Ökologie und Bürokratie: Verbieten wird verboten
Schluss mit Öko-Gesetzen, heute hat alles einen Preis. Richtig so: Demnächst gibt es noch Geld, wenn man an der roten Ampel hält oder nicht betrügt.
A n unserem Ofen hängt eine gelbe Karteikarte. Auf ihr steht: „Ofen“. Am Kühlschrank: „Kühlschrank“. Unsere Gastschülerin aus Brasilien lernt Deutsch: „Schnippschnapp“, „schnuppern“ oder „gönn dir!“ haben wir ihr schon antrainiert. Dann dachte ich, ich müsse ihr das deutscheste aller Worte erklären: „verboten!“ Aber dann habe ich gemerkt: Das ist total old school. Das Wort stirbt aus.
Verbieten ist verboten. Jedenfalls in der Umwelt- und Klimadebatte. Etwas vorschreiben, untersagen, reglementieren … uäärgh! Nein, alles muss jetzt seinen Preis haben. Vor allem das CO2.
Das ist natürlich so bei den Freiheitskämpfern der FDP. Aber auch zu den Grünen muss man nur „Verbotspartei“ sagen, schon sind sie schockgefroren. Manche SPD-Ökos murmeln noch leise „gesetzliche Regelungen“, wenn niemand hinhört – aber von der CDU/CSU kommt der laute Sound der Freiheit: Innovation! Investition! Selbstbestimmung! Anreize!
Wir müssen da ganz neu denken. Die Gängelung durch die Bürokratie muss endlich ein Ende haben! Wir ersetzen den Untertanenstaat durch ein System von Incentives und neuem Denken! Wir schreiben nicht mehr „Betreten der Baustelle verboten“ an den Bauzaun, sondern schenken den Kindern Gummibärchen, wenn sie nicht zwischen den fahrenden Bulldozern spielen. Wer mit dem Auto an einer roten Ampel hält, bekommt per App 50 Cent überwiesen. Der Chemiefabrik, die ihr Gift nicht in den Fluss leitet, errichtet die Stadt ein Denkmal auf dem Marktplatz.
Wir sparen uns den Nanny-Staat und investieren das Geld lieber in Ideen: Ein Döner-Imbiss ohne Gammelfleisch am Spieß wird von der Stromsteuer befreit. Finanzbeamte bringen jetzt ehrlichen Steuerzahlern einmal im Jahr Blumen vorbei, statt hinter schwarzen Schafen herzuschnüffeln.
Wer den Müll zehnmal nicht beim Nachbarn über den Zaun wirft, bekommt freien Eintritt im Recyclinghof. Und weil ich mir kein halbautomatischs Sturmgewehr anschaffe, um mit dem Nachbarn über seine Ruhestörungen zu diskutieren, bezahlt mir das Innenministerium einen Jagdausflug in die Schorfheide.
Endlich können wir so nach unserem freien Willen und nicht nach Kaiser Wilhelm leben. Eigentlich brauchen wir auch kein Strafgesetzbuch mehr. In Zukunft gibt es Steuererleichterungen für alle, die nicht in Betrugsdelikte verwickelt sind. Und freies Netflix plus Gratis-Sofa für Eltern, die ihre Kinder nicht regelmäßig vermöbeln.
Alle sind dann glücklich, weil die politischen Fragen durch Abfindungen und die ökologischen Probleme durch Erfindungen gelöst sind. Und mir bleibt erspart, unserer Austauschschülerin Sinn, Zweck und Bedeutung dieses Begriffs aus einem anderen Zeitalter zu erklären, der nun wirklich der deutscheste der deutschen Sprache ist: „das Ordnungsrecht“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen