Millennials und Zoomer: Neue deutsche Jugend
Klima und Krieg verängstigen junge Leute. Sie übernehmen Verantwortung, wollen die Welt retten und für die Fehler der Alten geradestehen.
D ies wird kein gerechter Text, beschäftigt er sich doch mit etwas, das es nur als Behauptung gibt: DIE JUGEND. Überdies meint er von dieser nur den kleinen, tonangebenden Teil, den die tonangebenden Medien favorisieren: junge Erwachsene, die im sogenannten globalen Norden daheim sind, keine existenziellen Geldsorgen, Abitur gemacht, studiert haben und die Welt besser machen wollen – also diejenigen mit einer Einstellung, die man früher „irgendwo links“ einsortierte.
Mittlerweile ist die Einstellung zur „Haltung“ und das „Irgendwie links“ zum Mainstream mutiert, zur veröffentlichten Mitte: Man hat jetzt so zu sein. „Wir wollen es doch alle richtig machen in diesem falschen Leben“, behauptet etwa munter-resignativ ein junges Stimmchen im Radio, während ich diese Zeilen schreibe. Und wäre es nicht sogar notwendig, ungerecht zu sein, um Gerechtigkeit zu schaffen? Junge Linke früher haben das für sich in Anspruch genommen – wo gehobelt wird, fallen Späne.
Aber die heutige Jugend ist empfindlich – und sorgt sich. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung offenbart, wie krisengeplagt und ängstlich schon die 12- bis 18-Jährigen sich fühlen. „Sehr große Sorgen“ wegen Krieg und Klima hat fast die Hälfte. Über 60 Prozent befürchten Wohlstandsverluste wegen steigender Energiepreise und Inflation. Sogar 68 Prozent der 24- bis 29-Jährigen bereitet der Krieg in Europa laut der Studie „Jugend in Deutschland“ Sorgen, dicht gefolgt vom Klimawandel mit 55 Prozent.
In einem Klima der Sorge wird nicht gehobelt – es wäre ungehobelt. Es wird gefeilt, und zwar akribisch. Selbst einem Klimaradikalen wie dem kürzlich wegen „Nötigung“ verurteilten 20-jährigen Nils R. scheint der eigene Aktivismus unangenehm – er wolle gar nicht stören, versicherte er. Zwar hat er sich ziemlich störend auf Autobahnauffahrten festgeklebt, aber nicht aus Spaß am Zoff: „Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll, um die nötige Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.“
ist freie Autorin und Journalistin in Berlin. In Buchform erschienen zuletzt die Essays „Kontakttagebuch“ und „Liquidierung der Vergangenheit“ sowie die Erzählung „Margret & Fritz“.
Spartanisch und tiefstapelnd
Die Jugend ist aufmerksam und fordert die ganze Welt auf, ihr darin zu folgen, möglichst jedem Menschen (und auch jedem Tier und jedem Grashalm) gerecht zu werden, zumindest theoretisch. Was einst ihr Vorrecht schien – rücksichtslos ausbrechen, aus sich herausgehen, ins Freie, Offene, Weite, Großspurige, Übersteigerte, auch ins Ungenaue –, ist verwirkt. Die Vorgängergenerationen haben es verbockt.
Wenn die Erde brennt, ruft man nicht: Feuer! Sondern: Löschen. Nicht: Wir sind grandios! Sondern: Wir sind die Guten. Nicht: Lasst uns in den Himmel wachsen! Sondern: Wir müssen uns so klein wie möglich machen, damit überhaupt noch etwas wächst. Während meiner Mutter, zum Beispiel, keine Wohnung groß genug sein konnte, um nur ja nicht spießig zu sein, ist für Angehörige der Generation meiner Kinder ein Tiny House das höchste der Gefühle.
Während die 1968er „die da oben“ angriffen und gegen autoritäre Belehrung rebellierten, belehren die 2020er die Alten von oben herab, das Licht auszuschalten, achtsam zu sprechen und das Fahrrad zu benutzen. Während einst die Stürmer drängten, stürmt heute nur die Klimakatastrophe, und die Jugendlichen bedrängt das schlechte Gewissen.
