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Ostermärsche im NordenVermehrung der Friedensbewegung

Die Ostermärsche waren teils weniger besucht als im Vorjahr. Das hat auch mit der Spaltung in der Linken zu tun, wie sich in Hamburg zeigte.

Frieden mit Russland und China: Linke auf dem Hamburger Ostermarsch Foto: Markus Scholz/dpa

Hamburg taz | „Selbstverständlich sind wir solidarisch mit den Menschen in der Ukraine“, sagte am Montagnachmittag vom Lautsprecherwagen aus einer der In­itia­to­r:in­nen des Hamburger Ostermarsches – just in dem Moment, als die Friedensdemo auf Widerspruch stieß: Kurz vor dem Endpunkt des Marsches hatten sich rund 50 Ukrai­ne­r:in­nen am Straßenrand aufgestellt und ein langes Banner gegen russische Kriegsverbrechen hochgehalten. „Keine Verhandlungen mit Terroristen“ stand auf einem anderen.

Doch ob die Solidaritätserklärung ernst gemeint war? Zwei ältere Ostermarschierer schlenderten jedenfalls mit erhobenem Mittelfinger an den Ukrai­­ner:in­nen vorbei. Von 2.500 Teil­neh­me­r:in­nen sprachen die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen des Hamburger Ostermarschs zum Kundgebungsabschluss am Fischmarkt.

Tatsächlich dürften es deutlich unter 2.000 gewesen sein, die mit durchaus widersprüchlichen Positionen gemeinsam für den Frieden demonstrierten: Da gab es einerseits die zwingende Forderung, Frieden mit Russland zu schließen und Transparente, die Jour­na­lis­t:in­nen als „Kettenhunde der Nato-USA“ bezeichneten – und andererseits Rufe, die Wladimir Putin aufforderten, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Großteils jedoch überwog, wie erwartet, die massive Hervorhebung der Nato als Verursacher von Kriegsleid.

Zugleich war am Montag der traditionelle Ostermarsch nicht die einzige Friedensveranstaltung in Hamburg – was auch die geringere Teil­neh­me­r:in­nenzahl im Vergleich zum Vorjahr erklärt: Der Riss durch die Friedensbewegung geht auch mitten durch die Linkspartei. Sie war seit ihrer Gründung elementarer Bestandteil der Bewegung und sieht sich selbst seit jeher als einzig übriggebliebene relevante Friedenspartei. Eine Friedensdemo ohne eine Fahne der Linken? Unvorstellbar.

Linke auf beiden Demos

Doch seit Beginn des Ukrainekriegs stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber, im Vorfeld zum diesjährigen Ostermarsch kochte parteiintern die Debatte mal wieder hoch: Der Parteivorstand beschloss, nicht am traditionellen Ostermarsch teilzunehmen.

Stattdessen ging er ein neues „Hamburger Bündnis gegen Militarisierung und Krieg“ ein, etwa mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), der Hamburger Regionalgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) und den Omas gegen Rechts. Rund 300 Personen nahmen an dem von ihnen organisierten „Friedensfest“ teil, das zeitgleich zum Ostermarsch stattfand.

Doch unumstritten war das parteiintern erwartungsgemäß nicht. Intern kursierte harsche Kritik an den „Bellizisten“, die mit einem eigenen Friedensfest die „Spaltung der Friedensbewegung“ betrieben. Und das ausgerechnet auf dem Carl-von-Ossietzky-Platz, benannt nach einem überzeugten Pazifisten, dessen Name durch die Veranstaltung „missbraucht“ werde, wurde in Schreiben kritisiert.

Und so wehten am Montagnachmittag Linken-Fahnen auf beiden Veranstaltungen, sprachen Bun­des­po­li­ti­ke­r:in­nen der Linken auf beiden Veranstaltungen: Beim Ostermarsch war das die Bundestagsabgeordnete Żaklin Nastić, die Sahra Wagenknechts Worte wiederholte, die Grünen seien „die gefährlichste Partei“ im Bundestag und schlimme Kriegstreiber. Beim Friedensfest warb Daphne Weber, die im Bundesvorstand der Linken sitzt, dafür, neue linke Antworten auf die aktuellen Fragen des Kriegs zu finden. „Ich habe jedenfalls noch keine endgültigen Antworten parat“, sagte sie und warb für differenzierte Debatten.

