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Meldeportal zur MüllvermeidungAlles gut, wenn alle gut?

Wer in einer Bäckerei oder Imbiss keine Mehrwegverpackung bekommt, kann das bei Greenpeace melden. Ist es mehr als ein Beschwerdeportal für Spießer?

Meldeportal anno dazumal Foto: Sebastian/imago-images

Wir alle kennen diese leicht unseriös wirkenden Online-Umfragen auf Nachrichtenseiten, die zum Abstimmen animieren sollen: Ich habe eigentlich gar keine starke Meinung darüber, ob Wölfe abgeschossen werden sollten oder nicht – aber es ist so reizvoll, an einer Live-Abstimmung teilzunehmen, damit sich die Tacho-Nadel in Richtung einer von zwei vorgegebenen Antworten bewegt. Außerdem bekomme ich das Gefühl, dass ich etwas bewirken kann, wenn ich live einsehen kann, die stolze 127.542ste Teilnehmerin zu sein.

Eines ähnlichen Reizes bedient sich ein in der letzten Woche gestartetes Online-Meldeportal der Umweltorganisation Greenpeace, auf dem Verstöße von Gastronomiebetrieben gegen das neue Verpackungsgesetz gemeldet werden können.

Auf der Plattform ist live einsehbar, wie viele Meldungen von Bür­ge­r*in­nen bisher eingegangen sind: Als dieser Text geschrieben wurde, zählte die Website gerade 699 Meldungen. Bei jedem Neuladen der Website blinkt die Zahl in Echtzeit groß auf. Wer da nicht die Meldung Nummer 700 einreichen will, ist wahrscheinlich ein abgestumpftes Individuum, das jegliches Interesse an Interaktion mit seiner Umgebung verloren hat.

Aber nicht nur die Aufmachung des Meldeportals ist fraglich, auch die Idee des Portals an sich. Seit Beginn des Jahres sind Restaurants und Lieferdienste in Deutschland dazu verpflichtet, Mehrwegverpackungen für Essen und Getränke außer Haus anzubieten. Diese müssen gut sichtbar und dürfen nicht teurer sein als die Wegwerfoption. Die Bundesregierung will damit „Abfälle vermeiden, Rohstoffe sparen und die Umwelt schonen“.

„Greenpeace-Meldeheld:in“

Greenpeace nimmt diese Regelung nun zum Anlass, eine schwierige Marketingkampagne zu fahren. Wer ein Café kennt, das seinen Kaffee-to-go nicht in Mehrwegbechern verkauft, kann mit wenigen Klicks eine „Greenpeace-Meldeheld:in“ werden. Online müssen nur Name und Adresse des Geschäfts, der beobachtete Verstoß und die eigenen persönlichen Daten angegeben werden, schon wird von Greenpeace ein E-Mail-Text generiert und die zuständige Landesbehörde ermittelt. Im letzten Schritt öffnet sich das eigene Mailprogramm, man muss nur noch auf „Abschicken“ klicken.

Die Häme und Empörung auf Social Media kommt vorrangig von rechtsreaktionärer Seite: Ernst Wolff, Jan Fleischhauer und Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt führen die Twitter-Debatte an. Unter ihren Postings wird vielfach von „Verpackungs-Stasi“ geschwafelt und es werden Blockwart-Vergleiche gezogen. Dieses verschwörungsmythische Narrativ eines drohenden „Ökofaschismus“ ist geschichtsrevisionistisch und deshalb unangebracht und gefährlich.

Doch diese rechtspopulistischen Kommentare lenken davon ab, wie populistisch das Greenpeace-Meldeportal tatsächlich ist. Die Aktion wirkt wie der verzweifelte Versuch, endlich mal wieder eine viel beachtete Aktion zu starten. Während der potenzielle Greenpeace-Nachwuchs lieber mit der Letzten Generation Straßen blockiert oder sich im „Hambi“ in Baumhäusern verschanzt, fiel es Greenpeace in den vergangenen Jahren schwer, mit seinem Aktivismus politische Durchschlagskraft zu erzeugen.

Eine Meldestelle für Law-and-Order-Fanatiker*innen hat nun die wohl erwünschte Aufmerksamkeit erreicht, doch Greenpeace tut sich damit keinen Gefallen. Da hilft es auch nichts, diese Online-Spielwiese für Spieß­bür­ge­r*in­nen hip zu verpacken: Greenpeace bewirbt sein „Single-Use-Meldeportal“ mit unlustigen Memes und cringe-worthy Emojis.

