Privilegien für Corona-Geimpfte: Virulente Neiddebatte

Die Diskussion über vermeintliche Privilegien für Corona-Geimpfte ist absurd. Denn eine Besserstellung wäre nur temporär und für die Gesellschaft sinnvoll.

Stühle stehen umgedreht auf Restauranttischen

Immunisierte könnten die Ersten sein, die hier wieder was trinken dürfen Foto: Christophe Gateau/dpa

Das vorweg: Ich stehe in der Impfliste an letzter Stelle: weit unter 80, keine Vorerkrankungen, nicht im medizinischen Bereich tätig. Trotzdem kann ich am Vorschlag von Außenminister Heiko Maas, Geimpften rasch mehr Freiheiten einzuräumen, nichts Verwerfliches erkennen.

Mit welchem nachvollziehbaren Argument will man Geimpften in Alten- und Pflegeheimen verbieten, zum normalen Umgang miteinander zurückzukehren, davon ausgehend, dass sie das Virus nicht weitertragen? Wie will man begründen, dass die geimpfte Ehefrau ihren geimpften Ehemann dort nicht wie in normalen Zeiten besuchen kann? Was ist falsch daran, geimpftes medizinisches Personal so arbeiten zu lassen, wie das vor der Pandemie der Fall war?

Was spricht dagegen, auch geimpften Polizist:innen, Feuerwehrleuten, Kassierer:innen, die das Leben am Laufen halten und die mit vielen Menschen Kontakt haben, nach einem harten Dienst die Chance zu geben, angstfrei mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause zu kommen? Und was dagegen, Gastronom:innen und Friseu­r:in­nen – wenn sie denn irgendwann an der Reihe waren – ihre Restaurants und Geschäfte wieder öffnen zu lassen?

Oder anders gesagt: Nur weil nicht alle Menschen sofort geimpft werden können, sollen alle bereits Geimpften mit ihrer „neuen Freiheit“ warten, bis die Republik durchgeimpft ist? Absurd. Das spaltet die Republik sicher stärker, als sie durch eingeforderte Solidarität mit Ungeimpften geeint wird.

Ein Argument der „Privilegien­geg­ne­r*in­nen“ ist übrigens die Zweiklassengesellschaft, die durch frühere Freiheiten für Geimpfte eingeführt würde. Mit Verlaub, das ist realitätsfern und eine neue virulente Neiddebatte. Unsere Gesellschaft ist bereits eine Zweiklassengesellschaft, eine soziale, und das – zumindest aller Voraussicht nach – noch sehr lange. Natürlich darf diese Un­gerechtigkeit durch „Impfprivilegien“ keinesfalls verstärkt werden. Bei ­„Privilegien“ für Geimpfte handelt es sich aber um eine temporäre „Besserstellung“. Die die „Kritiker:innen“ vermutlich auch rasch in Anspruch nehmen dürften, sobald sie selbst geimpft sind.

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Ressortleiterin taz.de / Regie. Zuvor Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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