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Nach Merz' Tabubruch im BundestagWie kann man die CDU retten?

Die Demos gegen CDU-Chef Merz laufen unter dem Motto „Aufstand der Anständigen“. Das ist unanständig, weil es eine unnötige Polarisierung vorantreibt.

Wenn es nach Michel Friedmann geht, so ist die CDU nicht so schlimm wie Merz sie aussehen lässt Foto: Stefan Boness/imago

W enn Vereine, Eltern, Hausgemeinschaften oder auch Redaktionen Sitzungen haben, dann weiß man nie, auf welches Thema sich die Leute stürzen werden. Aber man weiß genau, dass die großen Fragen der Elefant im Raum sind, der verlässlich ignoriert wird. So scheint es mir auch vor dieser Bundestagswahl zu sein, da die zentralen Zukunftsfragen ausgeklammert werden: politische und ökonomische Investitionen in Europa und damit zusammenhängend in eine postfossil funktionierende Wirtschaft, Verteidigungsfähigkeit, Digitalinfrastruktur und die desaströsen Kollateralschäden der alternden Gesellschaft.

Auch Medien und Mediengesellschaft lassen sich liebend gern ablenken und fördern so – die einen absichtlich, die anderen arglos – die wachsende Bereitschaft zur Zerfleischung.

Nun will ich nicht sagen, dass die Lage nicht scheiße wäre. Es ist gut, dass am vergangenen Wochenende Hunderttausende für die liberal-emanzipatorischen Errungenschaften und den Rechtsstaat demonstrierten. Es ist indes falsch, wenn das unter dem Label „Aufstand der Anständigen“ läuft.

Es sind die anderen, die einen Aufstand machen, und zwar gegen das, was die Demos verteidigen wollen. Und sich selbst „die Anständigen“ zu nennen, das halte ich für unanständig. Es zielt auf maximale moralische Deklassierung anderer und zahlt damit auf die Ziele der Populisten ein, mit Erzeugung von Wut eine Polarisierung voranzutreiben. Man braucht sich nicht mit Habermas auskennen, um zu wissen, dass wir in einer gemeinsamen Welt leben müssen.

Es braucht die CDU

Wir können und wollen ja eben Andersdenkende nicht deportieren. Also gibt es vier Möglichkeiten: Wir überzeugen die anderen mit unseren Argumenten oder sie überzeugen uns (beides unwahrscheinlich), wir leben verfeindet, aber nicht im Krieg nebeneinander her, wir schlagen uns die Schädel ein, oder wir finden doch immer wieder Mehrheiten für Kompromisse auf Basis der gemeinsamen Gesellschaft.

Ich halte die vierte Möglichkeit für erstrebenswert, aber dazu braucht es die CDU. Ohne eine starke und gemäßigte Mitte-Rechts-Partei keine gesellschaftliche Mehrheit für die liberale Demokratie. Nun werden Leute rufen, dass an der Union im Moment gar nichts gemäßigt ist. Sagen wir so: Offenbar hat Donald Trump auf unterschiedliche Arten Einfluss, und eine davon ist die Sehnsucht, auf zivilisierende Institutionen und gesellschaftliche Kompromisse zu scheißen und einfach autoritär sein Zeug durchzuziehen.

Es ist inzwischen klar, dass Friedrich Merz mit seinem Zustrombegrenzungszeugs den starken Max geben wollte, aber damit zum Schoßhund der AfD wurde. Noch unklar ist, ob er dadurch dauerhaft an Zustimmung verliert und am Ende jemand anders aus der Union Kanzler wird. Das hängt wohl vom Wahlergebnis ab und wie dann die Gewichte sind in dem fundamentalen Identitätsstreit der orientierungslosen Partei, der sich in Grünen-Hass und AfD-Anrobben ausdrückt.

Dieser Identitätsstreit wiederum ist Folge und Teil des Hegemonie-Streits in der Gesellschaft, der – verkürzt gesagt – darin besteht, dass das, was den einen an gesellschaftspolitischem Fortschritt immer noch zu wenig ist, einer wachsenden Gruppe mittlerweile zu viel ist.

Nun will ich nicht sagen, dass die Lage nicht scheiße wäre

Letzteres kann man nicht einfach ignorieren oder mit absoluter Moral bannen wollen, wie das etwa die Grüne Jugend notorisch versucht. Wer selbst keine absolute Mehrheit hat, der darf auch nicht durchwalzen wollen wie Merz, sondern muss anderstickenden demokratischen Parteien parlamentarische Kompromissvorschläge machen, so wie Robert Habeck das praktiziert.

Das ist keine Schwäche, das ist die Tugend, die es jetzt braucht. Zuvorderst in der CDU.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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13 Kommentare

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  • Eigentlich liegt mir nichts an einer Rettung der Union, aber als Ergänzung zu B90/Die Grünen werden sie wohl gebraucht. Leider haben offensichtlich die „Strateg*innen" immer nocht nicht begriffen, dass Kritik durch die „Anständigen" starke Gegenreaktionen erzeugt. (Moralischer) Druck erzeugt Gegendruck (aka Trotzreaktion). Merz wurde gestärkt.