Spaltung der Linken rückt näher

Dass beide Seiten längst keine Zukunft mehr in einer gemeinsamen Partei haben, zeigte sich schon in den beiden Aufrufen zu den Kundgebungen: Beim vom Hamburger Forum organisierten Ostermarsch wurde Kritik ausschließlich an den USA und dem Westen geübt, Russland als Opfer dargestellt. Ganz anders klang der Aufruf zum Friedensfest: Der „völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine“ habe zu hunderttausenden Toten und Verletzten sowie Millionen Geflüchteten“ geführt.

Während sich am Montag in Hamburg schon die Spaltung der Friedensbewegung zementierte, dürfte die Spaltung der Linken in Kürze weiter fortschreiten: Anfang Mai soll es zu einem größeren Kongress in Hannover kommen: Unter dem Titel „Was tun?! Die Linke in Zeiten des Krieges“ wollen innerparteiliche Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet darüber beratschlagen, „welche Chancen ein organisationspolitischer Neuanfang haben könnte“.

Teilnehmen wollen auch Linke aus Bremen, Hamburg und Niedersachsen. In ihrem Aufruf kritisieren sie nicht nur, dass die Parteispitze die Friedensbewegung behindere und auch zerstörerisch in den eigenen Reihen wirke. Auch würde durch Teile der Partei „Klassenpolitik durch Identitätspolitik verdrängt“, der „Kulturkampf“ habe den Blick nur auf ein kleines akademische Milieu verengt und die Partei gespalten.

Augenfällig hauen die Kon­gres­s­-Initia­to­r:in­nen damit in dieselbe Kerbe wie Sahra Wagenknecht mit ihrer Kritik an der „woken“ Linken. Damit zeigen sich auch sehr konkret erste parteiinterne Unterstützungsgruppen, die bei der weiterhin ausstehenden Parteispaltung wohl mit abwandern würden. Dass das noch in diesem Jahr geschehen wird, damit rechnen die meisten. Für Wagenknecht wäre es rechtzeitig, um den Europa-Wahlkampf im Mai 2024 mit einer eigenen Truppe zu bestreiten.

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40 Kommentare

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  • Der deutsche Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde schrieb 1938 einen Satz, der trotz aller Unterschiede auch auf die heutige Situation der Ukraine ziemlich gut passt: "Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob anständige Leute mit den Mitteln schärfster Propaganda ein Land in eine Gemeinschaft der Freiheit und des Rechts überführen wollen oder ob eine Bande von Verbrechern, Mördern, Räubern, Brandstiftern und (was vielleicht schlimmer als alles ist) bestialischen Folterknechten, dazu Lügnern und Heuchlern mit schamlosem Rechtsbruch dieses Land einem Zustand brutalster Unterdrückung jeder Freiheit einzugliedern unternehmen." Die Deutsche Friedensgesellschaft hatte Quidde ausgeschlossen, weil er entgegen der radikalpazifistischen Mehrheit eben auf Freiheit und Recht bestand. An dieser mehrheitlichen Einstellung der deutschen Friedensbewegung hat sich offenbar seit fast 100 Jahren nichts geändert. Erschreckend.

  • Hm, ob Ostermärsche im Norden nun mehr oder weniger von Querdenkern und Braunen unterwandert sind als in anderen Teilen des Landes, und in wieweit sie auch dort von plumpen Antiamerikanismus, verstrahlter Sowjetromantik und protektionistischer Empathielosigkeit unter dem Feigenblatt des Pazifismus getragen wird, kann ich aufgrund der Ferne nicht beurteilen.

    Aber nachdem, was ich in meiner Stadt so gesehen hab und was auch bei der Betrachtung des Fotos über dem Artikel auffallend ist, wirds mit der "Vermehrung der Friedensbewegung" zumindest biologisch gesehen eher schwierig.

    Und solange sich diese Szene weiter einem verstaubten Weltbild anhängt nicht klar und eindeutig von den Feinden der Demokratie distanzieren möchte, ist das auch absolut zu begrüßen.

  • Die einem schaffen es, die politischen und militärischen Machtinteressen Deutschlands und der USA auszublenden. Die anderen schaffen es, Russlands politischen und militärischen Machtinteressen auszublenden und den Überfall auf die Ukraine als Notwehr darzustellen.



    Aber wir können nicht räumlich sehen, wenn wir ein Auge zu kneifen.

