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Mord an UnitedHealthcare-CEOGewalt erzeugt Gewalt

Carolina Schwarz
Kommentar von Carolina Schwarz

UnitedHealthcare-Geschäftsführer Brian Thompson erzeugte Gewalt und wurde ermordet. Doch strukturelle Probleme können nur strukturell bekämpft werden.

„Deny, defend, depose“ stand auf den Patronen, mit denen auf Thompson geschossen wurde Foto: David Ryder/reuters

M an freut sich nicht über einen Mord. Eine Binse, möchte man meinen. Doch seit dem Brian Thompson, CEO der größten US-amerikanischen Krankenversicherung UnitedHealthcare, Anfang Dezember auf Manhattans Straßen erschossen wurde, scheint diese Binse infrage gestellt.

Denn statt mit Mitleid und Blumenkränzen reagieren Tausende mit Häme und Härte auf den Tod des 50-jährigen Vaters und Konzernchefs. Seinen mutmaßlichen Mörder Luigi Man­gio­ne feiern sie dagegen wie einen Helden. Einen, der bereit ist, ins Gefängnis zu gehen, um sich für die vielen zu rächen, denen von der Versicherung medizinische Hilfe verweigert wurde.

Dass Mangione ein sehr attraktiver Ivy-League-Absolvent ist, sein unentwegtes Lächeln und seine Festnahme bei McDonalds tragen dazu bei, dass er schnell zum Meme wurde. Im Netz wimmelt es jetzt schon von Merch zu dem Mordfall.

Bei Amazon und Ebay gab es Hoodies und Teebecher mit den Worten „deny, defend, depose“ zu kaufen. Die drei Worte standen auch auf den Patronen, mit denen auf Thompson geschossen wurde. Sie sind eine Anspielung auf den in der Versicherungsbranche verbreiteten Slogan: „delay, deny, defend“ (verzögern, verweigern, verteidigen). In der Kryptowelt wird munter mit Meme-Coins wie „Free Lui­gi Mangione“ gehandelt und auf den Straßen wird seine Tat mit Luigi-Graffiti gefeiert.

Witzen versteckt sich etwas Ernstes

Doch das Meme-Potenzial allein erklärt nicht, wieso der Fall so viele Menschen bewegt. In den USA erschießt ständig eine_r den anderen: Die Polizei tötet aus rassistischen Motiven, ein Mann seine Ehefrau aus misogynen, ein Autofahrer einen anderen aus Wut. Und egal wie dramatisch die Todesfälle, es gibt immer Trolle im Netz, die Witze darüber machen.

Es ist das Normal, doch in diesem Fall geht die Häme weit über das Normal hinaus. Nicht nur im Hinblick auf das Ausmaß – es ist wahrlich Flut von Kommentaren, Likes und Memes – sondern auch im Hinblick auf den Ton. Denn hinter den Witzen versteckt sich etwas Ernstes. Die Menschen fragen sich: Wieso darf ich auf Gewalt nicht mit Gewalt antworten?

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Bett ihres sterbenden Freunds, dabei könnte eine Operation sein Leben retten. Stellen Sie sich vor, Sie sehen Ihr Kind leiden, dabei könnte eine Therapie seine Schmerzen lindern. Doch die Krankenversicherung lehnt das ab. Und der Mann, der diese Entscheidungen zu verantworten hat, streicht sich jedes Jahr privat Millionen ein.

Moralisch legitime Mittel, wie Beschwerden und Demonstrationen vor dem Firmensitz von United­Healthcare, gab es längst. Gebracht haben sie nichts

Der Unterschied zwischen den vielen Morden und dem an Thompson ist, dass viele das Motiv verstehen. Es ist die Wut auf Krankenversicherungen, Wut auf ein System, in dem einer sich stark bereichert, während viele Menschen sterben, deren Leben gerettet hätte werden können. Es ist die Wut, dass aus Profit getötet wird.

