Neurechtes Magazin „Die Kehre“: Make Ökos rechts again?
Die Zeitschrift „Die Kehre“ will Naturschutz wieder am rechten Rand etablieren. Und gleichzeitig auch den völkischen Flügel der AfD begrünen.
G rün, links und ökologisch: Das ist ein Dreiklang, der in Deutschland irgendwie zusammengehört. Doch eine Gruppe Rechter stört sich daran. Das Magazin Die Kehre von Chefredakteur Jonas Schick, der aus der Identitären Bewegung kommt, will das Thema „Ökologie“ wieder am rechten Rand verankern.
In der ersten Ausgabe – erschienen 2020 – fordert Schick etwa, „der aktuell stattfindenden Verengung der Ökologie auf den ‚Klimaschutz‘ Einhalt zu gebieten und den Blick dafür zu weiten, worin ihre ursprüngliche Bedeutung liegt: daß sie eine Lehre von der gesamten Umwelt ist, die Kulturlandschaften, Riten und Brauchtum, also auch Haus und Hof (Oikos) als ihren Namensgeber einschließt“.
Vertrieben wird die Kehre vom Oikos Verlag, der seit Juni 2023 von Philip Stein geführt wird. Stein betreibt auch den neurechten Verein Ein Prozent. Der Verein gilt als Vorfeldorganisation des völkischen Lagers in der AfD. Und auch Chefredakteur Schick heuerte vergangenes Jahr bei dem AfD-Bundestagsabgeordneten René Springer an.
So wundert es nicht, dass Björn Höcke in einem langen Interview ausbreiten darf, wie wichtig ihm „der Erhalt und die Pflege unserer tradierten Kulturlandschaft“ seien. „Wir müssen den Grünen das Thema Naturschutz wieder entreißen“, sagt Höcke, „weil es nur bei uns richtig aufgehoben ist!“
Rechte für Naturschutz
In der Tat prägten Rechte die Umwelt- und Naturschutzbewegung seit dem 19. Jahrhundert. Der aufkommenden industriellen Moderne hielten Denker wie Ernst Moritz Arndt den deutschen Wald entgegen, den sie einerseits als schutzbedürftig, andererseits auch als identitätsstiftend für die Nation sahen. Die Nazis griffen diesen Mythos auf. An die Macht gelangt, wiesen sie neue Naturschutzgebiete aus und förderten das Recycling von Abfall. Nach 1945 aber rückte der Umweltschutz im Aufschwung des deutschen Wiederaufbaus in den Hintergrund.
In den 1970er Jahren setzten sich in Westdeutschland dann auch vermehrt Linke für ökologische Belange ein. Sie sammelten sich in der Grünen Partei – und schassten bald die Konservativen und Altnazis, die sich anfangs auch dort tummelten.
Gegen diesen Linksturn der deutschen Ökologie will die Kehre nun anschreiben. Das Magazin ist in mattem Design gehalten, erscheint vierteljährlich und kostet 10 Euro. Neben Essays zu Natur und Nachhaltigkeit (in alter Rechtschreibung, versteht sich) finden sich dort auch Kurzmeldungen zu Glyphosatstudien oder dem Vogel des Jahres 2023 (das Braunkehlchen). Wie viele Menschen die meist zwischen 60 und 80 Seiten umfassende Kehre lesen und wer sie finanziert, will Schick nicht preisgeben, eine entsprechende Anfrage der taz bleibt unbeantwortet.
Gegen „grünes Wachstum“
Doch welche Ideen vertritt sie? Überwiegend beschäftigt sich die Kehre mit ähnlichen Themen wie auch progressive Ökos, setzt dabei aber andere Akzente. So etwa beim Klimawandel: Direkt geleugnet wird er in diesem Magazin kaum. Zwar kokettieren die fast ausschließlich männlichen Autoren immer wieder mit dem Gedanken, der menschliche CO2-Ausstoß sei womöglich nicht die Hauptursache für die Erderhitzung. Von der massiven Nutzung fossiler Brennstoffe wollen sie aus Naturschutzgründen trotzdem abrücken.
Ein Graus ist der Kehre „grünes Wachstum“ um des Klimas willen. Für den Klimaschutz leide der Naturschutz, schreibt Schick: „Windkraftanlagen schreddern Vögel, Fledermäuse und Insekten, Biomasseanbau fördert die Landverödung qua überdüngter Monokulturen und die Kobaltförderung für die Herstellung ‚grüner Technologie‘ im Kongo hinterläßt schwelende Wunden, sowohl ökologischer als auch sozialer Art.“
Der Titel der Zeitschrift geht auf einen Aufsatz des Philosophen Martin Heidegger zurück. In „Die Technik und die Kehre“ stellt Heidegger die moderne Technik als Gefahr dar, weil sie dem Menschen den Zugang zu seinem authentischen „Sein“ verstelle. Aus dieser Gefahr ergibt sich aber auch die Möglichkeit einer „Kehre“, sagt Heidegger, einer Rückkehr zum Ursprünglichen, zu Natur und Heimat.
An diese Alternative zur industriellen Moderne knüpft die Kehre an. Ebenso wie ihr ideologisches Vorbild Heidegger sorgt sie sich um den Erhalt von Wald und Wiesen, in denen sie die angestammte Heimat der Deutschen sieht.
Auffällig ist, dass die Neurechten ihre Kritik der Moderne mit mehr Inbrunst vortragen als die alternativen Ökos. Das wundert kaum. Vielen Linksalternativen dürfte zumindest implizit klar sein, dass die Industriegesellschaft historisch auch jene gesellschaftlichen Liberalisierungen ermöglicht hat, die sie bewahren und ausbauen wollen. Der rechte Rand hingegen will auch diesen Fortschritt umkehren.