Falscher politischer Ansatz

Ein solches Meldeportal spricht vielleicht spießige Hipster an, die schon das Klima retten wollen und so, aber dem privat geführten Café um die Ecke in Zeiten von Fachkräftemangel, Inflation und Discounter-Konkurrenz vor allem gern eins reindrücken wollen, weil man dort immer so lang warten muss und die für die Hafermilch immer noch Aufpreis verlangen. Doch es nährt einen politischen Ansatz, der suggeriert, es werde schon alles gut, wenn sich alle nur an die Regeln hielten. Dass die geltenden Regeln nicht ausreichen, um die Klimakrise zu bekämpfen, wird außer Acht gelassen.

Greenpeace, bitte verleiht euren Aktionen in Zukunft wieder emanzipatorischen Charakter und macht auf die strukturellen Ursachen der Klima­krise aufmerksam. Denn die wird nicht dadurch abgewendet werden, dass Deutsche Ordnungswidrigkeiten ans Umweltministerium durchstechen und sich dadurch besser fühlen.

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24 Kommentare

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  • Mach mit beim taz-Meldeportal!

    taz.de/Start-der-M...adsaison/!5923096/

  • Es braucht kein Petz-Portal. Alle können eine Mail ans Ordnungsamt schreiben.

    Es ist schon irre, wie Meldeportale aus dem Boden sprießen. Alles für die gute Sache, bei Corona, (anti-)Feminismus und nun Einwegkaffeebechern.

    Der Artikel hat recht, wir sollten die miesen Einstellungen aus der Corona-Zeit hinter uns lassen und uns wieder emanzipatorischen Projekten widmen.

  • Es solle eine Mitnahmepflicht geben für nicht eingenommenes Essen ... und ein Meldeportal, wo man die Gäste melden kann, die sich dem verweigern. 🤓

    • @Rudolf Fissner:

      "und ein Meldeportal, wo man die Gäste melden kann, die sich dem verweigern."



      Außerdem natürlich ein Meldeportal für diejenigen die sich weigern, andere zu melden!

  • Es gibt nur ein vernünftiges Müll-Meldeportal: muell-weg.de/

    Das denunziert nicht auf Landesebene, was mensch direkt im Café/Restaurant... freundlich bemängeln kann. Meine Güte, das ist wie ne miese Jameda-Bewertung statt in der Praxis zu sagen, was man für schlecht hält.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Das ganze ist vor allem ein Portal für Heuchler. Wer ein Problem mit Einwegverpackungen für mitnehmbare Speisen und Getränke hat, sollte einfach auf solche verzichten und vor Ort essen und trinken. Das ging früher doch auch.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Falscher (politischer) Ansatz“?



    'S ist wie beim Frühstückseichen,



    wo sich alle gleichen.



    Ist das ein gutes Zeichen?



    Oder haben alle nur



    die selbe Werbeagentur?



    Parteien, NGOs und Vieh-



    Wirtschaft, alle unterliegen sie



    längst der Werbeindustrie.



    Es ist halt sehr viel Geld im Spiel, -



    und Bertelsmann kriegt nie zu viel.

  • Ich petze nicht!



    Aber ich habe Courage genug in Geschäften deutlich bemerkbar auf falsche Umstände hinzuweisen.



    Würden das mehr Menschen konsequent machen, würde das mehr bringen als petzen.

    • @Rudi Hamm:

      so geht das richtig. Gerade bei kleinen Läden findet man damit meist ein offenes Ohr (zum Beispiel, dass die Mehrwegbehälter bestellt sind, aber leider noch nicht geliefert) und die großen Ketten haben sich natürlich lange vorbereitet.

  • Mir als Zoni und ehem. DDR-Bürger ist die Meldeportal-Sucht der heutigen BRD mehr als suspekt. Wie wäre es mal mit einem Meldeportal für Denunzianten? Dort können dann alle mitmachen.

    • @Leningrad:

      Daumen hoch!

  • Mehrwegverpackung ist toll, nur in meiner erlebten Praxis nicht sehr gut umgesetzt:

    Kürzlich einen Kaffee to go gekauft und dann einen Mehrwegbecher erhalten. Soweit, so gut.



    Aber schon 1 Tag später in einer anderen Bäckerei (trotz gespültem Becher): "Nee, den Becher nehmen wir nicht, , sie müssen einen von unseren nehmen!"

    Aha, dann habe ich irgendwann ein Sammelsurium von Bechern, die letztendlich auch wieder im Müll landen (würde mich auch nicht wundern, wenn die Mehrwegbecher anderer Kunden auch gleich im Müll landen..)

    Zum Glück trinke ich nicht soviel Kaffee outside....

    • @Juhmandra:

      Also nur einen pro Tag?

    • @Juhmandra:

      Ich vermisse die Zeit, als man seinen eigenen Becher mitbringen durfte. Aber bei den geltenden Hygienemaßnahmen, dürfen die Bäckereien etc. das leider nicht mehr. (Zumindest glaube ich, dass es daran lag).

