Debatte um Polizeiwache in Kreuzberg: Scharfe Kritik von der Basis

Innensenatorin Spranger will die Polizeiwache am Kotti unbedingt. Sinnvoll sei das nicht, sagt Norbert Sommerfeld, für den Kiez zuständiger Polizist.

Innensenatorin Spranger begrüßt einen Polizisten

Hier soll ihr Denkmal in Form einer Polizeiwache entstehen: Innensenatorin Spranger am Kotti Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Norbert Sommerfeld sitzt in einem Café am Kottbusser Tor im Herzen von Kreuzberg und blickt zufrieden auf den Trubel um sich herum. „Heute ist es relativ ruhig“, sagt er. Als erfahrener Polizist weiß er jedoch: Das kann sich jederzeit ändern. Der 60-Jährige ist einer von zwei Kontaktbereichsbeamten, die für die Gegend um den Kotti zuständig sind. Seit 15 Jahren ist er Ansprechpartner für An­woh­ne­r*in­nen und Gewerbetreibende.

„Meist geht es weniger um Strafverfolgung als um Vorbeugung, dass es gar nicht erst zu Straftaten kommt“, sagt der große, stämmige Mann. Das Wichtigste sei, mit den Leuten zu reden und Vertrauen zu schaffen. „Nach so langer Zeit kennt man jeden hier und die Leute kennen einen. Man ist Teil des Kotti.“

Die Herausforderungen an dem sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort kennt Sommerfeld nach so vielen Jahren ebenfalls sehr gut: Müll, Lärm, Partytourismus, Drogen, Obdachlosigkeit, Armut, Verkehr. „Es gibt hier viele Probleme. Meist sind sie jedoch nicht polizeilicher Art, sondern soziale Probleme, die durch soziale Organisationen gelöst werden müssen und nicht durch die Polizei. Davon gibt es jedoch zu wenige“, findet Sommerfeld.

Stattdessen würden soziale Probleme zunehmend auf die Polizei abgeladen: „Obdachlose oder Junkies zu vertreiben, ist nicht unsere Aufgabe. Sind das alles Kriminelle? Ich glaube nicht.“

Kosten für die Wache: 3,5 Millionen Euro. Mindestens

Die nur wenige Meter weiter auf der Galerie des Neuen Kreuzberger Zentrums (NKZ) geplante Polizeiwache sieht Sommerfeld daher kritisch. „So eine Wache macht die Situation hier draußen nicht besser“, glaubt er. 3,5 Millionen Euro kostet das Prestigeobjekt von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) nach aktuellen Planungen. Drei Be­am­t*in­nen pro Schicht sollen in dem rund 200 Quadratmeter großen Raum über der Adalbertstraße ab 2023 Anzeigen aufnehmen, Schreibarbeiten erledigen und Vernehmungen durchführen. „Die Wache wird bei der Größe im Prinzip nur mit sich selbst beschäftigt sein. Die Polizisten werden nicht rausgehen können“, glaubt Sommerfeld.

Dabei bräuchte es in seinen Augen genau das: mehr Kontaktbereichsbeamte, die in Brennpunktbereichen das Verhältnis zwischen Bür­ge­r*in­nen und Polizei verbessern und auf den Straßen für Ordnung sorgen. „Wir brauchen Polizisten mit Namen, keine anonymen Kampfmaschinen. Sonst erreicht man auf sozialer Ebene wenig.“ Eine Anlaufstelle der Polizei für die Menschen am Kotti findet Sommerfeld im Prinzip zwar richtig; dazu würden jedoch geeignete Räumlichkeiten benötigt und ein fester Personalstamm, der Ahnung von dem Kiez habe. „Wer neu hierherkommt und niemanden kennt, kontrolliert immer den falschen“, sagt er. Ausbaden müssten das dann die Kontaktbereichsbeamten.

Die An­woh­ne­r*in­nen und Gewerbetreibenden, mit denen Sommerfeld redet, seien im Prinzip für die neue Wache, sagt er. Streit gebe es vor allem wegen der exponierten Lage und der fehlenden Einbindung der Nachbarschaft. „Die Leute haben Angst, dass das dann nicht mehr ihr Kotti ist“, glaubt der Polizist.

In einem offenen Brief haben sich am Freitag verschiedene An­woh­ne­r*in­nen­in­itia­ti­ven und soziale Träger wie der Mieterrat des NKZ, Mitglieder des Quartierrats Zentrum Kreuzberg sowie Gewerbetreibende wie das Café Kotti an den Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus gewandt und sich gegen eine Polizeiwache am geplanten Standort ausgesprochen. Sie beklagen in dem Schreiben vor allem eine fehlende Einbindung und explodierende Kosten. „Die viel beschworene Kultur der Partizipation wird mit einem Habitus des Durchregierens übergangen“, heißt es. Wesentliche Akteure am Kotti würden sich gegen den Standort aussprechen; auch sei die Suche nach alternativen Örtlichkeiten noch nicht abgeschlossen. Dennoch würden die derzeitigen Pläne als alternativlos präsentiert.

Statt einer „isolierten Polizeiwache über unseren Köpfen“ mit Videoüberwachung fordern die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen des offenen Briefs ein integriertes und nachhaltiges Konzept, das mit allen Akteuren vor Ort entwickelt wird. Das müsste auch andere Bedarfe wie kostenlose öffentliche Toiletten und aufsuchende Sozialarbeit in den Blick nehmen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum 3,5 Millionen Euro für eine Vorzeigewache in einem Wohnhaus ausgegeben werden, während soziale Projekte unterfinanziert bleiben.

Norbert Sommerfeld, Polizist

„Es fehlt ein Konzept für das Kottbusser Tor, was daraus in 20 bis 30 Jahren werden soll“

Innensenatorin Spranger will trotz der breiten Kritik das Projekt so schnell wie möglich durchziehen. Spätestens Anfang Juli sollen die Ausbauarbeiten starten, zum Beginn des nächsten Jahres soll die Wache den Betrieb aufnehmen. Für Kri­ti­ke­r*in­nen ist der plötzliche Zeitdruck unverständlich, immerhin bestehen die Probleme am Kotti seit Langem.

Das kann auch Norbert Sommerfeld bestätigen. „Die ganz schlimmen Zeiten sind vorbei“, sagt der Kontaktbereichsbeamte. Trotz aller Probleme sei der Kotti einer der wenigen Orte, wo der kulturelle Austausch wirklich funktioniere. Daher dürfe man ihn nicht nur unter Kriminalitätsaspekten betrachten, sondern auch aus einer stadtentwicklungspolitischen Perspektive. „Es fehlt ein Grundkonzept für das Kottbusser Tor, was daraus in 20, 30 Jahren werden soll.“

Dass die Wache noch verhindert werden kann, glaubt Sommerfeld nicht. „Die Wache wird kommen“, ist er sich sicher. Ob er dann noch auf den Straßen rund um das Kottbusser Tor unterwegs sein wird, ist weniger klar. Ende des Jahres wird Sommerfeld 61 Jahre alt und geht in Pension – falls sein Antrag auf Verlängerung nicht angenommen wird. „Eigentlich fühle ich mich noch nicht bereit, zu gehen“, sagt er. „Der Kotti ist dafür auch nicht bereit“, ergänzt sein Kollege.

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