Demonstrationen haben nichts gebracht

Doch so groß das Verständnis auf der einen Seite, so groß ist auch das Entsetzen auf anderen. In langen Essays zeigen Jour­na­lis­t_innen sich empört und schockiert über die Häme und die fehlende Empathie. Sie sehen ein gespaltenes Amerika, das sich in der sozialen Verrohung vereinigt. Sie analysieren jedes Detail, das über den mutmaßlichen Mörder bekannt ist: von seiner Goodreads-Leseliste über seinen Studienverlauf bis zu seinen Wohnortwechseln. Was genau diese Recherchen bringen sollen, bleibt unklar. Denn die Frage, die jetzt im Vordergrund stehen sollte, ist nicht: Wieso hat einer in seiner Wut zur Waffe gegriffen? Sondern: Wie lässt sich die Wut der vielen besänftigen?

Denn in erster Linie offenbart sowohl die Häme nach dem Mord an Thompson wie auch die Empörung über die Häme eines: das Unwissen, wie wir als Gesellschaft auf strukturelle Gewalt reagieren können. Denn moralisch legitime Mittel wie Beschwerden und Demonstra­tio­nen vor dem Firmensitz von Uni­ted­Health­care gab es längst. Gebracht haben sie nichts.

Die Frage, ob direkte Gewalt als Antwort auf strukturelle Gewalt in Ordnung ist, ist keine neue. Auch nach den Morden der RAF beschäftigte sie Millionen. Doch auch wenn ein Großteil der Gesellschaft die Frage mit einem „Nein“ beantwortet, sollten die „Ja“-Sager nicht aus dem Blick verloren gehen. Denn so falsch ihr mörderischer Akt ist, so falsch sind auch die Verhältnisse, die ihn hervorrufen.

Der Fall Luigi Mangione und Brian Thompson wird in die popkulturelle Geschichte der USA eingehen, so viel steht fest. Aber er sollte auch als eine Warnung in die politische Geschichte eingehen. Eine Warnung dafür, dass strukturelle Probleme nur strukturell bekämpft werden können. Denn ein Mord an einem Konzernchef wird das Problem nicht lösen, ein neuer Kopf wird das gleiche System fortschreiben. Die Vorstellung, wohin sowohl die gesellschaftlichen Verhältnisse als auch die Wut und Häme führen können, ist eine gruselige.

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Carolina Schwarz
Ressortleiterin taz zwei
Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.
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45 Kommentare

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  • UnitedHealthcare nutzt KI mit enormen Bias, um schwerst pflegebedürftigen Patienten bei der Prüfung ihrer Fälle Pflege zu verweigern. Fehlerqoute 90 Prozent.



    Dass belegen gerichtliche Prozesse in den USA. Statt von Ärzten genehmigte 100 Tage Pflege wurden nur 20 genehmigt, obwohl z. B. bei einer über 90-jährigen kaum noch Muskelfunktionen nach einer Behandlung im Krankenhaus vorhanden waren.

    Angehörige mussten 150000 Dollar aus eigener Tasche für die Pflege bezahlen.

    Der Konzern macht mit dieser ungerechtfertigten Praxis jährlich geschätzt hunderte Millionen von Dollar.

    Es gab im dem Konzern eine Zielmarge bei derartigen Fällen.

    In dem Forum unter dem Artikel eines US-Techmagazins zu dem Fall ist die Wut über den Konzern groß. Einer wünschte Konzernmitarbeitern im Jahr 2022 den Tod.

    arstechnica.com/he...homes-suit-claims/

  • “Gesellschaftliche Verhältnisse“, erinnert an Bert Brecht, existieren noch? Ich frage mich sowieso, wie ein Wokie wie Luigi, und das ist er garantiert, die zu seinem Problem macht? Nötig hätte er es nicht, seine Familie ist reich. Von der Ivy League hat er’s auch nicht, da bin ich mir sicher.



    Und jetzt wird’s kniffelig, Frau Schwarz!



    Die woke New York Times macht den Daumen runter. Siehe hier:



    www.nytimes.com/20...rian-thompson.html



    Fox news wiederum kriegt sich nicht ein, und zwar für Luigi. Freilich zwischen den Zeilen. Siehe hier:



    www.foxnews.com/li...updates-12-12-2024

    • @Torben Jakowski:

      Sehr amüsant wie "woke" ist bei Ihnen der Universalbezeichner für alles zu sein scheint was Sie nicht verstehen und deshalb ablehnen. Aber klar, wer kennt sie nicht: Die "woken" Waffennarren und Gewaltverherrlicher :D

      • @B. Iotox:

        Sie halten’s mit den Wokies, nix dagegen. So viel zum Persönlichen.



