Neue SPD-Chefs auf dem Parteitag: An die Spitze balanciert

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind neue SPD-Chefs. Ihr Ergebnis ist mehr als ordentlich – dank kluger Bewerbungsreden.

Mann und Frau reißen Arme hoch

Siegestaumel: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sind die neuen Vorsitzenden der SPD Foto: Michael Kappeler/dpa

Die neuen SPD-Vorsitzenden mussten auf dem SPD-Parteitag die Erwartungen derer dämpfen, die auf ein schnelles Aus der Großen Koalition hofften. Sie mussten aber auch den Eindruck vermeiden, als Tiger gestartet und als Bettvorleger des regierungswilligen Parteiestablisments gelandet zu sein. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans balancierten auf diesem schmalen Grat recht gekonnt.

Die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken und der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans sind neue Vorsitzende der SPD. Der Parteitag wählte die beiden Kritiker der großen Koalition am Freitag in Berlin und bestätigte damit das Ergebnis des Mitgliederentscheids. Die 58-jährige Esken erhielt 75,9 Prozent, der 67 Jahre alte Walter-Borjans 89,2 Prozent. Damit wird die Partei erstmals von einer Frau und einem Mann gemeinsam geführt. Das Duo hatte die Stichwahl beim Mitgliederentscheid gegen die brandenburgische Politikerin Klara Geywitz und Finanzminister Olaf Scholz für sich entschieden. Esken und Walter-Borjans waren auf 53,06 Prozent gekommen, ihre beiden RivalInnen nur auf 45,33 Prozent. (dpa)

Esken hielt eine mit wenige Esprit vorgetragene, aber inhaltlich gute Rede, die Aufbruch, aber auch Kontinuität versprach. Sie, die den Sprung von der Paketbotin zur Softwareentwicklerin und Politikerin schaffte, wies natürlich auf ihre Aufstiegsbiografie hin. Sie lobte mit warmen Worten das von Andrea Nahles entwickelte Sozialstaatskonzept und versprach, den Niedriglohnsektor auszutrocknen.

Der zentrale Satz lautete: Mit dem Leitantrag gebe die SPD der Großen Koalition „eine realistische Chance“ auf eine Fortsetzung. Das ist der Plan. Kein überstürzter Ausstieg, aber auch keine Bestandsgarantie. Eskens ruhiger Ton war gut gewählt.

Die SPD ist tief im Herzen eine strukturkonservative Partei. Sie mag keine Revolutionen, Realismus aber umso mehr. Das weiß auch Juso-Chef Kevin Kühnert. Die Groko jetzt platzen zu lassen, wäre keine gute Idee für eine 13-Prozent-Partei, die auf das Danach nicht vorbereitet ist. Neue, unerfahrene ChefInnen, keinE KanzlerkandidatIn, große Unsicherheit in der Basis und ein geschwächter Vizekanzler. Ein Groko-Aus zu Nikolaus, von dem manche Jusos träumten, wäre ein Himmelfahrtskommando.

Signale der Abrüstung

Auch ihr Co-Chef Walter-Borjans machte seine Sache gut. Er kritisierte die CDU-Vorsitzende für ihre Idee, die Bundeswehr in mehr weltweite Einsätze zu schicken. Und erwähnte ausdrücklich wichtige Stützen der Regierung. Den unterlegenene Olaf Scholz, Außenminister Heiko Maas und Fraktionschef Rolf Mützenich. Beide, so Walter-Borjans, schärften das Profil der SPD als „Kraft der Friedenssicherung“. Lob für die regierenden Parteifreunde, auch das sind Signale der Abrüstung. Die Delegierten drückten ihre Wertschätzung dafür auf. Esken bekam mit 75,9 Prozent ein ordentliches Ergebnis, Walter-Borjans mit 89,2 Prozent ein sehr gutes.

In dem Leitantrag dimmen die Vorsitzenden die Forderungen herunter, mit denen sie Wahlkampf vor der Basis gemacht haben. Nichts anderes war zu erwarten. Beispiel Mindestlohn: Die SPD fordert nicht die sofortige Anhebung auf 12 Euro, die mit der Union nicht zu machen wäre. Stattdessen steht im Leitantrag ein weicher Satz: „Unser klares Ziel ist dabei perspektivisch die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro.“

Perspektivisch – das öffnet einen Verhandlungskorridor für die neue Parteispitze in der Großen Koalition. Die oft gehörte These, dass mit den Neuen das Bündnis enden müsse, könnte sich als falsch erweisen.

Kampfabstimmung abgeblasen

Störendes wurde beim Parteitag klug weggebügelt. Eine erwartete Kampfabstimmung zwischen Hubertus Heil und Kevin Kühnert um einen Vizeposten wurde von der Parteispitze abgeblasen. Der Arbeitsminister steht wie kaum ein anderer für die Groko, der Juso-Chef dagegen. Ein Votum des Parteitages wäre in die eine oder andere Richtung gelesen worden.

Die SPD-Spitze schaffte lieber neue Posten, als diesen Showdown zuzulassen. Statt wie geplant drei wird es in Zukunft fünf Vizes geben. Ob dies den Telefonkonferenzen des Vorstands gut tut, sei dahin gestellt. Aber die versöhnliche Geste ist wichtiger. Es gilt, eine verunsicherte, gespaltene Partei zu einen.

Den meisten Applaus bekam Walter-Borjans, als er sich an dem „Linksruck“ abarbeitete, den viele Leitmedien witterten. Wenn es links sei, mehr für Menschen mit wenig Geld zu tun, wenn es links sei, auf sozialen Wohnungsbau zu setzen, dann „sind wir links“. Das könnte ein zukunftstaugliches Versprechen sein.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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