Neuer Vizechef in der SPD: Ein Star tritt auf
Kevin Kühnert zündet ein rhetorisches Feuerwerk beim SPD-Parteitag in Berlin. Der Jusochef ist nun einer von fünf Vizechefs der Partei.
Die SPD hat ihre Führung fast komplett ausgewechselt. Nur der Schatzmeister, Europabeauftragte und Generalsekretär Lars Klingbeil sind noch dabei. Klingbeil macht seinen Job seit zwei Jahren. Mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat er, inklusive der kommissarischen Parteiführung, jetzt acht ChefInnen erlebt. Willkommen bei der SPD.
Bei der Vize-Wahl fiel das Duell zwischen dem Arbeitsminister Hubertus Heil und dem Jusochef Kevin Kühnert aus. Die Parteiführung hatte im letzten Moment die Zahl der Stellvertreter von drei auf fünf erhöht, um den Frieden zu retten. Die sind nun Serpil Midyatli (79,8 Prozent) Klara Geywitz (76,8 Prozent), Anke Rehlinger (74,8 Prozent) und eben Kühnert (70,4) und Heil (70).
Beim SPD-Parteitag im Berliner City Cube sind alle Signale auf Versöhnung gestellt. Dass Heil, Held der Grundrente, nur 70 Prozent bekommt, zeigt, wie tief die Skepsis gegenüber der GroKo sitzt. Als das Ergebnis bekannt gegeben wurde, entgleisten ihm kurz die Gesichtszüge.
Es gibt bei Parteitagen oft den einen spektakulären Moment. Um kurz vor sieben zündet Kevin Kühnert ein rhetorisches Feuerwerk, das alle anderen Reden überstrahlt. Er sieht sich als „Mittler“ zwischen der Partei und den Jungen, den alten GenossInnen und der Internetwelt. „Unsere Partei müsste die Demokratisierung von Kommunikation durch das Internet spannend finden“ sagt er. Ihr habt keine Ahnung von der digitalen, individualisierten Rezo-Welt da draußen, deshalb braucht ihr mich. Das sagt Kühnert nicht, aber zwischen den Zeilen irgendwie doch. Er kann geschickt zwischen den Zeilen reden.
Stratege, Königsmacher, Star
Er greift Annegret Kramp-Karrenbauers Idee einer Dienstpflicht für Jüngere frontal an. G8-Abi und Turbostudium würden die Jüngeren hindern, sich für das Gemeinwesen zu engagieren. Anstatt Freiheiten für Jüngere zu schaffen, wolle die Union Zwang. Kühnert umkreist die Frage, wie sich Individualisierung und Solidarität vertragen. Er will beides – deshalb habe er sich auch nicht bei der von Sahra Wagenknecht initiierten Aufstehen-Bewegung engagiert, der der Sinn für individuelle Freiheiten und Minderheitenrechte gefehlt habe.
Am Ende nestelt er eine rote Socke hervor. Mit den Roten-Socken Kampagnen hätten die Konservativen früher die SPD klein gemacht. Deswegen habe die SPD zwei Mal aus Angst die rot-rot-grünen Mehrheiten im Bundestag nicht genutzt. Das sei jetzt vorbei. Dann zieht die Socke auf links – innen ist sie blau, die Farbe der AfD. Dort rechts lauere die Gefahr für die Demokratie, sagt Kühnert. Will sagen: Man wird die Union wegen der AfD nun so vor sich hertreiben, wie es die Konservativen früher mit der SPD machten.
Die Effekte sind präzise gesetzt und exakt getimt. Kühnert verbindet eine gescheite Reflexion über die Bedingungen von Politik in der individualisierte Gesellschaft mit Angriffen auf den Gegner – Andreas Reckwitz plus Klamauk. Es ist eine perfekte Performance. Fast beängstigend perfekt für einen Dreißigjährigen. Der Applaus der GenossInnen ist nicht höflich wie bei den Reden der neuen Parteiführung, sondern spontan, dröhnend, begeistert.
An der Spitze der SPD steht mit Esken und Walter-Borjans ein Duo, das im Auftreten und auch im Denken etwas bieder wirkt. Hubertus Heil ist ein gewiefter Politprofi, ein entschlossener GroKo-Befürworter, der die Partei sehr gut kennt. Kevin Kühnert ist Stratege, Königsmacher, Star. Wie es aussieht, sind die starken, prägenden Figuren der neuen Parteiführung nicht ganz oben zu finden, sondern in der zweiten Reihe.
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