Sie drehen den Spieß um und fühlen sich verpflichtet, all das zu verdammen, von dem sie zehren: Wohlstand, Privilegien, Bildungsbürgerlichkeit, Überfluss, überhaupt das Zuviel, das überall lauert, droht, lockt. Freiheit ist für sie gleichzusetzen mit Gier, Ausbeutung, Menschenfeindlichkeit. Also fordern sie Einschränkungen – und gehen, sich selbst einschränkend, schon mal voran.
Und davon aus – hier zumindest haben sich jugendliche Egozentrik, der Hang zur Übertreibung und altersgemäßer Größenwahn erhalten –, dass die Gesellschaft sich verändert, wenn sie sich fleißig selbst verändern. Nur: Diese Veränderung ist nicht irgendwann abgeschlossen und dann wäre man damit durch – es handelt sich um einen permanenten, „mega“-anstrengenden Prozess. Er erfordert Selbstvergewisserung bei jedem Schritt, bei jedem Wort, bei jedem Gedanken, bei jedem Gefühl, als wäre die gute Gesellschaft nur über das gute Ich zu haben.
Gruppendynamische Disziplin
Wo früher das Private politisch war, soll heute die eigene Identität, ja der Körper als solcher politisch wirken. Das Selbst ist unmittelbar betroffen und im Einsatz, befindet sich ohne Unterlass im Kampf für mehr Gerechtigkeit. „Wer bin ich?“, wird da eine eminent politische Frage – und wer sich zu einer Opfergruppe zählen darf, geht mit leichterem Gepäck. Derlei Welt- und Selbstwahrnehmung lässt keinen Standpunkt außerhalb gelten und macht es unmöglich, von sich selbst abzusehen.
Das handelnde oder auch nur atmende, essende, sexuell tätige Subjekt wirkt total, es darf keine andere Rolle einnehmen oder Meinung vertreten als die, mit der es jederzeit identisch zu sein hat. Der Kollateralschaden dabei: Es hat sich ausgespielt, es gibt nichts mehr zu lachen, noch vor dem Planeten verendet der Humor. Jeder Ort wird Kampfplatz, die Schule, die Bühne, Medien, Musik, Kultur, Sport. Alle Fortbewegung zur durchgeplanten Aktion.
Jeder Kauf ist das Ergebnis grundsätzlicher ethischer Erwägungen, muss total zum moralisch durchgestylten Ich passen. Wer sich einmal entschieden hat, „Verantwortung zu übernehmen“ und damit „einen Unterschied zu machen“, kommt aus der Nummer nicht mehr raus, bleibt in sich als UnterschiedsmacherIn, als VerantwortungsmanagerIn gefangen.
Wahrscheinlich trägt jede Befreiungsbewegung den Keim zur (Selbst-)Unterdrückung schon in sich, aber der Identitätsterror, dem die Jugend heute sich und die Menschheit unterwirft, kürzt den Weg zum Totalitären ab, indem sie freie Bewegung erst gar nicht zulässt. Sie muss, extrem globalisiert, hier an Afrika denken, muss jetzt die Ungeborenen im Blick haben, muss, allzeit bereit zur Selbstbezichtigung, die gesamte Unrechtsgeschichte ihrer „weißen“ Privilegien berücksichtigen.
Streiten nur piano
So trägt die Jugend schwer an einer Verantwortung für gestern, heute und morgen, alles gleichzeitig, woraus sich eine rührende, jedoch auch beklemmend notwendige Hybris ergibt – denn wer sonst könnte es richten? Die trägen, bequemen, immer neue Gründe gegen Veränderung erschwurbelnden Alten wohl kaum. Die sozialdigitale Gesinnungskontrolle bedingt zusätzlich, dass kaum ein junger Mensch noch „über die Stränge schlägt“ – die Fesseln legt er sich ja selbst an.