        Luigi, 26 Jahre jung, Ivy League Absolvent und ITler. Natürlich ist er eine Wokie, soviel Vorurteile darf man haben.



        Aus ihm stattdessen einen „Waffennarren“ und „Gewaltverherrlicher“ machen? Wollen Sie ihn exkommunizieren, wie die New York Times, die Panik kriegt, weil die Sympathien weit ins eigene, sprich woke Lager reichen.



        Wollen Sie die Mischung aus berechtigter Kritik und Wahnsinn auf seinem Socialmedia-Account wörtlich nehmen, wie die von Fox news, die ihn deswegen für einen der ihren halten?



        Ein Waffennarr hantiert nicht mit 3D-Drucker. Der hat echte Susis, liebevoll ausgestellt in seiner Vitrine. Ein Gewaltverherrlicher betreibt sie um ihrer selbst willen. Der hätte nicht als Profikiller, sondern als Amokläufer in einer UnitedHealthcare-Filiale agiert, um sich am Blut seiner Opfer zu berauschen.



        Da ist Frau Schwarz klüger.



        Es bleibt kniffelig, auch für Sie!

  • taz: *Denn ein Mord an einem Konzernchef wird das Problem nicht lösen, ein neuer Kopf wird das gleiche System fortschreiben.*

    Nicht nur das, denn solange der "oberste Chef" nicht eliminiert wird, wird sich weltweit nichts zum Guten ändern. Der oberste Chef heißt 'Kapitalismus', und der steht immer wieder auf und denkt sich neue Bosheiten aus (nicht nur bei UnitedHealthcare), nur damit ein paar skrupellose Menschen in Saus und Braus leben können. Der sich nahende Klimawandel, der ja auch durch solche Konzernchefs hervorgerufen wurde, macht aber zum Glück keinen Unterschied zwischen arm und reich und dreht in ein paar Jahren auch kaltblütigen CEO-Managern den Hals um - vielleicht das einzig Gute am Klimawandel.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Der Mord an Brian Thompson war ein feiger, sinnloser Akt. Jegliche Rechtfertigung oder Romantisierung dieser Tat ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer Angehörigen.

    Luigi M., der Tatverdächtige, kommt aus einem sehr vermögenden Haus und verfügt über Kontakte, Ressourcen und Mittel, um rechtliche Remedien (Zivilklage, Mediation) zur Behebung seiner Beschwerden zu suchen. Nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen war er nicht mal Kunde von United Healthcare, der von Thompson geführten Krankenversicherung. Ihm winkte sogar ein stattlicher Teil des 30-Millionen-Dollar-Vermögens seiner Großmutter Mary (NY Post). Seine offenbar folgenschwere Rückenverletzung zog er sich nicht als ausgebeuteter Tagelöhner in einer Mine zu, sondern als freizeitlicher Wellenreiter in Polynesien.

    Wer in ihm einen Helden der Unterschicht erblickt, ob selbst aus dem Prekariat kommend order nicht, ist eher von Gier und Rache statt von Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit getrieben. Übrigens: Die Argumente zur Rechtfertigung des brutalen Mordes ähneln gängigen antisemitischen Verschwörungstheorien.

  • Ein mMn entscheidendes, immer noch vorhandenes Motiv wurde vergessen zu erwähnen: Die USA, aber auch viele andere Länder und Gesellschaften beherzigen immer noch die Idee einer talionischen Justiz - damals sicherlich ein großer Fortschritt, aber mittlerweile von vielen Menschen als überholt angesehen. Ein zweiter Punkt ist das gerade in der Popkultur geradezu verehrte Ideal des einsamen Rächers, der ein großes Unrecht aufgrund der politisch-sozialen Indolenz nur durch eine selbstermächtigte Tötung des Bösewichtes zu rächen vermag. Ein messianischer Ansatz ("Die Rache ist mein, sprach der Herr") ist dabei auch nicht zu unterschätzen.

    • @Man_muss_auch_jönne_könne:

      Mit der Popkultur würde ich Ihnen voll Recht geben. Habe ich vorher nie so gesehen.

      Ihren letzten Satz habe ich hingegen nicht verstanden.

      Zum Einen ist "Die Rache ist mein" ja aus Moses und damit nicht messianisch.

      Zum anderen ist dieser Satz ein Racheverbot.