    • @Wondraschek:

      "die politischen und militärischen Machtinteressen Deutschlands" sind Handel zu den vorherigen Konditionen und gleichzeitig (kostenfreien) Schutz durch die NATO/USA...ohne selbst was dazu zu tun natürlich. Dummerweise sind diese Interessen immer schwieriger durchzusetzen...

      Was wären eigentlich die Machtinteressen der Biden-USA in der Ukraine, die denen Russlands an Niedertracht gleichkämen? Eine Ukraine in den Grenzen vor 2014 scheint mir nicht gerade ein Plan zur Welteroberung zu sein...

    • @Wondraschek:

      Wohl wahr. Vor einigen Tagen gab es in der taz eine kluge Analyse, basierend auf dem Gedankenspiel, wie Historiker mit einigen Jahren Abstand wohl auf diesen Krieg schauen werden.



      Das Verrückte ist, dass wir eigentlich schon jetzt zu diesen Erkenntnissen kommen könnten, die „freie Sicht“ jedoch durch interessengeleitete, emotionalisierte* Debatten sowie polemische und diffamierende Einlassungen gegenüber der jeweils anderen Seite geprägt ist.



      * Das Problem dabei ist allerdings nicht die Emotionalität, denn ich bin überzeugt, dass es möglich ist, eine Diskussion durchaus leidenschaftlich, zugleich aber auch sachlich - ohne persönliche Unterstellungen - zu führen. Sollte doch selbst in der taz möglich sein, oder?

  • Die Leute demonstrieren nicht gegen Russland oder dafür, dass Russland das Militär aus Ukraine zurückzieht. Stattdessen demonstrieren Sie gegen Waffenlieferungen an Ukraine, damit sie sich gegen Russland verteidigen kann, und gegen NATO.

    • @h3h3y0:

      Ich denke das ist allen Lesern klar

  • Generell sehe ich die Spaltung der Friedensbewegung durchaus kritisch. Das zum Beispiel der Bundesvorstand der Linken sich nicht zur Unterstützung des "Manifests für Frieden" durchringen konnte, obwohl die eigene Parteitagsbeschlusslage radikalere Forderungen stellt als das Manifest, fand ich durchaus enttäuschend.

    Konkret in Hamburg sieht aus meiner Sicht die Lage aber etwas anders aus. Der Aufruf zum Hamburger Ostermarsch, über den hier in der Taz ja letzte Woche auch geschrieben wurde, ist wirklich bodenlos. Er liest sich, als wäre die NATO in die Ukraine eingefallen und Russland quasi zur Verteidigung dort einmarschiert. Bei aller berechtigter Kritik an der NATO: Wer nicht in der Lage ist, Russland als den Verantwortlichen für diesen Krieg zu benennen, der ist nicht friedensbewegt, sondern stumpf antiwestlich. Das Betragen der NATO und (vor allem) der EU in bezug auf die Ukraine seit 2014 war stellenweise aus meiner Sicht grob falsch. Aber nichts davon rechtfertigt diesen verbrecherischen Krieg.

    Aus meiner Sicht ist es wichtig, gegen den Krieg in der Ukraine zu demonstrieren und möglichst baldige Verhandlungen zu fordern. Ein breites Bündnis dafür ist grundsätzlich gut, richtig und wichtig. Man sollte aber nicht zulassen, dass es von Spinnern gekapert wird, die einen Angriffskrieg nicht mal erkennen, wenn er ihnen ins Gesicht springt.

  • Pazifismus muss man sich leisten können. Steht man friedlich in der Schußlinie von Imperialisten, wird man weggeballert. Frieden muss ggf. auch mit der Waffe erkämpft werden. Man darf ja hoffen, dass böse Kriegstreiber immer seltener werden, aber das ist ein Trugschluß.



    Ein Frieden um jeden Preis führt ins Verderben, weshalb man auch nicht einfach fordern kann, man solle doch bitte mit dem Aggressor Frieden schließen. Wie absurd es ist, auf der NATO rumzuhacken, während Putin den Osten abfackelt, muss man nicht erwähnen. Ohne die NATO und die Sanktionen wäre schon Frieden in der Ukraine...sie wäre nur frei von Ukrainern und hieße nicht mehr so.



    Man kann problemlos gegen die NATO und den Krieg gegen die Ukraine sein. Man muss nur simples binäres Denken ablegen und konkret werden. Die NATO und die USA haben in den letzten Jahrzehnten viel Unheil angerichtet...diesmal liegen sie allerdings richtig. Mit Putin ist kein Frieden möglich. Er hat den Krieg vom Zaun gebrochen und darf dafür nicht mit Teilen der Ukraine belohnt werden. Er versteht nur die Sprache der Macht. Wer nachgibt wird zum Opfer.



