Philosoph zum Kampf gegen Klimawandel: „Wir haben ein Motivationsproblem“
Die Erde wird unbewohnbar, wenn wir weiter so konsumieren. Warum tun wir es dennoch? Ein Gespräch mit dem Sozialphilosophen Arnd Pollmann.
taz: Herr Pollmann, wenn die Ergebnisse, die aus den Verhandlungen in Glasgow resultieren, nicht ausreichen – was absehbar ist – ist es dann an den Individuen, sich freiwillig einzuschränken?
Arnd Pollmann: Überall wird jetzt Verzicht gepredigt. Aber das ist eher ein Anzeichen politischer Verzweiflung angesichts globaler Gestaltungsohnmacht. Natürlich gibt es eine individuelle Verantwortung. Aber man muss sich nur einmal den Wohlstandsmüll in den Straßen Berlins anschauen, den das progressive Partyvolk hinterlässt, das Tags zuvor noch bei der Klimademo gewesen sein könnte. Es wäre verrückt, allein auf die Vernunft zu setzen.
Das hat ja bislang auch nicht gut funktioniert.
Wenn man es global betrachtet, sieht man, wie abwegig die Idee ist: Wie soll man acht Milliarden Menschen zur Vernunft bringen?
51, ist Philosoph und Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule Berlin.
Aber es wird ja gehen müssen. Nur wie?
Jedenfalls nicht mit einem auf das Individuum zielenden Moralismus, der kapitalistische Zerstörungsmechanismen ausblendet. Man muss sich den Verzicht leisten können. Mich wundert das Ausmaß ökoethischer Herablassung: Es ist leicht, aufs Tanken zu verzichten, wenn der Job in Fahrradnähe liegt. Andere Menschen brauchen das Auto, weil sie die Mieten in den Innenstädten nicht mehr bezahlen können. Andere können schon deshalb auf nichts verzichten, weil sie ohnehin nichts haben. Da wird der Verzicht zur zynischen Moralpredigt privilegierter Milieus.
Viele fliegen wie bekloppt und fahren SUVs, als gäbe es kein Morgen. Warum handeln wir so gegen jede Vernunft?
Das Phänomen der Unvernunft diskutiert die Philosophie seit 2.500 Jahren unter dem Stichwort „Willensschwäche“. Oft weiß der Mensch ganz genau, was zu tun gut wäre, aber er tut es trotzdem nicht. Wie ist das möglich? Sokrates hat damals diese Diskussion vom Zaun gebrochen mit der These, dass es dieses Phänomen gar nicht gebe. Er war der Meinung, dass ein Mensch, der nicht das Gute tue, schlicht zu wenig Informationen habe.
Das kann heutzutage nur behaupten, wer die Augen vor der Welt verschließt.
Ja, es geht an unseren alltäglichen Erfahrungen vorbei. Vermutlich ist es eher so, dass wir die mal schützende, mal eher fatale Fähigkeit haben, Wissen nicht an uns heran zu lassen. Dann übertrumpft der zeitlich nahe Spaß die zeitlich weiter entfernte Unlust.
Wenn der Klimawandel im Nachrichtenmainstream oder in Lehrplänen mehr Platz bekäme, würde das also nicht zu mehr Bereitschaft zum Verzicht führen?
Wie viel sollen wir denn noch wissen? Faktenwissen wird überschätzt. Auch der Ruf „Listen to the science!“ führt deshalb ins Leere. Wir haben kein Wissens-, sondern ein Motivationsproblem: Man muss das verfügbare Wissen umsetzen wollen. Auch in der Politik.
Dann brauchen wir doch Verbote.
Ich fürchte, es geht nicht ohne schmerzhafte Erfahrungen und emotionalen Druck. Die einen lernen durch Scham. Denken sie an die Eltern oder Großeltern der FFF-Generation; ihnen ist ihr bisheriges Leben zunehmend peinlich.
Aber Scham scheint mir kein gutes Instrument, es führt meistens eher dazu, dass man Dinge heimlich oder schuldbewusst tut.
In Japan habe ich einmal auf einem Bahnsteig einen Mülleimer gesucht. Es gab keinen. Trotzdem lag nicht der geringste Müll herum. Herrlich.
Trotzdem. Geht es nicht auch anders?