  • @Schytomyr Shiba

    auf den Punkt gebracht.

    Da von einigen hier die Tat als Selbstjustiz einsortiert wird - bedenken diejenigen bitte, dass es das Konzept des Tyrannenmords gibt und seit Jahrtausenden darum gerungen wird, ob es sich soweit rechtlich verallgemeinern lässt, dass es in die Gesetzgebung integriert werden kann. Die Sache hat Ähnlichkeit mit dem Notwehrparagraphen. Beim Tyrannenmord muss allerdings der persönliche Schaden nicht gegeben sein, dafür die Größenordnung des Schadens, das war hier der Fall. Behebung des Schadens durch andere Mittel (zb rechtliche) wird bei Notwehr und Tyrannenmord als nicht möglich vorausgesetzt.

    Das hat mit Selbstjustiz nichts zu tun. Es würde im Gegenteil das Risiko der Aufrechterhaltung solcher mörderischen Systeme für die Verantwortlichen deutlich erhöhen und damit zu einer menschenwürdigeren Organisation unserer Gesellschaften führen. Es wäre zumindest zur Zeit eine zivilisatorische Verbesserung, denn ein großer Teil der Menschheit ist mittlerweile machtlose Beute für gewissenlose brutale "Entscheider" in Politik und Wirtschaft. Menschen, die Selbstjustiz betreiben à la "mein Nachbar nervte, der musste weg", kämen weiterhin in den Knast.

    • @uvw:

      Leider liegt der Fehler darin, dass in Ihrem Konzept nicht klar ist, wer eine objektive Entscheidung zum Mord treffen darf, die auch rechtlich und ethisch Bestand hat. Also: Zwischen "Tyrannenmord" und den unbeliebten Nachbarn zu umbringen, ist ein sehr weiter Spielraum. Es gibt kein entweder oder. Und im Zweifel ist es eben immer nur ein schnöder Mord (ohne Heldenbonus oder was man sich so ausrechnet). Einen Menschen kann man nicht symbolisch ermorden, sondern nur ermorden.



      Zum Tyrannenmord zu schreiten, hat z.B. im Fall des Hitlerattentates die Beteiligten innerlich fast zerrissen, als es für sie um die Frage der Legitimität ging. Es geht hier nicht um einen Nazivergleich, sondern um einen krassen Fall, der zwar klar scheint. Aber auch dort muss das Äußerste sorgfältig erwogen werden.



      Es muss die wirkliche "ultima ratio" sein (nichts weniger), um ein viel größeres Übel zu verhindern.



      Da erwarte ich schon mehr, als dass jemand (wie im infrage stehenden Fall) mal eben ins heimische Waffenarsenal greift, um sich persönlich zu befriedigen oder einen Aggressionsstau zu entlasten.

    • @uvw:

      "... das Risiko der Aufrechterhaltung solcher mörderischen Systeme für die Verantwortlichen deutlich erhöhten und damit zu einer menschenwürdigeren Organisation unserer Gesellschaften führen" - Morden für eine bessere Welt, das hat schon die RAF gemacht. Aber in einer Welt der (verzeiht mir bitte in diesen Fall einmal das Nicht-Gendern) Schwurbler,



      Verschwörungserzähler, Internettrolle, Islamisten, Putinfreunde, Amokläufer, Crackkonsumenten und -händler, notorischen Lügner die Präsident werden sowie der nimmermüden Rechtsradikalen, ist es wahrscheinlich ganz normal und vielleicht sogar o.k., hinzugehen und jemanden zu erschießen. Was dem einen sein Thompson, ist dann dem anderen eben sein George Soros oder wer auch immer. Mir graut jedenfalls vor dem Tag, an dem die Rechtfertiger des Mordes an Brian Thompson (ja, ich meine Euch, die Ihr hier entsprechend kommentiert!) hier mal die Macht übernehmen...

    • @uvw:

      Da gab es doch die Diskussion, ob ein vollbesetztes Passagierflugzeug abgeschossen werden darf, wenn es wahrscheinlich als Waffe in ein großes Gebäude gesteuert werden soll. Die überwiegende Meinung war, dass auch Unschuldige geopfert werden dürfen, wenn dadurch noch mehr Unschuldige gerettet werden.