    Die einzigen, die überhaupt über Friedensgespräche reden dürfen, sind die Ukrainer.

    • @Hefra1957:

      "Die NATO und die USA haben in den letzten Jahrzehnten viel Unheil angerichtet..."



      Man sollte aber auch jeweils die Frage nach der Alternative stellen. Wäre die Welt mit Saddam und Chemie-Ali denn eine bessere? Muss man begrüßen, dass in Afghanistan die Taliban dabei sind die Restauration der Zustände vor der westlichen Invasion zu betreiben? Hätte man einem sich auf dem Balkan anbahnenden Genozid untätig zusehen sollen? War es richtig sich aus dem Krieg in Syrien, trotz einer halben Million Toten und überschrittener roter Linien, wie dem Giftgaseinsatz Assads gegen die eigene Zivilbevölkerung, herauszuhalten oder wäre die Befähigung dazu sich dem Morden in den Weg zu stellen vielleicht doch auch Verpflichtung gewesen?

      • @Ingo Bernable:

        Internationales Recht, das einen Pfifferling wert ist, muss eingehalten werden, ob es einem nun passt, oder nicht. Der ständige Interventionismus im Nahen Osten hat jedenfalls in keinem mir bekannten Land für eine Verbesserung gesorgt - in Afghanistan wurden nach 20 Jahren Einsatz alle Errungenschaften innerhalb kurzer Zeit hinweggefegt, und die Taliban sind wieder genauso mächtig, nur besser bewaffnet (ach ja, und ein paar Tausend Leute mehr sind tot), im Irak schuf man ein Machtvakuum, das der IS mit Freuden füllte, und in Libyen bombte man ein Land mit einem für die Region überdurchschnittlichen Lebensstandard in einen "Failed State". Syrien ist auch faszinierend: Die gleichen Grünenpolitiker, die damals voller moralischem Furor Waffenlieferungen an die Peschmerga gefordert haben, waren auffällig still, als Erdogan im letzten Jahr (in seinen Worten) deren "Köpfe zusammenschlug".

        (Bevor wieder jemand um die Ecke kommt: Nichts von dem rechtfertigt den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Ich wäre allerdings sehr dankbar, wenn man aufhören würde, die Logik zu akzeptieren, es sei die eigene Aufgabe, Weltpolizei zu spielen. Die Logik: "Wenn die Iraker sich nicht selbst von Saddam befreien können, machen wir das eben für sie" hat aus meiner Sicht schon etwas kolonialistisches an sich.)

        • @Agarack:

          "Der ständige Interventionismus im Nahen Osten hat jedenfalls in keinem mir bekannten Land für eine Verbesserung gesorgt"



          Diese Bewertung hängt stark davon ab ob man eine stabile Diktatur einer instabilen und defizitären Demokratie vorzieht.



          "ach ja, und ein paar Tausend Leute mehr sind tot"



          Auch diese Rechnung stimmt auch nur unter der Prämisse, dass sich die Taliban im Falle einer ununterbrochenen Herrschaft friedlich und zivilisiert verhalten hätten. Erfahrungen wie etwa die genozidalen Attacken gegen die Minderheit der Hazara sprechen allerdings eher gegen diese Annahme.



          "in Libyen bombte man ein Land mit einem für die Region überdurchschnittlichen Lebensstandard in einen "Failed State""



          Tatsächlich ging es darum die UN-Resolution 1973 umzusetzen um die Bürgerkriegsparteien davon abzuhalten, genau das selbst zu tun und darum die Zivilbevölkerung vor Folter und Massakern zu schützen.



          Wenn internationales Recht bedeutet die Zivilbevölkerung den jeweiligen Diktatoren und Kriegsherren schutzlos auszuliefern, wenn es bedeutet Kriegsverbrechen und Genoziden tatenlos zusehen zu müssen, dann muss man es ändern oder eben brechen.

  • Wenn se denn wenigstens ehrlich wären und statt "Frieden" das Wort "Friedhof" verwendet hätten. Medwedew hat kürzlich erneut dargelegt, wie Putin sich die Zukunft der Ukrainer vorstellt.

  • Deutschland hat halt die dümmste 'Linke' der Welt!