    Wenn eine „Oma-gegen-Rechts“ auf dem taz-Titel unterschreibt,



    ist dies vermutlich was, das Wähler*innen Merz zutreibt.



    „Die?" denken viele. „Jetzt erst recht!"



    Das bekommt dem Merz nicht schlecht.



    taz.de/Merkel-krit...z-erneut/!6067790/



    Die Frau ist nicht zu retten. Aber das gehört wohl zu den ... „desaströsen Kollateralschäden der alternden Gesellschaft."

  • Ich hätte erwartet, dass Merz nach der ersten Abstimmung spätestens angesichts der Partylaune der AFD oder der zahlreichen Reaktionen anderer zurückschreckt und den Antrag zum Zustrombegrenzungsgesetz wieder zurück zieht. Aber der zieht das einfach durch und auch die anschließende Abstimmungsniederlage hat ihn nicht zu irgendeiner Selbstkritik gebracht, sondern wieder gab es nur wilde Vorwürfe gegen gegen alle, die nicht dafür gestimmt haben.

    Das erinnert schon sehr an die Selbstinszenierung Aiwangers als bemitleidenswertes Opfer bei seiner Flugblatt-Affäre. Merz scheint genau die gleiche Flucht nach Vorne zu probieren und ich befürchte, es könnte auch bei ihm funktionieren.

  • Es mag durchaus zutreffen, dass Mitte-Rechts gebraucht wird im Sinne der Demokratie. Nun aber ausgerechnet Habeck als Beispiel zu nehmen, der auf den Hysteriezug beim Thema Migration aufspringt, anstatt die Themen, bei denen in Deutschland ernsthafte und tatsächliche Probleme bestehen, aufzugreifen, ergibt wenig Sinn. Hier werden seit Wochen aufgrund zweier furchtbarer Verbrechen psychisch kranker Menschen ganze Gruppen in der Bevölkerung pauschal bestraft und viele Parteien der Mitte überschlagen sich mit bestenfalls sinnfreien und teilweise rechtswidrigen Verschärfungsideen. Ein guter Kompromiss gehört zum Wesen der Demokratie. Ein Kompromiss muss aber auf einer faktisch korrekten Grundlage geschlossen werden und nicht auf basierend auf Panikmache in Talkshows und der Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen im Parlament.

  • Während mit Merz ein Schatten von Weimar über der Bundesrepublik schwebt, macht sich Herr Unfried über Massendemonstrationen der Anständigen lustig und wirbt für die CDU als staatstragende Partei, bei der vor allem in Ostdeutschland viele Parteimitglieder mit den Hufen scharen, um gemeinsame Sache mit der AFD zu machen. Nicht zu unterschätzen auch die Junge Union.

    Es geht nicht ums Maßhalten mit Degenhardt zu sprechen (danke @Lowandorder) und eine auf Habermas beruhende Konsensdemokratie, sondern um Kampf, um Max Weber zu zitieren, Kampf gegen ganz Rechts, gerne auch demagogisch und populistsich zugespitzt mit neuen Schlachrufen, Liedern Fahnen bei Demonstrationen, um sich gegen das drohende Merz*sche Einerlei von AFD und CDU zu wappnen.

    Heidi Reichinnek hat mit ihrem "auf die Barrikaden" die Zeichen der Zeit erkannt und den richtigen Ton gesetzt.



    Demonstrationen könnten Keimzelle neuer Netzwerke sein, die die Demokratie durch ständigen Kampf - auch in Parteien - erneuern.

    Theoretische Unterfütterung: Von der Demagogie zum Populismus. Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Marcus Lianque

    www.youtube.com/watch?v=Lhioi-oNH9c

  • "Ohne eine starke und gemäßigte Mitte-Rechts-Partei keine gesellschaftliche Mehrheit für die liberale Demokratie"



    Kluge Worte und eine Anerkennung der Realität, die leider sehr vielen Menschen in diesem Land abhanden gekommen ist.



    Bezeichnendes Beispiel für mich sind die 'Omas gegen Rechts' in Hannover, die die CDU und die FDP wieder ausgeladen haben...



    ...wenn man sich als Mehrheit versteht und schlicht nicht die Realität sehen will



    - 30% Union, 5% FDP, 5% BSW, 20% AfD...



    "Und sich selbst „die Anständigen“ zu nennen, das halte ich für unanständig. Es zielt auf maximale moralische Deklassierung anderer und zahlt damit auf die Ziele der Populisten ein"



    Sehr weise Worte, aber dafür ist es gefühlt zu spät. Deutschland ist viel tiefer gespalten als man es vielleicht wahrhaben will.



    Das man die AfD ausschließen will kann ich irgendwo noch verstehen auch wenn ich es für grundfalsch halte (verbieten oder teilhaben lassen) - aber gegen CDU und FDP auf die Straße gehen?



    Gegen 60% der Bevölkerung?