      Die offene Frage ist allerdings, ob die Tat von Luigi Mangione irgendjemanden gerettet hat oder retten wird. Ich vermute nein.

  • @Schytomyr Shiba



    Danke für diesen coolen Kommentar. Da kann ich mir meine Zeilen sparen. Manchmal bin ich nur noch erstaunt, wie bei solchen Taten die moralische Empörung dem Täter gegenüber ungeahnte Erfolge feiert, während (nur ein Beispiel) fast 100000 Menschen täglich an den Folgen von Hunger oder auch direkt durch verhungern weltweit elendig krepieren (müssen). Aber von der warmen Couch in einem satten Indstrieland zu kommentieren (und zu verurteilen), war schon immer sehr viel einfacher...an strukturelle Probleme gehen wir mal lieber nicht dran, gelle?

    • @Sündikat:

      Aja, und Sie sind anstatt sich von Ihrem warmen Sofa aus über die moralische Entrüstung anderer zu entrüsten unablässig im Kampf gegen das tägliche Verhungern 100.000er aktiv unterwegs. Das ist beruhigend.



      Und um den von Ihnen so in den Himmel gehobenen Kommentarteilnehmenden Shiba zu zitieren: "Und ganz ketzerisch mal Lindner paraphrasieren: "Die Arbeiterklasse sollte mehr Luigi wagen!"" hoffe ich nicht, dass dies die offene Aufforderung zur Selbstjustiz war, der Sie hier applaudieren.

      • @Vigoleis:

        Davon sind wir zum Glück weit entfernt. Wenn ich mir aber vorstelle wie Scholz Menschen ins Gesicht schaut und sagt wie wichtig sie als arbeiter sind und dann sie mehr belastet und die oberen entlastet und auch noch dreist behauptet das sei nicht so. Rechtlich okay, moralisch solala.



        Der Kommentar von Shiba ist zwar krass, aber nicht umsonst leben in vielen Ländern die wohlhabenden in eigenen Vierteln mit Bodyguards. Man kann sich ja überlegen, ob man das möchte. das haben nämlich auch die Mächtigen in der Hand und die Risiken sind



        ihnen bewusst.



        Der Mensch hält sich zwangsläufig nicht in allen Lebenslagen an alle Gesetze. Dafür wird man dann je nach Tat bestraft.

    • @Sündikat:

      Da ist etwas dran. Nur: Wenn ich von der Couch aufstehe, und strukturelle Probleme angehe, dann plötzlich ist die ganze Welt gegen mich.

      -Ich setze mich aus Protest auf ne Straße und muss weggetragen werden.



      -Oder ich trage zerissene Jeans, sogar der Schrittbereich ist zerrissen weil scheiß auf Fast Fashion und Neukauf, aber ich kriege Anschiss von den Bullen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses nur weil ich Fast Fashion nicht unterstütze.



      -Oder ich protestiere gegen neoliberale oder privatisierte Maßnahmen im Gesundheitswesen vor nem Krankenhaus und kriege einen Platzverweis.



      -usw.

      Tolle Welt. Wie, wenn diese WILL, dass ich bequem auf der Couch sitzen soll, anstatt auf der Straße.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Sie haben es erfasst. Die Klimakleber werden als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet, die Blockadebauern kriegen ihren Willen.



        Bürgergeldbezieher werden als Faulenzer pauschal beschimpft, Cum-Ex-, Wirecard- und Maskenskandal-Profiteure bleiben unbehelligt. (Mal sehen, ob die zukünftigen Bürgergeldbezieher von VW, SAP, Bosch und wie sie alle heißen, dann immer noch so das Maul aufreißen.)



        Brot und Spiele first, Bildung second. In den USA noch krasser als in Europa.

  • Wenn eine Gesellschaft sich gegen eine staatlich geregelte Krankenversorgung entscheidet und es als freie Entscheidung den Bürgern überläßt, kann es auch zu sehr tragischen Einzelfällen kommen. Die verständliche Unzufriedenheit mit der Situation ist aber keine Rechtfertigung für einen Mord!

  • Was sollen denn diese strukturellen Lösungen sein, die hier nicht benannt werden?



    Ich habe letztens Lösungen angegeben. Aufklärung des Kapitalisten, dass seine Methode des Geldverdienens zu Schandtaten führt, Aufklärung des Bürgers und auch die Politik muss Kapitalismus brandmarken, wie es auch den Antisemitismus brandmarkt.