      • @Tuff:

        Ich glaube nicht das das stimmt, hab ich bei Eis und bei Pommes oft gemacht.



        @Juhmandra: Es gibt zwei oder drei verschiedene Anbieter, aber natürlich ist es nur dann richtig sinnvoll wenn man regelmäßig zum gleichen Bäcker geht.

  • Wem es bei der Wortschöpfung 'Meldeheld:in' nicht schlecht wird, dem ist nicht zu helfen. Was für Leute sind denn das bei Greenpeace?

    • @Jochen Laun:

      Zustimmung. Der Begriff ist unglaublich dämlich. Prinzipiell finde ich Meldeportale und -Apps für einen völlig falschen Weg. Die gibts auch von rechts und da ist die Aufregung natürlich groß. Petzen ist kein Heldentum. Für die Meldung von Straftaten oder notorischen Ordnungswidrigkeiten brauchts keine populistischen Online Portale. Ich finds gut, dass diese zunehmende Spießermentalität auch mal hier als solche bennant wird.

  • Für solche Beiträge lese ich gerne die Taz.

  • Denunziationen lehne ich ab.



    Mit " Heldentum" hat das nichts zu tun, es ist ein Armutszeugnis.



    Leider treibt es die vorherrschende Grundmeinung :



    "DIE müssen was tun!"



    auf die Spitze .



    Wo bleibt der freiwilligen Boykott von Internethandel und Fliegen?



    Machen sollten immer die Anderen.

  • Ich finde, die Aufregung über dieses Meldeportal zeigt vor allem, wie besonders in der ach so gesetzestreuen "bürgerlichen Mitte" mit zweierlei Maß gemessen wird, was die Einhaltung von Regeln angeht. Ein Beispiel: kaum ein Mensch würde sich aufregen, wenn ein Radfahrer, der nachts ohne Licht auf der Autobahn unterwegs ist, von nem Autofahrer an die Polizei gemeldet wird und dann nen saftigen Anschiss und ein Bußgeld kassiert. Denn das ist - aus gutem Grund - gegen die Verkehrsregeln, die wir uns als Gesellschaft gegeben haben. Und genauso haben wir uns für ein Verbot von Einwegverpackungen entschieden. Also warum heulen jetzt genau die Menschen, die sonst beim kleinsten Regelbruch nen Anfall kriegen, wenn versucht wird, diese neue Regel auch durchzusetzen?

    • @~Toni~:

      Ich würde den Radfahrer allenfalls melden, um sein Leben zu retten, aber bestimmt nicht, damit er bestraft wird. Das scheint beim hier in Rede stehenden Portal aber anders zu sein.

    • @~Toni~:

      "Und genauso haben wir uns für ein Verbot von Einwegverpackungen entschieden. Also warum heulen jetzt genau die Menschen, die sonst beim kleinsten Regelbruch nen Anfall kriegen, wenn versucht wird, diese neue Regel auch durchzusetzen?"

      Ich glaube, diejenigen die da 'rumheulen' sind leider auch diejenigen, die "nur ganz kurz" in der Mitte einer Kurve stehen bleiben oder einen Behindertenparkplatz blockieren, um in eine Bäckerei zu gehen... Um sich dann darüber aufzuregen, dass sie eine Mehrwegtüte haben wollen, statt selbst eine mitzubringen -- oder halt 'ne Brotdose. Meine gemeine Unterstellung rührt aber vllt.von Geschichten her, die meine Schwester mir über so manche Kunden erzählt. Sie arbeitet ironischerweise in einer Bäckerei.

    • @~Toni~:

      Superbeispiel! Ja weil es bei Radfahrer auf der Autobahn nicht lange dauern wird. Bis zum Unfall.

    • @~Toni~:

      Der besagte Radfahrer ist vor allem eines: Lebensmüde.

      "Meldehelden"-Portale haben ein Geschmäckle, wenn die Meldung nicht eine akute Gefahrenlage betrifft.

      Wie würden Sie auf ein großflächig beworbenes Portal zur Meldung von Verstößen gegen das Aufenthaltsrechts reagieren?

      Zum Fall selbst: Mich betrifft es nicht, es trifft die Cafes, Restaurants und Imbisse... üblicherweise die kleinen. Ich für meinen Teil halte die Aktion für selten blöde, weil sie kontraproduktiv ist. Ein wie auch immer gearteter Anranzer bewirkt wenig, führt aber dazu dass ggf an einem Ort mit viel sozialem Austausch über die "grüne Verbotspolitk und ihre IM-Spitzel" hergezogen wird. Hat das einen Mehrwert?