    Das ist mit dem Kopf durch die Wand.



    Wer als Minderheit stur seine Linie durchziehen will und keine Kompromissbereitschaft zeigt vereint nur seine politischen Gegner und grenzt sich selbst aus.

  • Die Demos, die ich gesehen habe, waren gegen Rechtsextreme und deren Freunde: Also gegen die AfD und Friederich "von Papen" Merz.



    Wenn die CDU wieder mitspielen will - gern.

  • Ihre Argumentation folgt keiner klaren Linie. Ich denke nicht, dass die CDU in irgendeiner Weise in ihrer Existenz bedroht ist und als kleinerer Koalitionspartner auch von Bedeutung sein kann. Aber als führende Kraft Deutschlands, völlig absurd.

  • Herr Unfried hat einerseits recht, moralinsaures Sichinposewerfen ist kaum weniger unerträglich wie stumpf-nationalistisches Wutgebrüll. Am Ende muss man miteinander auskommen, so schwierig das auch manchmal ist.



    Hierfür muss man aber auch den 20%+, die die AfD wählen zeigen, dass sie trotz TicToc-Dominanz und den besten DeepFakes weit und breit eben nicht die Mehrheit sind, die am Ende Ungarn 2.0 aus Deutschland machen kann. Dafür sind die Demos gut , sie helfen den vor Kraft kaum laufen könnenden Weidels, Chrupallas und Höckes zurück auf den Boden der Realität, die in Zukunft hoffentlich ohne ihren miesen Verein stattfinden wird. Auch hierfür braucht es eine CDU, aus den wenigsten der AfD- werden nämlich am Ende Grüne- oder SPD-Anhänger.



    Merz hat Mist gebaut, trotzdem ist die CDU kein Naziverein und natürlich hoffentlich Teil der Lösung und nicht Teil des Problems.

  • Ja wie? Jenau Jenau! Anständig! Gelle 🧹🧹🧹

    “Machmer n Läbschen drübber!“



    Wiie de Kölsch sät!



    Na aber sicher dat. Dat wüßt ich ever.



    Da mähtste nix.



    Normal

    unterm—-



    Der Förster am Anstand sitzt -



    le petit cheflereporter macht auf einen Sitz!



    Und - “geh ins Bett - nen bessren machst heut nett“



    Nen Habermas‘chen Witz!



    Icke aber mein derweil - auf sojet groben Merzen Klotz. & genauer Sprung inne Schüssel & über 🔥🧱🧱🧱 - gehört ein grober Keil!



    Süss denkt de Tubbes us Letzter ☝🏿 Brilon 🌳🌲 - Dess hett doch 🍺 juut jeknallt!



    Sorry - Alter - sojet as you - nenmer Steigbügelhalter •

    Dege - laß gehn - Franz Josef Degenhardt - Notar Bolamus

    “Die zwischen den Zeilen Widerstand leisteten



    Damals



    Die sich zurückzogen in das Reich Beethovens



    Damals



    Und dann wieder herauskamen und immer noch schreiben



    Die heben jetzt mahnend die Stimme:



    „Maßhalten!“, sagen sie



    „Maßhalten, ihr Polizisten!



    Maßhalten, ihr Studenten!



    Maßhalten, ihr Exploiteure und Gouverneure!



    Maßhalten, ihr Arbeiter, Chinesen und Neger!



    Maßhalten, ihr Mörder!



    Maßhalten, ihr Opfer!“



    www.youtube.com/wa...Bub3RhciBib2xhbXVz



    “Anstände bei der Zollkontrolle" 🙀🥳

    • @Lowandorder:

      Ich würde malm nen Psychologen aufsuchen. Im übrigen-das N-Wort sagt man nicht und zitiert es auch nicht Netiquette gilt für alle.

      • @Fred Feuerstein:

        Ein Zitat ist ein Zitat ist ein Zitat •

        Ansonsten - nehme natürlich auch Ratschläge von Jüngeren an. But



        Gern - nach Ihnen & ihre drei Finger - die auf Sie zurückweisen ( ©️Gustav Heinemann) bedenkend - klappens den 4. 👈 auch mal besser wieder ein.

  • Wenn Merz den Geist der Verfassung verstanden hätte, hätte er so nicht gehandelt.

  • Aufstand der Anständigen ist genau der richtige Ausdruck. Genau diese CDU, in deren Zentrum bürgerliche Moral und Anstand als moralischer Kompass tagtäglich propagiert wird, betreibt diese Polarisierung, indem sie mit dem Unaussprechlichem paktiert. Insofern ist es gut, ihr den Spiegel vorzuhalten, um den Anständigen innerhalb der Partei den Rücken zu stärken. Eine Partei, die nur allzu gerne andere moralisch deklassiert.



    Am Ende wird man zusammenleben, mit oder ohne Kompromiss. Aber vorrauseilende Selbstzensur, mit der man sich die Möglichkeit nimmt, Dinge beim Namen zu nennen, war noch nie hilfreich. Das nützt nur den Extremisten.