    Wer Lösungen fordert, muss auch Lösungen nennen.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Wenn das Ihr Beitrag zur Lösung struktureller Problem war, dann würde ich noch hinzufügen:



      Alle schlechten Menschen einsperren.

      Ist sehr zielführend, moralisch einwandfrei und sehr einfach umzusetzen.

  • Mir scheint der Kommentar geht ein wenig an den Realitäten des US-Gesundheitssystems vorbei. Tatsache ist, dass es bis heute keine flächendeckende staatliche Pflichtkrankenversicherung gibt. Krankenversicherung gilt primär als private Angelegenheit, ich erinnere an den Dauerstreit um "Obama-Care". D.h. ein Großteil der Amerikaner will auch nichts anderes.



    Wenn die Krankenversicherung aber auf privater Basis organisiert wird, folgt sie der kapitalistischen Logik der Gewinnmaximierung. Das scheint politisch auch mehrheitsfähig zu sein, und dies nun einer Einzelperson zum Vorwurf zu machen, erscheint mir abwegig. Im übrigen ist es jedem freigestellt, die Versicherung zu wechseln. Habe ich auch in Deutschland in der gesetzlichen Krankenversicherung schon mehrfach gemacht, weil ich mit Kosten oder Leistung nicht einverstanden war.



    Und noch eines: Den Begriff der "strukturellen Gewalt" habe ich aus Debatten der 70er Jahre noch in sehr unguter Erinnerung. Die damals schon schwammige Formel diente vor allem der Pseudolegitimierung sehr konkreter, realer Gewalt.

    • @Schalamow:

      Befassen Sie sich doch bitte mit US Krankenversicherungssystem, bevor Sie einen Kommentar abgeben. Dann werden Sie sehen, dass ihr Kommentar der Situation in den USA nicht gerecht wird, die mit unserer nun so gar nicht zu vergleichen ist.

  • Es ist wohlfeil aus dem deutschen System der Krankenversicherung heraus die Tat und den Applaus zu verurteilen. Zur Wahrheit gehört in den USA aber auch: Wenn es den Herrschenden als zu akzeptierendes allgemeines Lebensrisiko für die 98% gilt, dass dein Kind in der Schule erschossen wird oder ihm die lebensrettende Chemotherapie verweigert wird, weil das eine geheiligtes Recht auf Waffenbesitz, dass andere "zu teuer" - dann sollte es auch allgemein zu akzeptierendes Lebensrisiko für die oberen 2% sein, dass die Waffen sich auch einmal - anstatt gegen Grundschulkinder - gegen die Verantwortlichen für hunderttausendfaches Leid richten. Und sei es nur, damit deren von der Realität abgespaltene Moral - die des Bürokraten im KZ : *Ich mache ja nur meinen Job im Rahmen geltender Gesetze! " - hin und wieder mit der Hölle konfrontiert wird, in die die Milliardärskaste das tägliche Leben von zweihundert Millionen Amerikanern verwandelt hat. Ich habe weder den Hochmut, den Täter und seine Claqueure zu verurteilen, noch das Verlangen, den getöteten Schergen eines unmenschlichen Systems zu bedauern. Und ganz ketzerisch mal Lindner paraphrasieren: "Die Arbeiterklasse sollte mehr Luigi wagen!"

    • @Schytomyr Shiba:

      Die soziale Verrohung ist unten angekommen.

      Luigi Mangione war zwar keiner von "unten", aber das gilt für sämtliche revolutionäre Vordenker und Arbeiterführer.



      Und es wird noch schlimmer werden, wenn der Plebs merkt, dass Trump sie belogen hat. Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.



      Rechtsstaat? Wird gerade abgeschafft.



      In einem Land mit flächendeckendem Waffenbesitz in privaten Händen lässt das das Schlimmste befürchten.