  • Carl von Ossietzky würde in Putins Russland wegen Wehrkraftzersetzung in einem Internierungslager an Tuberkulose krepieren.

    Faschisten sind und bleiben Faschisten. Auch wenn sie sich als "Linke" bezeichnen - *der* Trick ist ja nun mal 100 Jahre alt...

    • @Ajuga:

      Wenn aber Alle Allen vorwerfen Faschisten zu sein ohne sich dabei um die inhaltliche Definition dieses Begriffs auch nur am Rande zu scheren wird er halt ziemlich beliebig und inhaltslos. Putins Russland ist ein autoritäres Regime, dass aber anders als der historische Faschismus eben nicht auf eine totalitäre Mobilisierung der Massen setzt indem er ihnen das Gefühl vermittelt Teil von etwas zu sein, sondern auf deren Demobilisierung durch Einschüchterung und Apathie.

      • @Ingo Bernable:

        Ich glaube, zum Teil ist der Putinismus durchaus faschistisch. Das Konzept der Russischen Welt ist zum Beispiel etwas, was zumindest offiziell eine Massenmobilisierung bewirken oder aber wenigstens vortäuschen soll. Der Putinismus ist im Kern nihilistisch, aber viele seiner Mechanismen ähneln dem Faschismus eben doch sehr.

        • @Suryo:

          Das (mal mehr mal weniger begründete) Phantasieren von Groß- und Weltreichen ist aber eben auch kein Alleinstellungsmerkmal des Faschismus, sondern - leider - historisch ziemlich verbreitet und zwar systemunabhängig.

          • @Ingo Bernable:

            Bei der Russkiy Mir geht es aber nicht nur um ein Weltreich, sondern auch um eine Art Philosophie. Die Russische Welt als starker, unnachgiebiger Widerpart des moralisch verkommenen, dekadenten Westens mit seinen Zumutungen, wie Demokratie, Pluralismus und Rechtsstaat. Russland ist ja nicht ohne Grund neues Traumland der Rechten weltweit.

            • @Suryo:

              Und ist das nun ein Definitionsmerkmal des Faschismus? Oder hing nicht - um mal ein mehr oder weniger willkürliches Beispiel herauszugreifen - auch das British Empire dem Anspruch/Wahn von moralischer und zivilisatorischer Überlegenheit an? Dass das derzeitige russische System ziemlich hart rechts ist, ist ganz sicher richtig, nur ist eben auch nicht alles was rechts ist Faschismus.

              • @Ingo Bernable:

                Wie gesagt, ich denke, dass der Putinismus definitiv faschistoid ist.

                Weitere Elemente aus dem Baukasten des Faschismus sind z.B. der Militarismus, das ständige Hochpeitschen eines aggressiven Nationalismus und vor allem auch die Apokalyptik. Gemäß offizieller (!) russischer Sicherheitsdoktrin befindet sich Russland in einem quasimythologischen Endkampf mit dem Westen. Immer wieder wird impliziert, dass eine Welt ohne Russland nicht lebenswert sei, Russland also durchaus mit der nuklearen Vernichtung der Menschheit reagieren dürfe, wenn es diesen Endkampf verliert. Das ist nicht mehr rational, sondern quasireligiöse Vergötterung Russlands - und vor allem auch des Krieges und der Gewalt. Krieg ist gut, Krieg ist heilig, denn er dient dem Ruhm und der Macht Russlands.

                "A time traveler from the 1930s would have no difficulty identifying the Putin regime as fascist. The symbol Z, the rallies, the propaganda, the war as a cleansing act of violence and the death pits around Ukrainian towns make it all very plain. The war against Ukraine is not only a return to the traditional fascist battleground, but also a return to traditional fascist language and practice. Other people are there to be colonized. Russia is innocent because of its ancient past. The existence of Ukraine is an international conspiracy. War is the answer."

                - Timothy Snyder

                www.nytimes.com/20...ukraine-putin.html

                • @Suryo:

                  Wenn man diese Ansicht vertritt, ergibt sich dann aber eben auch die Frage danach welche Konsequenzen sich aus dieser Einschätzung ergeben. Aus den historischen Erfahrungen mit dem Faschismus wäre wohl nahezu zwingend eine Generalmobilmachung und ein Eingreifen der NATO mit allen verfügbaren Kräften und Mitteln abzuleiten.

