Polizeiwache in Berlin-Kreuzberg: Armut wegknüppeln
Im Herzen von Berlin-Kreuzberg eröffnet eine umstrittene Polizeiwache. Soll sie etwa Probleme wie Armut, Wohnungsnot und Heroinsucht lösen?
Nun ist sie also da: Die umstrittene Polizeiwache am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg wurde am Mittwoch eröffnet. Über der Adalbertstraße schwebt die neue Wache, die bereits als Bullen-Balken verspottet wird. Satte 3,24 Millionen Euro hat dieser Bullenbalken gekostet. Dort sollen drei Polizisten in Schichten rund um die Uhr Dienst schieben und Ansprechpartner für Probleme in der Umgebung sein. Noch mehr Polizisten als bisher sind im Kiez auf Streife. Was soll das bringen?
Empfohlener externer Inhalt
Das Prestigeprojekt der Innensenatorin Iris Spranger (SPD) soll für mehr Sicherheit an diesem angeblich „kriminalitätsbelasteten Ort“ sorgen. Manche Anwohner und Vertreter der Geschäftswelt erhoffen sich Verbesserungen. Aber kann Law and Order wirklich die Lösung sein?
Viele im traditionell alternativen Kreuzberg kritisieren die Wache scharf. In einem offenen Brief an den Senat sprachen sich verschiedene Anwohner:inneninitiativen und soziale Träger wie der Quartierrat Zentrum Kreuzberg, der Mieterrat des Gebäudekomplexes und örtliche Gewerbetreibende gegen die Wache aus. Und kritisierten eine Mentalität des Durchregierens. Am Mittwoch demonstrierten etwa 200 Menschen gegen die verstärkte Polizeipräsenz, die gerade an dem Tag heftig war: 350 Beamte waren vor Ort, um die Eröffnung zu sichern.
Die Wache wirkt wie reine Symbolpolitik, ohne konkreten Nutzen. Sie erinnert an die Wache im Leipziger Viertel Connewitz, noch so ein Stadtteil, den nationale Medien gern zum Problemkiez stilisieren. Kriminalität gibt’s dort kaum – aber viele Linke. Um den harten Hund zu markieren, setzte die Politik dem Viertel eine Wache rein. Eine unnötige Aktion, allein dazu gedacht, Schlagzeilen zu generieren.
Selbst Beamte wollen sie nicht
Auch die Wache am Kotti wird wenig Konkretes verändern – außer dass Iris Spranger sich den vor Angst schlotternden Außenbezirken als eiserne Kümmerin präsentieren kann. Das Sicherheitsgefühl stärkt man jedoch nicht, in dem man ständig von angeblichen Gefahren und überall lauernden Kriminellen spricht. Selbst innerhalb der Polizei stößt Sprangers Projekt auf wenig Gegenliebe.
Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei Berlin sagte im rbb am Mittwoch, er kenne keinen bei der Berliner Polizei, der da eine Wache wollte. Man fand dementsprechend nur schwer Personal für die Wache. Es hat sich offenbar nur ein einziger Beamter freiwillig gemeldet, in der Wache zu arbeiten. Peinlich für ein Prestigeprojekt.
„Damit kriegen wir nicht mehr Polizei auf die Straße, sondern eher weg von der Straße“, begründet Jendro seine Kritik. Doch ob mehr Beamte auf der Straße tatsächlich das Mittel gegen die am Kotti sichtbaren sozialen Verwerfungen sind, sei dahingestellt.
Polizei gegen Vermüllung?
„Es gibt hier viele Probleme. Meist sind sie jedoch nicht polizeilicher Art, sondern soziale Probleme, die durch soziale Organisationen gelöst werden müssen und nicht durch die Polizei. Davon gibt es jedoch zu wenige“, sagte der einsichtige Kiez-Polizist Norbert Sommerfeld vergangenen Sommer in der taz. Die heiße Frage ist: Lassen sich soziale Probleme wie Armut durch die Polizei lösen? Die Wache soll sogar gegen „Vermüllung“ helfen. Wie genau, bleibt unklar.