    • @Schytomyr Shiba:

      Das Problem, fürchte ich, ist, dass die Arbeiterklasse heute allzu sehr in luiginesken Bahnen denkt (auch wenn sie eher selten zur Tat schreitet) und das ist ein grundsätzliches Problem: denn die Gier einzelner Manager kritisieren, kann man auch auf der Grundlage katholischer Soziallehre (und vielleicht ist es kein Zufall, dass man heute manchmal den Eindruck hat, der Papst würde die sog. Progressiven zumindest in ökonomischen Fragen links überholen). Die Linke sollte allerdings aufzeigen, dass es hier nicht um individuelles Fehlverhalten, sondern um systemische Fehler handelt – genau das unterscheidet Kapitalismuskritik von Moraltheologie. Und genau das gelingt ihr nicht mehr. Ob man um die Opfer solcher Anschläge trauert oder nicht, mag jeder für sich entscheiden, das zugrundeliegende Problem sollte man aber erkennen, wenn man mehr will als klammheimliche Freude.

      • @O.F.:

        Am Ende landet das Problem zumindest fast immer bei uns, die wir korrupte Opportunisten in die Regierung wählen.

      • @O.F.:

        Da stimme ich zu.

  • Die deutschen KV haben die Warnung jedenfalls nicht gehört und jammern gerade wieder laut, dass ihnen das Geld fehlt.



    Und auch der Nachfolger des Ermordeten wird kaum die Moral einem fetten Bankkonto vorziehen

  • Die neoliberalen Gesellschaften haben kein Problem mit struktureller Gewalt von Oben nach Unten und deren Folgen.



    Das ist das wahre Problem.

    Die Zahl der Opfer geht in die Millionen, sie haben aber kein Gesicht, kein Schicksal, an dem man Anteil nehmen könnte.

    Die Grausamkeiten, der körperliche und seelische Schmerz und auch die Morde, die verübt wurden und werden, werden nicht geahndet. Sie sind systemimmanent.

    Da in der realen Welt nicht das Lob der Machtlosigkeit gesungen wird, gibt es jedoch Konsequenzen durch diese Opfer des Systems. Sie nehmen es nicht hin und wenden ihre Form von Gewalt.

    Wer das nicht findet, sollte sich auch gegen die strukturelle Gewalt wenden, die als Ursache vorangeht.

    • @Octarine:

      "Der Tod eines einzelnen Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik."



      Sagte Stalin angeblich.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Der Mord an Brian Thompson war ein feiger, sinnloser Akt. Luigi M., der Tatverdächtige, kommt aus einem sehr vermögenden Haus und verfügt über Kontakte, Ressourcen und Mittel, um rechtliche Remedien (Zivilklage, Mediation) zur Behebung seiner Beschwerden zu suchen.

    Die Tat, scheinbar einer verzerrten Ideologie getrieben, die Gewalt als Lösung ansieht, ist inakzeptabel. Jegliche Rechtfertigung oder Romantisierung dieser Tat ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer Angehörigen.

    • @Michaela Dudley:

      Sehe ich auch so.



      Da ist auch der Artikel von Catil ein sehr unrühmliches Beispiel.

  • 100% d`accord

  • "Gewalt erzeugt Gewalt". Und deshalb gilt: Wehrte den Anfängen.



    Wo Selbstjustiz enden kann, ist beileibe kein neues Thema. Das hat doch schon Hr. Kleist in "Michael Kohlhaas" durchexerziert.



    Der Beginn der neuzeitlichen Zivilisation ist u.a. dadurch gekennzeichnet, dass die Rechtshoheit von den Geschädigten auf den Staat als neutralem Ankläger und Richter überging und damit Selbstjustiz und blanker Willkür ein Riegel vorgeschoben wurde. Der erste Schritt, diesen hier infrage stehenden Lynchmord zu rechtfertigen, ist, ihn verstehen zu wollen.

    • @Vigoleis:

      Der Einwand der Selbstjustiz induziert,dass der CEO in irgendeiner Form juristisch hätte belangt werden können und diesem Prozess wäre hier vorgegriffen worden. Das Verhalten der Versicherungskonzerne ist aber legal, systemisch unterstützt und dient unter anderem auch dazu die unteren 99% in ihrer Freiheit zu beschränken, da man so nicht einfach seinen Job kündigen kann,ohne eine Lösung für die KV zu finden.

    • @Vigoleis:

      Verstehen ist der erst Schritt zur Rechtfertigung? Das klingt aber verdächtig nach Doppeldenk.

