Pläne der Ampelkoalition: Die neue Digital-Begeisterung
Für die neue Ampelkoalition ist es einfach, mit Digitalthemen zu punkten. Aber in manchen Stellen im Koalitionsvertrag steckt Gruseliges.
D ie Digitalpolitik der vergangenen Bundesregierungen hinterließ mitunter den Eindruck, dass es besser gewesen wäre, sie hätten nichts getan. Nicht ein x-tes Mal die Vorratsdatenspeicherung einbringen, obwohl der Europäische Gerichtshof ganz klar gesagt hat, dass damit die Grundrechte von Bürger:innen verletzt werden. Nicht eine Steigerung von 1,8 Prozentpunkten bei der Versorgung von Haushalten mit mittelschnellem Internet als Erfolg verkaufen. Kein Pilotprojekt für Flugtaxis starten – und fördern.
Und nicht auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass die in Arbeit befindliche E-Privacy-Verordnung, die unter anderem die digitale Kommunikation besser schützen soll, verwässert wird, weil irgendwelche Branchen in Deutschland der Ansicht sind, die zur Debatte stehenden Regeln könnten ihre Geschäftsmodelle bedrohen. Einfach mal nichts tun.
Das Problem ist natürlich: Wer nichts tut, verbockt zwar (im besten Falle) auch nichts, kümmert sich aber auch nicht um das Notwendigste. Zum Beispiel darum, dass endlich alle Menschen in Deutschland Zugang zu einem Glasfaser-Internetanschluss haben. Und ja, auch alle Schulen. Inklusive der notwendigen Endgeräte.
Dass Bundes- und Landesbehörden und andere staatliche oder öffentliche Stellen und Unternehmen nicht mit Software-Produkten von US-amerikanischen Herstellern mit Überwachungstendenzen arbeiten. Dass internetfähige Geräte regelmäßige Updates bekommen und nicht teilweise schon beim Kauf völlig veraltet sind.
Svenja Bergt
ist Redakteurin im Ressort Wirtschaft und Umwelt und kümmert sich dort um Netzthemen. Sie fragt sich, was zuerst kommt: Eine detaillierte Updatepflicht für vernetzte Geräte oder der Tag, an dem ihr Smartphone keine Updates mehr vom Hersteller bekommt.
In den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP haben es Sätze geschafft, die klingen, als hätte die Ampel das mit der Digitalisierung verstanden. Als hätte sie die Fallstricke und Dissonanzen dabei genauso durchdacht wie die Auswirkungen auf die Individuen und die gesamte Gesellschaft.
Zu komplex? Ein Beispiel: „Wir stärken digitale Bürgerrechte und IT-Sicherheit. Sie zu gewährleisten ist staatliche Pflicht.“ Diesen Satz hat die neue Koalition sich in ihr Programm geschrieben und man möchte nicht nur rufen: Ja, endlich hat es mal jemand in (von damals aus gesehen baldiger) Regierungsverantwortung erkannt!
Sondern man möchte auch noch überlegen, was in diesen zwei kurzen Sätzen eigentlich alles drinsteckt: Zum Beispiel, dass das Ausnutzen von Sicherheitslücken durch staatliche Stellen zu Überwachungs- oder Spionagezwecken nicht geht. Denn es schwächt die IT-Sicherheit.
Dass sämtliche Überwachungspläne von Vorratsdatenspeicherung bis zur Überwachung verschlüsselter Messenger-Kommunikation, wie sie auf EU-Ebene vorangetrieben wird, eingestellt werden müssen. Dass Behörden oder öffentliche Einrichtungen wie Schulen softwaremäßig ganz anders aufgestellt werden müssen, denn was dort passiert, hat mit IT-Sicherheit teilweise wenig zu tun. Dass es eine detaillierte Update-Pflicht für vernetzte Geräte geben muss, damit Verbraucher:innen nicht Smartphones, vernetzte Küchenmaschinen oder Staubsaugerroboter verwenden, die dank völlig veralteter Software angreifbar sind.
Nicht nur der Sommerabend am See
Oder ein anderer Satz: „Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“ Hier wird eine alte Forderung von Akteur:innen aufgenommen, die sich mit digitalem Verbraucherschutz auskennen: Public Money, Public Code.
Wenn der Staat Software in Auftrag gibt, dann soll diese bitte auch quelloffen sein. Damit Interessierte, Gelangweilte oder Neugierige reinschauen können, was eigentlich drin steckt, zum Beispiel in der Corona-Warn-App. Die war nämlich einer der extrem raren Fälle, in denen der Code tatsächlich unter einer Open-Source-Lizenz erstellt wurde.
Man könnte noch eine Weile weitermachen mit schönen und richtigen Sätzen, etwa zum Thema Recht auf Verschlüsselung (soll kommen), biometrische Überwachung im öffentlichen Raum (geht nicht) oder Bundestransparenzgesetz (geplant). Aber der Koalitionsvertrag ist eben nicht nur der Sommerabend am See, an dem alles möglich erscheint – sondern auch die Fahrt durch das Gewitter nach Hause.
Und da fällt auf, dass auch schöne und richtige Sätze nicht komplett kaschieren können, dass es anderswo recht dünn wird. Zum Beispiel, wenn es um Finanzierung und zeitliche Ziele geht, etwa für den Breitbandausbau, die Digitalisierung der Verwaltung oder den Bildungsbereich. Und schnelles Internet, so finden es die drei Parteien, gehört zwar zu „guten Lebensbedingungen“. Aber wie schnell es dafür sein muss, ob jede:r ein Recht darauf hat – das bleibt offen.
Leichter und schwerer Grusel
Um so befremdlicher, wenn es in viel trivialeren Bereichen konkret wird. So soll zum Beispiel geprüft werden, ob ein „Grundbuch auf der Blockchain“ möglich ist. Und auch die Vorratsdatenspeicherung wird immer noch nicht explizit ausgeschlossen.
Leichter Grusel kommt dann im Gesundheitsbereich auf: Die Einführung von elektronischem Rezept und elektronischer Patientenakte (ePA) soll „beschleunigt werden“. Wenn es diesen beiden allerdings an einem nicht fehlt, ist es Geschwindigkeit – die sollte in der Vergangenheit immer wieder über Mängel in anderen Bereichen, von IT-Sicherheit bis Akzeptanz, hinwegtäuschen.
Der Grusel steigert sich noch bei folgendem Satz: „Alle Versicherten bekommen DSGVO-konform eine ePA zur Verfügung gestellt; ihre Nutzung ist freiwillig (opt-out).“ Nur wer aktiv widerspricht, soll also um die elektronische Patientenakte herumkommen? Hatte die Datenschutz-Grundverordnung nicht auch etwas von Privacy by Default – also als Standardeinstellung – gesagt?
Zu einer guten Digitalisierungspolitik gehört auch: zu erkennen, wo die Grenzen sind. Und das scheint der neuen Koalition vor lauter Digital-Begeisterung schwer zu fallen. Das Spannende wird daher sein, welchen Projekten die neue Koalition Priorität einräumt. Denn in vier Jahren lässt sich viel schaffen. Auch viel Sinnvolles. Wenn man will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag