Aching, 24, in Kenia geboren, Deutsche: „Ich kann das gar nicht fassen“
Ich wurde angezeigt wegen schwerer Körperverletzung, weil ich einen Glasaschenbecher auf eine Polizistin gekickt haben soll. Dabei war ich zum ersten Mal in meinem Leben auf einer Demo und habe den ganzen Tag versucht zu vermitteln. Ich habe Polizisten gesagt, dass wir keine Angst vor ihnen haben wollen, wenn wir sie sehen. Ich habe mich zwischen wütende Demonstranten und die Polizei gestellt und versucht zu schlichten. Jungs, die gerade geschubst wurden, habe ich dazu gebracht, einfach von der Polizei wegzutanzen.
Als dann neben mir ein dünner arabischer Mann durch eine Polizeigruppe von seiner Freundin weggerissen wurde, bin ich auf einen Tisch eines Dönerimbisses gesprungen. Von dort habe ich gesehen, wie sie ihn mit Fäusten geschlagen haben. Vor Angst und Empörung habe ich geschrien. Ich bin dann von Tisch zu Tisch gesprungen, auf dem letzten habe ich, es war noch glatt vom Regen, den Aschenbecher getroffen. Ich habe die Scherben auf dem Boden gesehen und bin sofort zum Besitzer, um mich zu entschuldigen.
Danach bin ich weiter in Richtung Hackescher Markt gelaufen. Dort habe ich versucht, ein paar Teenager vor einer Polizeikette zu beruhigen. Plötzlich kam eine große Gruppe von Polizisten auf mich zu und warf mich zu Boden. Ich habe mich nicht gewehrt, trotzdem wurde mein Arm dabei verdreht, mein Rock und mein Top zerrissen. Bei der Personalienfeststellung kam dann eine Polizistin und sagte, sie sei von dem Aschenbecher getroffen wurden. Sofort meinten andere Polizisten, sie hätten das auch gesehen. Ich gehe aber davon aus, dass ich niemanden getroffen habe. Was mir auffiel: Weiß aussehende Demonstranten wurden viel sanfter behandelt. Schwarze wurden gleich verhaftet. Ich kann das gar nicht fassen.
Alphonse, 25, aus Berlin-Kreuzberg, geboren in Frankreich: „Er sagte: Sei ruhig oder ich prügle dich ins Krankenhaus“
Ich bin erst zwei Stunden nach Demobeginn zum Alex gekommen, als ich von Freunden von der tollen Atmosphäre gehört hatte, dass alles friedlich ist und die Leute feiern. Zuvor war ich nie auf einer Demo. Gegen 16.30 Uhr rannten dann auf einmal Menschen panisch an mir vorbei, sehr junge und alte, manche heulten. Ich bin in die Gegenrichtung gegangen und sah, wie die Polizei Leute schlägt. Weil ich helfen wollte, habe ich mich zwischen die Polizei und die Demonstranten gestellt. Ich habe einen Polizisten gefragt, was das soll. Die Antwort: „Sei ruhig, sonst werde ich dich gleich ins Krankenhaus prügeln.“ Genau so kam es dann auch. Plötzlich wurde ich angegriffen und in den Schwitzkasten genommen. Dabei bin ich auf den Bordstein gestürzt, habe mir eine Platzwunde zugezogen und die Orientierung verloren.
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Ich habe mich dann ein paar Meter entfernt; dann kam der zweite Angriff. Ich wurde gegen die Glasscheibe einer Tram-Haltestelle geschubst und getreten. Dann bekam ich Handschellen, die so fest zugemacht wurden, dass ich meine linke Hand nicht mehr spürte. Ich habe gesagt, dass ich Schmerzen habe, aber es hieß nur, ich soll ruhig sein. Nachdem viel Zeit vergangen war, kam ich in eine Gefangenensammelstelle. Sie werfen mit schwere Körperverletzung und Landfriedensbruch vor.
Irgendwann wurde ich zu einem Polizeiarzt gebracht, der feststellte, dass meine Hand keine Reaktion mehr zeigte. Ich kam dann ins Krankenhaus, wo es hieß, dass vielleicht ein Nerv beschädigt ist. Für mich war das kein Zufall, sondern ein Fall von Rassismus. Es wurden vor allem Schwarze brutal verhaftet. Und das passiert immer wieder: Selbst bei einer normalen Kontrolle bin ich schon wie ein Schwerverbrecher behandelt worden.
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