      Thompsons Versicherungskonzern wird vorgeworfen, tausende Menschen durch zumindest unterlassene Hilfeleistung zur Profitsteigerung sterben gelassen zu haben, indem man Leistungen von einer AI hat ablehnen lassen und darauf gesetzt hat, dass man im Falle eines Widerspruchs die Prozesse solange aufschieben könnte, bis die Betroffenen aufgeben oder tot sind.

      Das sollte man wissen und dann daraus vielleicht den Schluss ziehen, das Mord falsch ist, aber da alle legalen Mittel bisher gescheitert sind, diese Strukturelle Gewalt auf legale Weise sofort beendet werden muss.

  • Wie mörderisch das System ist, für das Brian Thompson als hoher und unfassbar gut bezahlter Verantwortungsträger arbeitete, wird in dem Podcast „Wohlstand für Alle“ sehr gut beleuchtet (wohlstandfueralle....gesundheitssystem).



    Man kann wohl mit Fug und Recht von unterlassener Hilfestellung mit tausendfacher Todesfolge aus Profitgier sprechen.



    Ich möchte keinen Mord relativieren, aber Tompson hat eindeutig mehr Leid mitzuverantworten als sein Mörder. Und dass ist auch der Grund für diesen Beifall.

  • Hier wird mit vielen Worten aber dennoch erkennbar: ein Mord gerechtfertigt. Schon der Titlel "Gewalt erzeugt Gewalt" bedeutet nichts anders als "(Das Opfer ist) Selber schuld".

    • @Gorres:

      nein, Gewalt erzeugt Gewalt, das ist eine Feststellung. Ihr Zusatz "(Das Opfer ist) Selber schuld" ist Ihre eigene moralische Interpretation.

    • @Gorres:

      Aus meiner Sicht geht Ihre Interpretation zu weit. Die von Ihnen unterstellte Botschaft wird durch den Artikel nicht erreicht.

    • @Gorres:

      Der Text setzt sich doch recht differenziert mit dem Problem auseinander, ohne den Mörder zu entschuldigen:



      „Die Frage, ob direkte Gewalt als Antwort auf strukturelle Gewalt in Ordnung ist, ist keine neue. Auch nach den Morden der RAF beschäftigte sie Millionen. Doch auch wenn ein Großteil der Gesellschaft die Frage mit einem „Nein“ beantwortet, sollten die „Ja“-Sager nicht aus dem Blick verloren gehen. Denn so falsch ihr mörderischer Akt ist, so falsch sind auch die Verhältnisse, die ihn hervorrufen.“

      • @Henne Solo:

        Denn so falsch ihr mörderischer Akt ist, so falsch sind auch die Verhältnisse, die ihn hervorrufen.“

        Sie werden immer von Rechts, oder Links irgendwelche Verbrecher finden, die die bestehenden Verhältnisse als falsch ansehen.



        Und genauso werden Sie immer Sympathisanten für diese Mörder und Verbrecher finden.



        Egal ob Links oder Rechts.

      • @Henne Solo:

        "Denn so falsch ihr mörderischer Akt ist, so falsch sind auch die Verhältnisse, die ihn hervorrufen.“

        Genau das ist die Relativierung, die der erste Schritt zur Rechtfertigung ist. Da wird der Mord mit der Arbeit des Opfers gleich gesetzt: falsch dies, genauso falsch das.

        Es ist und bleibt Selbstjustiz, und die wird in demokratischen Staaten schärfer verurteilt als alles andere, weil sie die Zuständigkeit und das Gewaltmonopol des Staates angreift.

        • @Gorres:

          Und wenn sich der Staat mit seinem Gewaltmonopol fein raushält? Gegen die Gier der Versicherungskonzerne (und vieler anderer) gibt es in den USA kein Rechtsmittel, allerdings viele Waffen in Privatbesitz.



          In anderen Themenfeldern des Staatsversagens wird doch sonst Selbsthilfe hoch gelobt, von den Tafeln über Kinderbetreuung, Hausuafgabenhilfe, Flüchtlingsintegration bis zu häuslicher Pflege.



          Mich wundert, dass es zu nicht noch mehr solchen Attentaten kommt.

        • @Gorres:

          Wenn es sich um Selbstjustiz handeln würde,welchem ordentlichen Gerichtsprozess hat der Täter denn hier verhindert? Der CEO hat weitaus mehr Blut an den Händen als der Täter,bitte verharmlosen Sie die systemische Gewalt nicht.