Tiny Houses im Norden: Sehnsucht nach dem Dorf

Mehr als eine Design-Mode: für ein paar PionierInnen ist das Tiny House Ausgangspunkt für ein anderes Leben und Arbeiten auf dem Land.

Zwei kleine Holzhäuser stehen auf einer Wiese

Klein und transportabel soll es sein: das kleine Haus könnte die Idee vom Dorf neu interpretieren Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Was interessiert die Leute an den Tiny Houses, diesen sehr kleinen Häusern, die man als Fotostrecken in Magazinen aller Art angucken kann? Sind sie die Antwort auf Mobilitätskollaps und städtische Wohnungsnot, weil mit ihrer Hilfe die Menschen auf dem Land leben und auch arbeiten können? Oder stehen sie eher im Rang einer neuen Verkaufsidee bei Tchibo, zwischen Kreuzfahrten und Kaffee?

Sind sie das neue Spielzeug für Yuppies, denen die städtische Eigentumswohnung zu langweilig geworden ist, oder die Keimzelle für gemeinschaftliches Wohnen jenseits der Metropolen? Und, als Fußnote, kann es sein, dass komprimierte transportable Wohnfläche vieles, aber nicht neu ist, sei es als Trailer Home für Prekäre in den USA oder als Bauwagen in der alternativen Szene?

Vorab gesagt, gibt es wie üblich keine eindeutige Antwort, außer der einen: Tiny Houses sprechen die Leute so unwillkürlich an wie der Anblick junger Hunde. Es scheint, so meint zumindest einer, der mit ihrer Hilfe gemeinschaftliches Arbeiten auf dem Land etablieren will, dass sie das Wohlgefallen eines Steinzeitmenschen an einer Höhle anklingen lassen.

Bei Oliver Victor im schleswig-holsteinischen Schmilau ist die Leidenschaft für das Gestalten kleiner Behausungen aller Art sehr deutlich. Er selbst lebt seit über 20 Jahren in einem zu einer Lokomotive umgebauten Eisenbahnwaggon auf 24 Quadratmetern. Die Lokomotive hat nach vorn hin ein riesiges buntes Rosettenfenster und oben einen ebenso riesigen Schornstein. Und auch die übrigen Waggons, die Victor für seine Erlebnisbahn umgebaut hat, scheinen aus fantastischen Eisenbahnerträumen zu stammen, einer ist einem Holzstapel nachempfunden, einer einem Zirkuswagen – und in einem Baum hängt die Nachempfindung eines 1945 explodierten Waggons.

Aber die Hochzeiten der Erlebnisbahn sind vorbei, was unter anderem an einer Nachforderung des Finanzamtes liegt, aber auch an den hohen Personalkosten seit Einführung des Mindestlohns, gegen den Victor, das betont er, grundsätzlich nicht wettern will. Zusammengenommen hat es dazu geführt, dass der 54-Jährige, der als Programmierer begonnen hat, den Erlebnisbahnbetrieb stark gedrosselt hat. Was tut jemand, dem es ohne ein neues Projekt schlecht zu gehen scheint und der doch gebranntes Kind ist durch eines, das schwierige Kurven genommen hat?

Eine neue Art von Gemeinschaft

Oliver Victor beugte sich noch einmal über den Bebauungsplan für die 14 Kilometer lange Strecke zwischen Ratzeburg und Hollenbek, die er 2003 gekauft hat, und dachte: „Da ist doch freie Fläche.“ Nun soll dort die Tiny-House-Siedlung „Lilleby“ entstehen mit acht Kleinsthäusern und einem Gemeinschaftshaus. Zwei fertige Häuser stehen dort schon zum Verkauf und zwei Plätze für Stellwägen sind ausgehoben. Wenn alles klappt wie geplant, werden im März dort zwei Paare ihre Tiny Houses abstellen. Das eine Paar pendelt nach Lübeck, das andere nach Hamburg.

Oliver Victor stellt sich vor, dass auch im Gemeinschaftshaus, einem alten Backsteinbau, den er gerade umbaut, gearbeitet werden könnte. Die recht­liche Konstruktion ist kompliziert: Auf dem Bahngelände darf man nicht wohnen, sondern nur beherbergen. Das geht für ein halbes Jahr, dann müssen die Tiny-House-BewohnerInnen zumindest eine Nacht im Gemeinschaftshaus übernachten. Aber das Ganze hat für Victor Bedeutung jenseits des rechtlichen Schlupflochs: Auf dem Gelände will er eine neue Art des Wohnens ermöglichen, eine, bei der man Privatsphäre im Tiny House hat und dann mit drei Schritten im Gemeinschaftshaus eine gemeinsame Küche findet und ein Arbeitszimmer in direkter Nachbarschaft zu den anderen.

Victor wäre nicht Herr eines Geländes, das wirkt wie eine schleswig-holsteinische Eisenbahnervariante von Coney Island, wenn er nicht noch mehr Pläne hätte: Warum nicht ein kleines Seminarzentrum, ein Fab-Lab, ein Coworking-Space, also eine offene Werkstatt und geteilte Büros? Und, wenn man das weiter denkt, könnte das eine Gegend beleben, in der der demographische Wandel so spürbar ist, dass Victors Getränkelieferant darüber nachdenkt, das Liefern einzustellen, weil er keine Fahrer findet.