Droht die Verhaftung, wenn man die Tüte von Burgermeister fallen lässt? Wird man niedergeknüppelt, wenn man seine Cola-Dose in die Ecke wirft? Es scheint, als hoffe der Senat, dass sich Passanten vom Bullen-Balken so bedroht fühlen, dass sie sich besser verhalten. Sollte Innensenatorin Spranger Foucaults Gleichnis vom Panoptikon gelesen haben, hat sie es wohl als Bedienungsanleitung missverstanden.
Am Kotti kristallisieren sich Probleme der ganzen Stadt: Wohnungsnot, Armut, Verkehr, Dreck. Doch der Senat scheitert überall daran, diese Probleme zu lösen, nicht nur in Kreuzberg. Er weigert sich bisher, eine wirkungsvolle und demokratisch abgesicherte Maßnahme anzugehen, Mieten in der Stadt zu senken – nämlich große Wohnungskonzerne zu enteignen.
Auch beim Neubau kommt er nicht zu Potte. Die Unterbringung von Obdachlosen macht zwar Fortschritte, aber da geht noch deutlich mehr, wie Helsinki zeigt, wo Obdachlosigkeit komplett verschwunden ist, seit man Betroffenen unkompliziert und ohne Bedingungen einen Wohnort verschafft.
Putzen würde auch helfen
Das Geld für die teure Wache wäre sinnvoller für kleine Maßnahmen eingesetzt, die mehr bringen, aber dafür nicht den spektakulären Robocop-Charme einer neuen Wache versprühen.
Der Senat könnte mehr und größere Mülleimer aufstellen, öffentliche Toiletten einrichten und die Straßenreinigung mehrmals am Tag kommen lassen – wie das in anderen Metropolen an viel frequentieren Orten erfolgreich praktiziert wird. Gegen Vermüllung hilft nicht mehr Repression, sondern – Überraschung – putzen. Saubere Orte werden auch weniger zugemüllt, als dort wo eh schon alles vor Schmutz starrt. Das alles wissen andere Städte schon lange.
Doch der Berliner Senat scheint wenig von erprobten Mitteln anderer Städte lernen zu wollen, wie man den Alltag in einer Großstadt besser gestalten kann. Zürich etwa hat ein ausuferndes Drogenproblem in den Griff bekommen, indem die Stadt kontrolliert Heroin an Süchtige abgibt, damit sie von der Straße kommen, nicht mehr betteln oder sich in Beschaffungskriminalität üben müssen, um sich ihren Stoff zu besorgen.
Der Senat hat es verpasst, ein Zeichen zu setzen
Berlin will zwar immer Avantgarde sein, aber auf innovative Ideen, um den vielen Problemen der Stadt Herr zu werden, kommt man nicht. Nicht mal bestehende Angebote hat der Senat geschützt: Als 2021 die Heroin-Ambulanz AID aus ihren Räumlichkeiten an der Kochstraße rausgentrifiziert wurde, hatte der Senat keine Lösung bereit. Heute ist AID in einem ehemaligen Krankenhaus in Prenzlauer Berg untergebracht.
Doch die Zwischenlösung gilt nur bis August 2023. Der Senat hat es verpasst, hier ein Zeichen zu setzen: Wir brauchen mehr Angebote für Süchtige in dieser Stadt und wir werden alles dafür tun, ihnen zu helfen, von der Straße zu kommen. Stattdessen ballert der Senat Millionen raus für eine unnötige Wache.
Für Repression Millionen locker machen, aber Hilfsprogramme verkümmern lassen, so sieht die Politik der Berliner SPD aus. Polizeiknüppel statt Sozialarbeiter. Wenn man das Leben in der Stadt schon nicht verbessert, scheint die Devise, dann sollen die Menschen, die darunter leiden, wenigstens unsichtbar werden, sodass Partytouristen und Zugezogenen nicht mehr die Nase rümpfen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin