Meinungsfreiheit an Universitäten: Der Feind in deinem Hörsaal
Professor*innen haben angeblich Angst vor Studierenden. Diese mediale Inszenierung übersieht die tatsächliche Gefahr für die Meinungsfreiheit.
Die Bildsprache kommt direkt aus den Tiefen des Kalten Krieges. Grobe Zeichnungen vermummter Gestalten, die den Katheder stürmen und dem Lehrenden den Mund zuhalten. Marodierende Mengen mit Spruchbändern und Hass im Blick. So stellt sich die Welt die Situation an deutschen Universitäten vor. Von FAZ bis taz wird lamentiert über die unverständigen und unverschämten Student*innen, die zu allem Überdruss noch auf einem Sternchen in ihrer Funktionsbeschreibung bestehen. Vermengt wird das nicht zuletzt bei Spiegel und der Süddeutschen mit der eigenartig blöden Frage danach, was „man“ denn heutzutage überhaupt noch sagen dürfe.
Die Antwort darauf ist leicht. Man darf allerhand. Sich als Faschist artikulieren darf man zum Beispiel und dafür gemeinsam mit Gesinnungsgleichen zur Belohnung gar ganz ordentliche Diäten einstreichen. Dafür darf man allerdings auch gerichtsfest als Faschist bezeichnet werden. Um die Meinungsfreiheit scheint es also insgesamt recht gut bestellt zu sein. Wer das in Abrede stellt, verwechselt das Recht auf freie Meinungsäußerung mit ihrem Gegenteil, nämlich der Freiheit von Widerspruch.
Interessanterweise ist genau das der Vorwurf, der Student*innen gemacht wird, die, ohne artig aufzuzeigen, ihre Ansichten zur Welt im Allgemeinen und zu dem hochdotierten Lehrpersonal im Besonderen zur Kenntnis geben. Spätestens seit dem Streit über das Gedicht „Avenidas“ von Eugen Gomringer, das einige Jahre an eine Hauswand an der Berliner Alice Salomon Hochschule geschrieben stand, gilt allerhöchste Alarmstufe in Sachen Diskursfähigkeit der akademischen Jugend. In selbstzufriedener Identitätskonstruktion verharrend, verweigere sie sich der Konfrontation mit anderem als der eigenen Erfahrung und Weltsicht. Die Bewahrung des Guten, Großen und Schönen zeihen sie als Projekt der „alten weißen Männer“ – ein Code, der dazu als Rechtfertigung für Übergriffe auf nicht genehmen Lehrstoff und seine Repräsentant*innen diene.
Als Beispiele für den Sittenverfall werden im Regelfall ein Watchblog angeführt, das sich mit der Arbeit des namhaften Politikwissenschaftlers Herfried Münkler befasste, sowie die Vandalisierung seiner Bürotür an der Humboldt-Uni zu Berlin, Protestaufrufe gegen die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter und immer wieder Konflikte des Osteuropahistorikers Jörg Baberowski mit Student*innen, wiederum an der HU. Neuester Fall lauter, öffentlichkeitswirksamer und viel kritisierter Intervention von studentischer Seite war die wiederholte erhebliche Störung der Vorlesungen des Wirtschaftswissenschaftlers Bernd Lucke an der Universität Hamburg.
Unbegründete Angst
Viel länger ist die Liste der spektakulärsten Fälle nicht, es trennt sie auch mehr, als sie vereint. Eine gewisse Sorge wird Professor*innen dennoch attestiert. Sorge um ihre Meinungsfreiheit, die hier etwas unscharf getrennt übergeht in die nochmals besonders geschützte Freiheit von Lehre und Forschung, als deren Träger*innen praktisch exklusiv die Lehrstuhlinhaber*innen gesehen werden. So wird oft übersehen, dass Meinungsfreiheit nicht erst ab Besoldungsstufe C3 vollumfänglich in Anspruch genommen werden kann.
Die Angst vor studentischen Zusammenrottungen mag trotzdem wirklich da sein, begründet aber ist sie kaum. Hochschulen geben sich große Mühe, die Freiheiten ihrer Professor*innen zu verteidigen, mit Worten und bisweilen auch mit der Polizei. Gut besoldet und häufig auf Lebenszeit berufen, genießen Professor*innen erhebliche Macht in ihrem unmittelbaren beruflichen Umfeld. Der Zugang zu größeren Bühnen als dem eigenen Hörsaal steht ihnen zusätzlich offen.