Die Bioregion für Deutsche
Der DDR-Umweltrechtler Michael Beleites, der sich früher bei Greenpeace engagierte, mittlerweile aber beim neurechten Institut für Staatspolitik doziert, fordert deshalb einen Abschied vom Wirtschaftswachstum und die Rückkehr aufs Land. Das Schlagwort in der Kehre dafür lautet „Bioregionalismus“.
Schnell geht es dann aber nicht mehr nur um Flora und Fauna, sondern um „die Aufrechterhaltung der ‚relative(n) Einheit von Mensch und Raum‘, die 'nicht durch unkontrollierte Zuwanderung in einer multiethnischen und multikulturellen Beliebigkeit’ untergehen darf, da der Bioregion sonst ‚die Humanbasis entzogen‘ würde“, schreibt der Autor Hagen Eichberger.
Alain de Benoist, der französische Vordenker der neuen Rechten, echauffiert sich in der Kehre, „daß viele Umweltschützer, die sich um die Erhaltung der Artenvielfalt kümmern, dem Verlust der Vielfalt der Völker und Kulturen gleichgültig gegenüberstehen“. In dem Sinne bezeichnet eine Bildunterschrift die migrantisch geprägte Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln als „Epizentrum der Entwurzelung“.
Furcht vor der „Überbevölkerung“
Wenn die Autor:innen über Einwanderung sprechen, ist auch die Sorge um die vermeintliche „Überbevölkerung“ des Planeten nicht weit. Die Naturschützerin Lotta Bergemann warnt in der Kehre vor einem „Öko-Kollaps“, wenn die Weltbevölkerung nicht „auf einem niedrigen Niveau stabilisiert“ werde.
Ähnlich denkt Höcke – und beruft sich auf den Tierforscher und Nationalsozialisten Konrad Lorenz, der darauf hingewiesen habe, „daß die ökologischen Gesetze auch für den Menschen gelten. Es kann kein ewiges Wachstum geben, auch nicht in der Bevölkerungsentwicklung. Wenn wir es nicht durch grundsätzlichen Bewußtseinswandel abstoppen können, dann wird die Natur regulativ eingreifen – aber sicherlich auf eine Art und Weise, die uns nicht sehr menschlich erscheinen wird.“
Die Ideen erinnern an den US-Autor Paul R. Ehrlich, der 1968 in „The Population Bomb“ über die vermeintlich natürlichen Grenzen menschlichen Wachstums schrieb – seine Prognosen eines Massensterbens stellten sich jedoch als hanebüchen heraus. Die Neurechten sehnen sich einen solchen Massentod scheinbar trotzdem herbei, auch wenn sie ihren Wunsch in euphemistische Sprache zu kleiden wissen. Über den Vorwurf aber beschwert sich Schick: Die Linke sähe „hinter der Forderung nach einer Reduzierung der Weltbevölkerung erneut Auschwitz am Horizont heraufziehen“.
Politische Ambitionen
Ungeachtet der hochtrabenden Ansprüche bleibt die politische Wirkung der Kehre schwach. Schick gibt 2020 zu, es gelinge ihr noch nicht, in der AfD eine „ökologische, sozial-konservative“ Position mehrheitsfähig zu machen. Höcke fügt im Gespräch mit Schick an, man müsse dennoch „Konzepte für den Tag erarbeiten, an dem klar wird, daß die etablierte Politik mit ihrem einseitigen Wachstumsdogma am Ende ist. Die Theoriearbeit muß jetzt geleistet werden.“
Zudem müssten die Rechten „den Begriff des Lebensstandards qualitativ erweitern, um den materiellen Aspekt etwas zu relativieren“. Die AfD-Wähler:innen scheinen sich bislang aber eher um ihre materiellen Interessen zu sorgen, als um Kleinbauern- und Naturfolklore.
Ökologie statt Faschismus
Diesem Widerspruch zwischen materiellem Anliegen und Naturschutz mussten sich auch die Nazis stellen. Trotz Blut-und-Boden-Folklore schlugen sie für den Autobahnbau Schneisen durch Wald und Flur und produzierten Panzer und Raketen am Fließband. In einem Kehre-Text lobt Andreas Karsten – Chefredakteur des rechten Magazins Zuerst! – das „nationalsozialistische Waldverständnis“ und die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete durch die NSDAP.
Schick dagegen grenzt sich in selbiger Ausgabe vom Faschismus ab, weil ihm dieser zu modern ist. Faschistische Ansätze, „die den ‚Fortschritt‘ in einem nationalistischen Sinne lenken wollen“, stünden einer rechten Umweltpolitik diametral entgegen, schreibt er. „Der Faschismus hatte als revolutionäre, radikalrechte Bewegung […] seine spezifische Zeit und scheiterte an der Aufgabe, die er sich gestellt hatte.“ Die Idee eines „Ökofaschismus“, die der jüdische Philosoph André Gorz kritisch analysiert, will Schick sich deshalb nicht zu eigen machen – „Ökologie“ und „Faschismus“ ließen sich nicht vereinen.
Die neurechten Ökos wollen sich stattdessen so weit wie möglich von der Moderne lossagen. Dabei verfolgen sie zwei langfristige Ziele: den gesamten ökologischen Diskurs nach rechts zu verschieben und die AfD zu begrünen. Am liebsten würden sie zurückkehren zu den vermeintlich einfacheren und harmonischen Lebensverhältnissen von anno dazumal: Heimat, Hof, Gemeinschaft und die patriarchale Familie. All das fügt sich trefflich zusammen im ganzheitlich-ökologischen Denken der Kehre.
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