Protest an der Alice-Salomon-Hochschule: Es geht auch friedlich
Weil sie den Polizeieinsatz bei einer Palästina-Demo verhinderte, geriet die ASH-Präsidentin in die Kritik. Dabei sollte ihr Beispiel Schule machen.
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D er politische Druck auf Hochschulleitungen aufgrund ihres angeblich zu laxen Vorgehens gegen Studierendenproteste, die mit Palästina solidarisch sind, hat mittlerweile System. In Berlin traf es Mitte Januar die Alice-Salomon-Hochschule (ASH). Obwohl – vielleicht gerade weil – es Hochschulpräsidentin Bettina Völter gelungen war, Gewalt zu verhindern und die Studierenden zum friedlichen Abziehen zu bewegen, wird sie nun kritisiert. Sogar ihr Rücktritt wird gefordert. Wie absurd.
Studierendenproteste und auch Hörsaalbesetzungen, haben eine lange Tradition, um politische Forderungen sichtbar zu machen. Gleichzeitig bergen sie hohes Konfliktpotenzial: Hochschulangehörige können sich behindert oder sogar bedroht fühlen; Demonstrationen können eskalieren. In solchen Situationen hat die Hochschulleitung die schwierige Aufgabe, zu deeskalieren und mit Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen und Diskursbereitschaft zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln. Genau das hat Völter getan.
An der ASH etwa las man auf Arabisch „Hamas Habibi“; ein Plakat forderte „Friede der Welt, Tod dem Imperialismus“. Die Gipskopie einer Büste der Gründerin und Namensgeberin Alice Salomon wurde mit einer Kufija drapiert, jemand schrieb „Palestine“ auf den Sockel. Dass die Demonstration dennoch ohne Gewalt, ohne das Skandieren diskriminierender Slogans oder andere größere Zwischenfälle stattfinden konnte, ist allein dem Einsatz der Hochschulpräsidentin zu verdanken.
Sie verhandelte mit den Protestierenden die Grenzen der Besetzung: diskriminierende Plakate wurden nach Aufforderung entfernt. Völter veröffentlichte eine Stellungnahme, die Antisemitismus klar verurteilt, sowie die Verbrechen der Hamas und zugleich das jahrzehntelange Leiden der palästinensischen Bevölkerung benennt. Im Nachgang verurteilte sie Äußerungen der Besetzer und erstattete Anzeigen.
Schräge Vorwürfe
Deeskalieren konnte sie auch deshalb, weil sie der Polizei Grenzen setzte: „Wir brauchen Sie nicht“, erklärte sie den vor einem Ausgang aufgestellten Polizisten, „wir erleben es als bedrohlich, dass Sie vorn am Eingang stehen.“ Die Eskalation, die an der ASH ausblieb, wurde schließlich von anderer Seite angefeuert. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) findet es „völlig unverständlich“, dass Völter die Polizisten als bedrohlich empfinde, nicht aber die „vermummten und gewalttätigen Antisemiten“.
Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner forderte gar den Rücktritt der Präsidentin. Derartige Übertreibungen verkennen nicht nur die grundgesetzlich garantierte Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, sie unterwandern zudem die Autonomie der Bildungseinrichtung und die Deeskalationsbemühungen. Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft unterstellte Völter „Polizistenhass“ und „Behinderung der Strafverfolgung“, weil sie die Polizei als bedrohlich bezeichnete.
Abgesehen davon, dass insgesamt ASH und Polizei kooperierten, bestätigt auch Amnesty International, dass Demonstrierende die Präsenz der Polizei in der konkreten Situation häufig als bedrohlich empfinden. Ebenso fehl am Platz war die Kritik des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, der Völter mangelnde Sensibilisierung für Antisemitismus zum Vorwurf machte. Jüdische Angehörige der ASH nahmen die Hochschulpräsidentin in Schutz.
Völter sei nach dem Massaker am 7. Oktober 2023 auf sie zugegangen und habe sie in die Gestaltung der Lehre und Veranstaltungsreihen zum Thema Israel/Palästina einbezogen. So fand im Sommer letzten Jahres eine Ringvorlesung zur Sensibilisierung für Antisemitismus statt. Eine weitere Reihe im aktuellen Wintersemester bringt israelische und palästinensische Sprecher*innen zusammen, die sich für Versöhnung und Verständigung einsetzen.
Gegen den autoritären Wind
Die Skandalisierung der Protestierenden lenkt vom Inhalt ihrer Forderungen ab. Der pauschale Antisemitismusvorwurf verunglimpft legitime Kritik an Israels nachgewiesenermaßen völkerrechtswidrigen Kriegsführung. Umso mehr, da die deutsche Regierung diesen Völkerrechtsverstößen der in Teilen rechtsradikalen Regierung in Israel mit Waffenlieferungen und diplomatischer Rückendeckung weiterhin Vorschub leistet.
Der Bundestag will Ende des Monats einen Entschließungsantrag mit dem Titel „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ verabschieden. Inhaltlich setzt er primär auf staatliche Überwachung und Repression.
Es ist paradox zu meinen, dass die Ereignisse an der ASH einmal mehr Zeugnis für die Notwendigkeit des Antrags seien. Ganz im Gegenteil sind sie der beste Beleg dafür, dass dies der falsche Weg ist. Hochschulen brauchen nicht mehr staatliche Kontrolle, und sie brauchen sicher nicht mehr Sanktionsmechanismen oder Polizei. Hochschulen brauchen die Unterstützung staatlicher Akteure, um ihre Konflikte durch Diskurs und Deeskalation selbst zu konfrontieren.
Und Hochschulleitungen brauchen das Vertrauen, dass sie zulässige Kritik am israelischen Vorgehen von zu verurteilenden antisemitischen Handlungen unterscheiden können. Dass das an der ASH gelungen ist, passt nicht ins Konzept derer, die die Hochschulen unter strengere staatliche Aufsicht stellen wollen.
Die Ankündigung aus den Reihen der CDU, die Hochschulförderung an die Bereitschaft von Hochschulen zu knüpfen, mit Palästina solidarische Demonstrationen zu unterdrücken, zeigt, wie sehr illiberale und autoritäre Reaktionen auf Dissens bereits normalisiert worden sind. Völters Ausruf gegenüber der Polizei – „wir brauchen Sie nicht“ – erhält gegenüber solchen autoritären Tendenzen ihren Wert.
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