                  • @Ingo Bernable:

                    "Aus den historischen Erfahrungen mit dem Faschismus wäre wohl nahezu zwingend eine Generalmobilmachung und ein Eingreifen der NATO mit allen verfügbaren Kräften und Mitteln abzuleiten."

                    Ist das wirklich so? Gegen Franco oder Pinochet hat die "freie Welt" auch nicht generalmobil gemacht. Mussolini hätte man auch noch ziemlich lange weitermachen lassen, hätte er sich nich mit den falschen verbündet. Faschismus ist ja nicht immer gleich Weltkrieg und Holocaust.

                    • @Chris McZott:

                      Mir war so als ob 'Nie wieder Faschismus' vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte so etwas wie eine Selbstverständlichkeit und Staatsraison wäre. Aber vielleicht irre ich ja auch und Faschismus ist eigenlich ganz ok und akzeptabel, solange er halt keinen Holocaust und keinen Weltkrieg anzettelt.

                      • @Ingo Bernable:

                        Wie gesagt, gegen Franco oder Pinochet hat weder die BRD noch die DDR Krieg geführt.

                        Außerdem: Welche Machtmittel besäße Deutschland denn, um einen faschistischen Staat niederzuriegen?

                  • @Ingo Bernable:

                    Zumindest sollte man mal langsam der deutschen Bevölkerung klarmachen, dass Frieden und Wohlstand eben nicht garantiert sind, wenn einen ein Land im Wahn unbedingt vernichten will.

                    Mal ehrlich: wissen Sie, was Sie tun sollten, wenn es Bombenalarm gibt? Wo ist der nächste Schutzraum? Ich weiß es auch nicht. Ich bin mir aber sicher, dass Deutschland bzw. die Deutschen in ihrer jetzigen Verfassung bei einem Angriff wie dem vom 24. Februar 2022 vermutlich nach anderthalb Stunden kapitulieren würden. Aus schlichtem Unvermögen, zu begreifen, was da gerade passiert.

                    • @Suryo:

                      Um noch mal auf den Inhalt Ihres Posts einzugehen: was wäre denn die „Verfassung“ der Deutschen, wenn Sie unterstellen, sie hätten bei einem solchen Angriff wie dem russischen auf die Ukraine nach eineinhalb Stunden kapituliert?



                      Irgendwie kommen mir da Assoziationen von verweichlicht, dekadent, feige etc., aber auch an Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ des WK1. Ich weiß ja nicht.



                      Im Verwandtenkreis gab es einen Deserteur aus Hitlers Wehrmacht. Der wollte eigentlich nur sein nacktes Leben retten, wenigstens in den letzten Wochen, bevor es mit dem Wahnsinn endgültig vorbei war. Kein heldenhafter Widerstand, aber feige und unmoralisch?



                      Die Diskussionen innerhalb der Familie über diesen „Vaterlandsverräter“ haben auch meine spätere Haltung zu Themen wie (militanter) Widerstand, Krieg und Pazifismus nachhaltig geprägt … ich persönlich befürworte Waffenlieferungen an die Ukraine, habe meinen Standpunkt dazu aber erst finden müssen. Deshalb ist mir auch beispielsweise Sascha Lobos Verdikt vom „Lumpen-Pazifisten“ extrem übelst aufgestossen.

                    • @Suryo:

                      Leider gehen Sie in Ihrem Post nicht auf die Frage @Ingo Bernables ein, welche Konsequenzen denn aus der Einschätzung zu folgern sei, Russland sei ein faschistischer bzw. faschistoider Staat.



                      Ich selbst nehme die Debatte - und zwar unabhängig von der Stichhaltigkeit der Faschismus-These bezüglich Russlands und des Putin-Regimes - schon so wahr, dass argumentiert wird, dass sich die Notwendigkeit ergebe, in Moskau einen Regimewechsel herbeizuführen bzw. Russland militärisch einen derartigen Schlag zu versetzen, dass es sich davon nicht mehr so schnell erholen kann. Ob das nun explizit ausgesprochen wird oder nicht.



                      Und ich gehe weiter davon aus, dass genau an diesem Punkt - ich habe das schon einmal dargelegt - die Sollbruchstelle innerhalb des westlichen Bündnisses besteht, welche strategischen Ziele die NATO gegenüber Russland denn nun eigentlich konkret verfolgen solle, über die bloße militärische Unterstützung der Ukraine hinausgehend. Hierüber bestehen unterschiedliche Meinungen und die “blitzen” gelegentlich schon auf, wenn man mal genauer hinschaut. (Natürlich sind dabei auch die Effekte der russischen Propaganda zu berücksichtigen, der daran gelegen sein muss, einen Keil zwischen die Anti-Putin-Allianz zu treiben). Das ist aus meiner Sicht jedoch nicht der springende Punkt.