Student*innen, die sich öffentlich in der Debatte zu Wort melden, stehen hingegen noch weit vor dem Beginn einer ernst zu nehmenden Karriere. Da will jedes Wort überlegt sein, gerade in Zeiten von Suchmaschinen, die sich an alles erinnern werden, oder schon allein mit Blick auf die nächste Prüfung. Die Auswahl an Linksradikalen wohlwollenden Lehrstuhlinhaber*innen ist mit der neoliberalen Reform einer im Grunde noch immer feudalen Hochschulstruktur seit Ende der 1990er Jahre nicht größer geworden. Viel Erfolg mit der Promotion.
Die Teilnahme an Protestaktionen, bei denen polizeiliches Eingreifen möglich ist, ist nicht weniger riskant. Eine Widerstandsanzeige ist schnell eingefangen. Keine gute Idee für beispielsweise angehende Lehrer*innen. Sind also wirklich Professor*innen unter diesen Umständen die hilflosen, zum Schweigen gebrachten Opfer eines verrohten und keinen Argumenten zugänglichen Mobs?
Die beste aller Welten
Vielleicht ist die vornehmste Kaste des Hochschulsystems es einfach nicht mehr gewohnt, Widerspruch zu erfahren. Unter der rot-grünen Bundesregierung nahm schließlich eine Studienreform Fahrt auf, die im Ergebnis eine Zurichtung der Studierendenschaft auf maximale Anpassung und Unterordnung hatte. Kritik findet kaum Platz unter dem Druck auf der Jagd nach den nächsten ECTS-Punkten. Die schweigend über ihre Mitschriften gebeugten Student*innen mögen ein bequemer Schmuck für jeden Seminarraum sein, die so bevorzugt herangezogenen autoritären Charaktere, aus denen sich künftige Eliten formen, sollten aber nicht nur politisch Anlass zur Sorge geben.
Wissenschaft, die Angst vor Widerspruch und Kritik hat, statt sich ihrer mit wissenschaftlichen Methoden zu stellen, verharrt im Gestern, statt ins Morgen zu schauen. Nur wer annimmt, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, kann sich damit zufrieden geben.
Es ist nun das Privileg der Jugend, besonders empfindlich auf die Zumutung des Lebens und ihre jeweils zeitgenössische Ausgestaltung zu reagieren. Nichts weniger, als sich gegen diese Zumutung zu wehren, sollte man von ihr erwarten. Es kann situativ natürlich verstörend sein, wenn Student*innen die Vorlesung eines Professors verhindern. Wenn der aber, wie Bernd Lucke, der Gründer einer, nach impliziter Aussage ihres jetzigen Vorsitzenden, in ihrer Mitte faschistischen Partei ist, wäre es viel beunruhigender, wenn nicht wenigstens ein paar Menschen ihr Unbehagen deutlich hörbar kundtäten.
Die Wege, auf denen Student*innen, linke zumal, ihren Widerspruch äußern können, sind begrenzt. Seit linke Gruppen die Asten der großen Universitäten dominieren, traktieren deren rechte Gegner*innen die Studierendenschaften mit Klagen wegen des sogenannten politischen Mandats. Das ist der Grund für die stark eingeschränkte Möglichkeit der gewählten Vertreter*innen, sich zu Themen jenseits unmittelbaren Hochschulbezugs zu äußern. Halten sie sich aber an das ihnen zugestandene Fach, die Hochschulpolitik, werden sie in den zuständigen Gremien regelmäßig von der festgeschriebenen Mehrheit der Professor*innen überstimmt.
Ein Watchblog? Ein Protestaufruf? Eine gestörte Vorlesung? Eine beschmierte Tür? Das sind die Feinde der Demokratie und der Wissenschaft in den Hörsälen? Wohl kaum. Und gar nicht so selten ist das genaue Gegenteil der Fall.
Hochschulen sind schließlich ein zutiefst undemokratischer Ort, dabei getragen und finanziert von einer demokratischen Gesellschaft. Diesen Widerspruch zu bemerken und anzusprechen, scheint immer wieder einem kleinen Teil jeder Generation Student*innen vorbehalten zu sein, der diese Aufgabe mit zum Teil nicht unerheblichen persönlichen Risiken angeht. Dafür gebührt ihm Respekt, statt wohlfeiler Belehrungen aus dem Ohrensessel. Eine Genugtuung immerhin wird man den heute noch auf Krawall gebürsteten Student*innen aber kaum nehmen können. Sie sind diejenigen, die die Geschichte heutiger Konflikte schreiben und deuten werden – wenn sie selber alt sind und vielleicht nicht mehr ganz so weiß und männlich.
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