Auch Ulrich Bähr denkt als Geschäftsführer der Genossenschaft CoworkLand in Schleswig-Holstein über das Arbeiten auf dem Land nach. Das Prinzip ist einfach: Mit gemeinsamen Arbeitsräumen haben ansonsten vereinzelte Berufstätige aller Art eine Anlaufstelle. Und das können als Einstiegs- und Probierstation Tiny Houses sein. Was deren Verwendung als Lebensmittelpunkt in Siedlungsform anbelangt, ist Bähr skeptischer: „Wollen Leute, die sich ein Tiny House kaufen, auf engem Raum mit anderen leben?“, fragt er eher rhetorisch. „Das ist emotional nicht so weit weg vom Trailerpark.“ Es sei denn, es gäbe eine gemeinsame, entwickelte Fläche.

Was wünscht sich der Tiny-House-Freund, die Tiny-House-Freundin? Hört man Jean-Pierre Jacobi zu, der Vorstand bei Coworkland ist und Tiny-House-InteressentInnen berät, dann ist das Spektrum groß und einige der Anfragen hatten mit der Idee von Ressourcenschonung und freiwilliger Begrenzung wenig zu tun. Etwa das Tiny House, das dann auf einer Messe ein Smart House für 150.000 Euro repräsentieren soll. Wie man ja auch fragen kann, was ein zusätzliches Wochenendhaus mit Ressourcenschonung zu tun hat.

Klein, aber teuer

Überhaupt, das Geld: Jacobi sagt, dass viele der Anfragenden an den Kosten für ein Tiny House scheiterten. Wer ein Tiny House von 14 bis 20 Quadratmeter für 50.000 bis 80.000 Euro kauft, bekommt wenig Quadratmeter für sein Geld.

Jacobi hat seinen Schwerpunkt vom Selberbauen darauf verlegt, Menschen, die sich ein Tiny House wünschen, zu beraten. Vom Tiny-House-Bau könnten nur die Betriebe leben, die auch andere Bauaufträge erfüllten – dann seien die Auftragsbücher aber auch voll. Kein Wunder in Zeiten, in denen die Campingplatzbetreiber die Tiny-Häuser als weiteres Element entdecken.

Ulrich Bähr, Coworkland

„Wollen Leute, die sich ein Tiny House kaufen, auf engem Raum mit anderen leben? Das ist emotional nicht so weit weg vom Trailerpark“

Häufig sind es alleinstehende Frauen, die nicht allein alt werden wollen, die bei Jakobi anfragen. Die ihre Kinder auf 120 Großstadtquadratmetern groß gezogen haben, die sie nun nicht mehr brauchen – und daraus Konsequenzen ziehen wollen. Wo haben diese Häuser ihren Sinn? Auf dem Land, wo doch eigentlich Platz ist und die Fallstricke eher die Tücken des Baurechts sind, weil Tiny-Häuser oft nicht in die vorhandenen Bebauungspläne passen? In der Stadt, wo Wohnraum knapp und teuer ist und Tiny-House-Siedlungen wie die in Hannover bereits von der Einstöckigkeit abrücken, weil sie Platz verschwenden?

„Auf dem Land neue Arbeit zu schaffen“, sagt Jacobi, „darin liegt eine Lösung für mich – in der Hoffnung, dass man dadurch Probleme in der Stadt löst.“ Aber dann macht er doch noch einen Schlenker zu den Bauwagenplätzen, die er für unzugänglich für Außenstehende hält, aber doch auch für vorbildlich. Nämlich darin, wie sie sich Brachflächen in der Stadt nehmen. Vielleicht, so denkt er laut, könnte es temporäre Stellplätze geben für Camper, Tiny-Häusler und andere, die aus dem klassischen Wohnschema herausfallen.

Als Verheißung sieht Jacobi die Tiny Houses aber fürs Land. Dort hätten sie das Potenzial, „Selbstbestimmtheit und finanzielle Unabhängigkeit gerade im Alter zu ermöglichen“. Weil mit ihrer Hilfe das Prinzip Dorfgemeinschaft neu gedacht werde, in überschaubaren Siedlungen mit einem Mikrogenerationenvertrag. „Es sind Visionen vom Leben, die gerade in Planung sind“, sagt Jacobi, „und es gibt ein stetiges Arbeiten dafür.“

Etwa von Karin Glaser, die im Raum Eckernförde eine Gemeinschaft mit 40 bis 60 Leuten gründen will. Für sie ist das Leben im Tiny House Ausdruck einer inneren Haltung und „das Wichtigste daran ist, die Landschaft zu schonen“. Es soll eine vielfältige Gemeinschaft sein, eine mit unterschiedlichen finanziellen Mitteln, mit Alten und Jungen, Menschen mit und ohne Handicap.

Bisher interessieren sich vor allem ältere Frauen und jüngere Paare ohne Kinder für das Projekt. Aber die 72-jährige Glaser ist auch nach Schlaganfall und zwei gescheiterten Anläufen so zuversichtlich, dass es nahezu durchs Telefon leuchtet. Gerade ist endlich eine geeignete Fläche in Aussicht und sie hofft, die Politik davon zu überzeugen, das Ganze als Modellprojekt zu begleiten. Es scheint, als seien die alten Frauen die echten Pionierinnen auf dem Land.

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