                      Im Grunde nehme ich im erster Linie so etwas wie einen innerlinken Diskurs hierzulande wahr, wenn es um den russischen „Faschismus“ geht (auch das habe ich schon mal erläutert). Das betrifft natürlich auch die Spaltung der Friedensbewegung. Da braucht es offensichtlich dringend des antifaschistischen Appells - inklusive des Hitler-Vergleichs („Putler“) -, um den eigenen (linken) Haltungswechsel begründen und rechtfertigen zu können und die grundsätzlich weiter bestehende antimilitaristische Haltung nicht ad absurdum geführt zu sehen.



                      Natürlich, man selber sich selbstverständlich nicht verändert, sondern nur die Welt drumherum … das umfasst auch das Feindbild.

  • "Zwei ältere Ostermarschierer schlenderten jedenfalls mit erhobenem Mittelfinger an den Ukrai­­ner:in­nen vorbei. "

    Ein gutes Beispiel dafür, dass Gewaltlosigkeit auch nicht immer die Lösung ist...als Reaktion auf den Mittelfinger wären fünf Finger angemessen gewesen. In Form einer Ohrfeige.

    Wie moralisch verkommen muss man sein, Kriegsopfern den Mittelfinger zu zeigen? Und zwar ausgerechnet als (mutmaßlich) Deutscher und ausgerechnet gegen Ukrainer?

    Und dabei fühlen sich die Friedensbewegten auch noch moralisch erhaben. Widerwärtig.

    • @Suryo:

      Aber warum sollte es denn korrekt sein, aus dem Verhalten von zwei Demonstranten auf den Geist des ganzen Ostermarsches zu schließen?

      Ich finde diese tendenziöse Berichterstattung sehr schwer erträglich. Man kann getrost davon ausgehen, dass Tausende aus dem Ostermarschzug die gezeigte Haltung nicht teilen.

      Die TAZ als tendenziell, zumindest ehemals, linkes Medium sollte doch ein Interesse daran haben, dass die linke Bewegung stark ist, oder?

      Die Geschichte zeigt, dass die Spaltung von Arbeiterbewegungen ein großes Problem ist und der Erreichung linker Ziele stark im Weg steht.

      Warum wird dann in der TAZ die Spaltung der Linkspartei fast schon herbeigeschrieben?

      Man kann auch anders darüber berichten. Es gibt in einer solchen Situation wie in der Ukraine keine einfachen Antworten. Margot Käsmann hat das in ihrer Rede gut zum Ausdruck gebracht. Wer Waffen liefert, macht sich schuldig des Todes Tausender, wer keine Waffen liefert kann genauso schuldig werden. Beide Meinungen handeln mit guter Absicht. Unsere Welt ist leider nicht schwarz-weiß.

      Also - lasst uns lieber Gemeinsamkeiten suchen in der linken Bewegung und stolz darauf sein, dass wir ein breites Meinungsspektrum abbilden. Ja, das auszuhalten ist schwer.

      Aber wir haben genügend Gegner - außerhalb der linken Bewegung. Da müssen wir uns nicht selbst zerfleischen.

      • @TTT:

        „Wer Waffen liefert, macht sich schuldig des Todes Tausender, wer keine Waffen liefert kann genauso schuldig werden.“

        Wer Waffen liefert, macht sich vielleicht im metaphysischen Sinne schuldig - aber „nur“ am Tod russischer Invasoren. An Soldaten. An den russischen Tätern.

        Wer keine Waffen liefert, macht sich mit absoluter Sicherheit schuldig am Tod von ukrainischen Zivilisten, am Tod der Opfer russischer Aggression.

        Das ist hier kein Streit, bei dem irgendwie beide Seiten gleich Schuld haben. Nein, Verursacher und damit Schuldiger ist ganz allein Russland.

        Wer behauptet, dass man sich mit Waffenlieferungen an die Ukraine irgendwie genauso schuldig macht wie Russland, könnte genausogut behaupten, dass sich schuldig mache, wer der Polizei Waffen liefert, mit denen sie Menschen vor Gewalttätern schützt. Absurd!