Da brüllt keiner los, jedes Gespräch verläuft fotogeshoppt, wohltemperiert, bedacht. Die jungen Frauen dürfen nicht mal mehr, wie ihre Vorfahrinnen, nach Herzenslust gegen „die Männer“ wettern, denn diese gibt es nicht mehr – wer was jeweils in welcher Form und Ausprägung ist, gilt es immer neu abzuklären, samt Pronomen und Verletzungspotenzial. Statt Befreiung ist daher Begrenzung angesagt – auch sprachlich.
So führt ironischerweise gerade die weltrettende Selbstüberschätzung zur Einengung des Selbst. Sinnfrei rumspinnen? Unvorsichtig sein? Besser nicht, es könnte jemanden verletzen. Tollkühn in die Kurve rasen? Geht auch irgendwie nicht, wenn der Planet im Sterben und der Dürrehunger Afrikas, in direktem Kausalitätszusammenhang zu Konsum und Kolonialgeschichte, direkt um die Ecke liegt.
Also lieber vorsichtig sein und jedes Wort, ja jede Geste abwägen und fein säuberlich einteilen in „gut“ und „böse“. Statt auf die Moral zu scheißen, wird moralisiert. Und mit der pandemischen Erfahrung, dass sogar der eigene Atem hochgefährlich sein kann, scheint das Risiko, völlig Unbekannten unbeabsichtigt zu schaden, nur noch größer. „Lasst uns handeln, als ob unser Leben davon abhängt. Denn das tut es“, heißt es bei „Die Letzte Generation“.
Zu viel Informationen
Auch wenn es sich hier um die radikale Speerspitze des Klimaaktivismus handelt, fasst dies gut das Programm aller zusammen. Veränderung ist kein Spiel, kein Experiment, keine Frage des persönlichen Mutes oder der Bereitschaft – sie ist persönliche wie kollektive Pflicht. Und am Ende ist da viel Angst. Der Weltuntergang droht – und jetzt auch noch der Krieg. Die jungen Menschen haben noch nie etwas wirklich Schreckliches erlebt, aber es wird überall an die Wand gemalt.
Sie sind überinformiert. Und sie fühlen sich ständig schuldig. Für alles. Die Jugend muss für alle Vorgängergenerationen büßen, also missioniert sie belehrend durch die Gegend, bastelt mit unangreifbarer, argumentationssatter Freundlichkeit an Mikrosprechakten herum – „äh, Entschuldigung“ – ganz weich, behutsam und dabei immer so die Stimme nach oben geschraubt, als wäre schon der Punkt am Ende des Satzes zu hart – „nur zur Info, ich denke, das sagt man so nicht“.
Bloß nicht anecken, ist anstößig genug, das Leben. So wird ein sozialpädagogischer Dauerworkshop draus: „Komm schon, wir wollen doch alle dasselbe, arbeiten wir gemeinsam daran!“ Eine Generation von Lehrkräften, die, wenn sie auf den innereuropäischen Flug zum Individualurlaub nicht verzichten mag, ihr kollektiv schlechtes Gewissen im Handgepäck mitnimmt und drei vegane Rosenkränze betet, um es wiedergutzumachen.
Und weil alles so unübersichtlich ist, bleibt sie unter sich, umgibt sich mit Menschen, die genauso reden und aussehen wie sie selbst: irgendwie links und latent queer. Wer frisch aus der Kleinstadt nach Berlin kommt, setzt sich in ein Café in Neukölln, um zu gucken, wie es richtig geht. Oder sucht sich bei Pinterest seinen korrekten linken Stil zusammen.
Denn auch wenn man weiß, dass man es im Grunde nur falsch machen kann, wird Fehlerfreiheit durchaus angestrebt: die weiße Weste überm kontrollierten Bunt, das fleckenlose Leben, moralisch unangreifbar – und gleichzeitig sich noch im Schlaf der eigenen Privilegien bewusst, tröstende Umarmung als Übergriff abwehrend, die Schuldgefühle vor der Brust wie einen glänzenden Orden. Zumindest die Widersprüchlichkeit wirkt vertraut – und fast schon wieder tröstlich.
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