Wenn einem das Haus wegschwimmt oder das Grundstück brennt, auch dann denkt man um. Es muss so schlimm nicht kommen, aber viele Menschen werden nur aus Erfahrung klug. Natürlich sind Menschen vernunftfähig, aber sie sind leider auch faul und bequem. Der Verzicht auf Dinge, die mir wichtig sind, macht einfach keinen Spaß.
Hat das nicht auch mit Verdrängung aus Angst zu tun? Die Folgen des Klimawandels in einigen Jahrzehnten mag man sich ungern bildlich vorstellen.
Unliebsame Wahrheiten, die uns zwingen würden, unser Leben zu ändern, werden gern verdrängt. Was aber die Angst angeht, habe ich derzeit eine andere Sorge. In der Coronakrise hat sich gezeigt, dass Angst leider ein Treibstoff für Vieles ist: für Verschwörungstheorien, Spaltung, Hass im Netz, aber auch für zerstörte Freundschaften, Einsamkeit und depressiven Rückzug. Besonders beunruhigend ist auch die Bereitschaft zu einer Art Grundrechtsdiät.
An diesem Wochenende startet der Klimagipfel in Glasgow. Das 1,5-Grad-Ziel scheint utopisch – oder kann aus Glasgow doch Paris werden? Außerdem in der taz am wochenende vom 30./31. Oktober: 10 Jahre nachdem der rechtsterroristische NSU aufgeflogen ist, sind noch immer viele Fragen offen. Und: Eine 85-jährige Akrobatin, eine Konditorin und viele schöne Kolumnen. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Warum bringt uns die Angst nicht dazu, solidarisch zusammenzurücken?
Bei manchen führt sie tatsächlich zu einem Rückzugsverhalten, das wie Solidarität aussieht. Als Sozialphilosoph bin ich überrascht über das ungeheure Ausmaß an Gehorsam. Die einen mögen das Vernunft nennen. Aber ich sehe da auch enorm viel Angst. Von Beginn der Krise an war das meine größte Sorge: Wenn wir erst einmal gelernt haben, nicht nur auf Konsum, sondern auch auf Grundrechte zu verzichten, wird dieser Lernerfolg in der nächsten Krise reproduzierbar sein.
Hat Verzicht nicht auch etwas Erfüllendes?
Schön wär’s. Es gibt ja in vielen Kulturen diese Weisheitslehren des beglückenden Verzichts. Da wird die Askese als Befreiung gefeiert. Aber diese Lehren überzeugen mich selten. Oft reden sie einem bloß die Armut schön. Man muss hier übrigens unterscheiden. Manchmal verzichtet man, um anderen einen Gefallen zu tun. Das macht selten glücklich, aber man tut es aus Rücksicht oder Pflichtgefühl. Dann wieder verzichtet man um seiner selbst willen.
Vegetarier*innen oder Veganer*innen sind nicht unglücklicher als Fleischesser*innen.
So ein Verzicht kann, muss aber nicht glücklich machen. Hier ein Beispiel, das sich so ähnlich beim Philosophen Ludwig Marcuse findet: Sie sind zu einem Abendessen mit klugen Leuten eingeladen. Es gibt tollen Wein! Ein Gast verzichtet, weil er Alkohol für sündhaft hält. Eine andere Person verzichtet, weil sie befürchtet, zu schnell zu betrunken oder müde für die Gespräche zu sein, die sie genießen möchte. Dieser zweite Verzicht kann glücklich machen, der erste eher nicht. Ich selbst bin da übrigens eher vom Typ „Kompromiss“.
Aber beim Klima ist es für Kompromisse zu spät.
Warum? Es wird auf Kompromisse hinauslaufen. Diese Pseudoradikalität bis hin zum Hungerstreik läuft auf eine quasi-religiöse Selbstauslöschung zugunsten der Natur hinaus. Mir ist das nicht sympathisch, weil es falsche Heilerwartungen weckt. Um es mit Attac und Loriot zu sagen: Eine Welt ohne Menschen ist möglich, aber sinnlos. Auch sollten wir das drohende Unglück der Zerstörung nicht zwanghaft in ein Glück der Selbstkasteiung umdeuten. Trotz der drohenden Katastrophe bleibt leider wahr: Glücklich macht doch eher der Genuss als der Verzicht. Und der Genuss ist tendenziell verschwenderisch, gesundheitlich riskant und auch nicht immer sozial vorbildlich.
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