      • @TTT:

        „Wir Deutsche lassen uns doch nicht von so ein paar Ukrainern unsere deutsche Friedensbewegung spalten.“

        Echte Linke sind Feinde dieses Russlands. Was denn sonst?

      • @TTT:

        "Warum wird dann in der TAZ die Spaltung der Linkspartei fast schon herbeigeschrieben?"



        Was daran wird denn bitte "herbeigeschrieben"? Es wird berichtet was manifeste Tatsache ist. Eine Berichterstattung die die Probleme dieser Partei aus taktischen Erwägungen verschleiern und zudecken würde wäre eben Desinformation und Propaganda. Don´t shoot the mesenger.

    • @Suryo:

      Die "hässlichen Deutschen" demonstrieren für das, was sie für Frieden halten.

      • @Jim Hawkins:

        Wie war das noch mit den Kriegserfahrungen, die laut Welzer bei den Deutschen besonders präsent seien?

        Anders natürlich als bei Ukrainern. Die haben bekanntlich vom zweiten Weltkrieg nichts mitbekommen.

        • @Suryo:

          In Deutschland ist man eben von Haus aus nur gegen Kriege, die von den USA oder eben dem Westen angezettelt wurden und hat nur Angst vor Kriegen, die den eigenen Hintern betreffen könnten.

          Die Weltsicht dieser Leute war schon immer falsch und sie haben nicht einen Moment lang darüber nachgedacht, dass sie sich irren könnten.

          Seit Jahrzehnten plappern sie immer dasselbe daher, da kann sich die Welt verändern, wie sie will.

          • @Jim Hawkins:

            Außerdem haben wir (West) gelernt: Besatzung ist in Ordnung. Da kommen dann die höflichen Tommies und die freundlichen Amis und schenken einem Schokolade und Zigaretten, und nach ein paar Jahren ist man wieder wer. Da sollen sich diese Ukrainer mal nicht so haben und sich gefälligst dem Russen ergeben.

  • "Gegen Nato......Sanktionen..." und Tschüss



    Die restliche Linke tut aber auch wirklich alles um ihre letzten Wähler zu vergraulen.



    Russland hat diesen grausamen Krieg begonnen, geht das nicht in euren Kopf. Da sind Sanktionen noch die friedlichste der Gegenwehr. Die Linke wird untergehen und das aus eigener Schuld.

    • @Rudi Hamm:

      "Die Linke wird untergehen und das aus eigener Schuld."

      Sehr richtig. Diese Linke wird daran zerschellen, dass sie Ziele hat, die miteinander unvereinbar sind.

      Sie ist gegen Militärausgaben, will aber nicht zur Kenntniss nehmen, dass wir in einer Welt Leben, in der man gegen Aggressoren gewappnet sein muss. Sie fordert die "Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands" - und es ist nun offenkundig geworden, dass Russland ein Aggressor ist, der seine Nachbarn destablisieren will, und eine NATO-Mitgliedschaft sehr gut davor schützt angegriffen zu werden, und deswegen Russlands europäische Nachbarn ihren Schutz suchen. Sie möchte Frieden, will dem Angegriffenen aber nicht helfen, weil sie Rüstungsexporte schon aus Prinzip ablehnt - genauso wie Atomwaffen. Wenn aber kein Staat damit rechnen kann im Fall angegriffen zu werden Waffen bekommen zu können, führt dass dazu, dass jeder Staat eine eigene Rüstungspoduktion aufbauen und so viele Waffen und Munition ansammeln und einlagern muss, dass es auch für einen jahrelangen Krieg reicht, oder muss Atomwaffen anstreben um eine hinreichende Abschreckung zu erlangen. Andernfalls könnte jeder mächtigere Staat jeden schwächeren Angreifen, weil er weiß, dass der schwächere sowieso keine Hilfe bekommt. Sie fordert, dass Russland Kampfhandlungen einstellt und an den Verhandlungstisch zurückkehrt und dass dazu eine diplomatische Initiative starten soll, hat aber kein schlüssiges Konzept, wie man Russland dazu bringen könnte, dies auch zu tun. Schließlich bedeutet Diplomatie, zum erreichen eines Ziels Druck auszuüben oder ein Angebot zu machen, aber man bleibt die Antwort schuldig, wie das aussehen soll.

      Die Liste solcher einander widersprechenden Ziele lässt sich auch in anderen Bereichen noch lange fortsetzen.

      • @Socrates:

        Gut dargestellt, danke!