Pro Asyl-Chef zu Vorwürfen von rechts: „Wir lassen uns davon nicht einschüchtern“
Seit dem Gerichtsbeschluss zu Zurückweisungen wird der Verein Pro Asyl massiv angegriffen – auch von der Union. Co-Geschäftsführer Kopp nennt die Vorwürfe „bizarr“.

Vor knapp einer Woche erklärte das Berliner Verwaltungsgericht die Zurückweisung dreier Somalier*innen für rechtswidrig. Sie wurden von Pro Asyl unterstützt. Seitdem hetzen rechte und rechtsextreme Medien gegen die Flüchtlingsorganisation. Auch CDU und CSU stiegen ein. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Alexander Throm sagte, Pro Asyl habe „eine Grenze überschritten“. Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag Alexander Hoffmann sagte: „Für mich trägt das klare Züge einer Inszenierung durch Asyl-Aktivisten.“ Und die deutsche Polizeigewerkschaft DPolG stellte Anzeige gegen Unbekannt, legte aber nahe, dass sie damit auf Pro Asyl abzielt. Nun äußert sich der Co-Geschäftsführer der Organisation, Karl Kopp, erstmals ausführlich zu den Vorwürfen.
taz: Herr Kopp, ist Pro Asyl insgeheim eine Schlepperorganisation, wie es Rechtsextreme, Polizeigewerkschafter und zuletzt auch hochrangige Unionspolitiker behaupten?
Kopp: Das ist eine Kampagne mit verleumderischen Falschbehauptungen. Pro Asyl arbeitet fachlich und ethisch auf sehr hohem Niveau. Unser Ziel ist klar: die Menschenwürde von Asylsuchenden zu verteidigen und Opfern von Menschenrechtsverletzungen beizustehen. Europaweit werden Menschenrechtsverteidiger:innen angegriffen. Jetzt trifft es uns, aber wir lassen uns davon nicht einschüchtern.
taz: Konkret wird Pro Asyl vorgeworfen, den Fall der drei somalischen Flüchtlinge instrumentalisiert zu haben, um den Gerichtsbeschluss gegen die Zurückweisungen zu erreichen.
Kopp: Das ist eine Diffamierung. Unsere Aufgabe ist es, Schutzsuchende bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen. Das tun wir im Fall der drei somalischen Asylsuchenden genauso wie seit knapp 40 Jahren in Deutschland und Europa.
taz: Warum brauchten die drei denn Hilfe?
Kopp: In Polen drohte den dreien Abschiebungshaft, gar Abschiebung. Wir sind sehr dankbar, dass polnische Organisationen humanitäre Hilfe geleistet haben. Die jungen Menschen waren mittellos und obdachlos, die Jugendliche unter ihnen musste dringend medizinisch behandelt werden. Ohne diese humanitäre Hilfe, ohne Gewährleistung von Menschenwürde, gibt es kein rechtsstaatliches Verfahren, weil die Betroffenen das gar nicht durchstehen würden. Die Kombination aus Rechtshilfe in beiden Staaten und Menschlichkeit ist keine Inszenierung, sondern ein menschenrechtlicher Ansatz.
taz: Rechten Medien zufolge hat Pro Asyl die drei gezielt über die Grenze geschickt, um ein Rechtsverfahren zu initiieren.
Kopp: Unsere Mitarbeitenden haben die drei offenkundig geschundenen und völlig erschöpften somalischen Geflüchteten am 7. Mai zum ersten Mal gesprochen – bei Tageslicht auf offener Straße im Beisein anderer Menschen. Da hatten die Schutzsuchenden bereits zweimal versucht, nach Deutschland einzureisen, wurden aber jedes Mal rechtswidrig zurückgewiesen. Sie hatten also den Plan, nach Deutschland einzureisen, lange bevor wir mit ihnen in Kontakt waren.
Diese jungen Menschen haben nach der dritten Zurückweisung in Polen geduldig wochenlang ausgeharrt, auf die Gerichtsbeschlüsse gewartet, um legal die deutsch-polnische Grenze überqueren zu dürfen. Der eigentliche Skandal ist, dass sie vorher dreimal europarechtswidrig zurückgewiesen wurden.
taz: Pro Asyl hat das Rechtsverfahren gegen die Zurückweisungen unterstützt. Weckt das nicht automatisch Misstrauen?
Kopp: Wer will, dass Geflüchtete zu ihrem Recht kommen, muss für angemessene juristische Vertretung sorgen. Die drei haben eine harte Fluchtgeschichte und einen monatelangen Fluchtweg, begleitet von Gewalterfahrungen, hinter sich. Und hier wurden sie dann europarechtswidrig und unmenschlich behandelt. Wenn das kein Grund ist, dass eine Menschenrechtsorganisation tätig wird – was dann? Wir haben die rechtliche Vertretung der drei deshalb aus unserem Rechtshilfefonds unterstützt.
taz: Gibt es Verbindungen von Pro Asyl zu den Richter*innen, die in dem Fall entschieden haben?
Kopp: Nein. Der Vorwurf, wir hätten Einfluss auf das Gericht genommen, ist absurd. Es ist klar geregelt, dass das Verwaltungsgericht Berlin zuständig ist. Und im Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist festgelegt, welche Kammer zuständig ist. Dramatisch ist in einem Rechtsstaat, wenn Richter:innen so massiv angegriffen werden. Es ist unser aller Aufgabe, den Rechtsstaat, die Unabhängigkeit der Gerichte, die bundesdeutsche Demokratie zu verteidigen. Wir leben nicht in autoritären Staaten wie Ungarn oder der Türkei.
taz: Dann gibt es noch die Vorwürfe, die Geburtsurkunde der Frau sei gefälscht, sie sei gar nicht minderjährig, und Pro Asyl habe das verschleiert.
Kopp: Erstmals habe ich Teile der Geburtsurkunde verstörenderweise in der Bild am Sonntag gesehen. Nach unserer Kenntnis wurde bei der zweiten Zurückweisung von der Bundespolizei handschriftlich vermerkt, dass sie minderjährig sei. Zu diesem Zeitpunkt wusste Pro Asyl noch nicht einmal von der Existenz der drei Schutzsuchenden.
taz: Sind Sie überrascht, dass auch aus der Union so scharfe Töne kommen?
Kopp: Dass uns beispielsweise der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag mit bizarren Falschbehauptungen angreift, hat uns schon überrascht. Selbst als wir schwerste Menschenrechtsverletzungen der griechischen Küstenwache offengelegt haben – mit Ermittlungen und Verurteilungen in erster Instanz wegen Folter und unmenschlicher Behandlung – wurden wir nicht so verleumderisch attackiert wie jetzt.
taz: Fühlen Sie sich und Ihre Mitarbeitenden bedroht?
Kopp: Wir achten sicherlich noch mehr aufeinander. Pro Asyl ist aber in der privilegierten Situation, dass wir ausschließlich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen arbeiten. Viele unserer Partner in Europa sind hingegen physischer Gewalt oder existenziellen Bedrohungen ausgesetzt.
Die Kampagne gegen uns ist ein Nebenkriegsschauplatz. Sie soll davon ablenken, dass das Bundesinnenministerium und die Bundespolizei eine krachende Niederlage erfahren haben. Die Kammerbeschlüsse des Berliner Verwaltungsgerichts sind sehr grundsätzlich und glasklar. Die Bundesregierung sollte sie genau lesen – und die rechtswidrige Praxis der Zurückweisungen unverzüglich beenden.
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