Ein Watchblog für den Professor: „Blabla auseinandernehmen“
Studierende setzen sich auf einem Blog kritisch mit den Vorlesungen des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler auseinander. Der ist empört.
BERLIN taz | „Blabla auseinandernehmen“ steht auf einem Aufkleber auf dem Pult eines Hörsaals der Humboldt Universität. Der Aufkleber verweist auf das Blog „Münkler-Watch“, eine kritische Auseinandersetzung mit der Vorlesung des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler. Der große sogenannte Kinosaal ist gut gefüllt. Auf einem Aufkleber einige Pulte weiter steht „Rassismus, Sexismus, Militarismus?“ Das ist es, was die anonyme Gruppe Münkler in ihren Einträgen vorwirft.
Seit Anfang des Sommersemesters 2015 kritisiert eine Gruppe Studierender auf Münkler-Watch jede Vorlesung von Herfried Münkler. Sie werfen ihm vor, nicht abseits des europäischen, männlichen wissenschaftlichen Kanons nach Theorien zu suchen. Außerdem räume er dem Militär eine zu große Rolle ein und militarisiere die Sprache.
Der Politologe Herfried Münkler lehrt seit 1992 an der HU, nebenbei ist er unter anderem im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik vertreten und äußert sich häufig – nicht unumstritten – zu aktuellen politischen Themen.
In der Veranstaltung der vergangenen Woche reagierte Münkler erstmals auf das Blog. Münkler nannte die anonyme Gruppe „erbärmliche Feiglinge“ und sagte, er werde das nicht zurücknehmen, solange die Verantwortlichen nicht vor ihm auftauchten. Bis heute ist das nicht geschehen.
„Es ist eine eigentlich unerträgliche Situation, unter diesen Umständen der permanenten Denunziationsdrohung mit sinnentstellenden bis das Gegenteil des Gesagten behauptenden Zitaten eine Vorlesung halten zu müssen“, sagte Herfried Münkler der taz. Es sei in seiner Situation sicher denkbar, die Vorlesung abzubrechen – aber den anderen Studenten gegenüber sei das unfair. „Deswegen kommt diese Option für mich nicht in Frage“. Die HU-Leitung stellte sich hinter den Politikwissenschaftler. „Jedes Mitglied der Universität kann ohne Angst wissenschaftliche Auffassungen äußern und zur Diskussion stellen“, hießt es in einer Stellungnahme. Die StudentInnen sollten ihre Anonymität verlassen.
„Erbärmliche Feiglinge“
Wie einer, der wegen eines Studierenden-Blogs darüber nachdenkt, seine Vorlesung einzustellen, kommt Münkler an diesem Dienstagmorgen nicht daher. Er beginnt mit einigen sarkastischen Bemerkungen zu Münkler-Watch. Seine Bücher würden sich dank der Öffentlichkeit viel besser verkaufen. Schlechte Nachrichten gebe es aber auch: „Das Lesen des Blogs, die Pressegespräche, das kostet mich alles zuviel Zeit. Ich habe darauf keine Lust, deshalb höre ich ab jetzt auf, mich mit Münkler-Watch zu beschäftigen“. Einige klopfen daraufhin zustimmend auf die Tische. Jemand ruft: „Ich fühle mich von den Aufklebern belästigt. Bitte nach der Vorlesung aufräumen!“
Münkler verkündet noch, dass er mit der Beschimpfung „Erbärmliche Feiglinge“, genau dieses Echo und die mediale Debatte habe erzielen wollen. „Jetzt wurde darüber eine Woche diskutiert, jetzt denke ich, hat sich die Sache erledigt und keine Zeitung wird wohl viel länger darüber berichten. Verfolgen Sie mit mir, ob meine Strategie aufgeht“. Dann wendet er sich seinem Vortrag über Souveränität und Infrastruktur der Macht zu.
Es kommen Gedanken und Taten der klassischen Staatsdenker zur Sprache: Hobbes, Bodin, Machiavelli. Die Bücher von Hannah Arendt werden in einem Satz erwähnt. Immer mal wieder spielt er sarkastisch auf das Blog an und beginnt Sätze mit „Auf die Gefahr hin militaristisch zu sein,...“. Dem Militär, das historisch gesehen zu einem souveränen Staat gehöre, widmet er nach eigenen Angaben diesmal nur wenig Zeit.
Fehlende Auseinandersetzung mit Kritik
Münkler-Watch kommentiert nach dieser Veranstaltung: „Wohl angesichts des Pressewirbels und der anwesenden Journalist_innen zeigt Prof Dr. Münkler, dass er Vorlesungen halten kann, in denen er nicht Rassismen und Sexismen reproduziert“. Er habe sich diesmal Mühe gegeben.
Eine Teilnehmerin der Vorlesung versteht den „öffentlichen Rufmord eines Individuums“ nicht. Wäre der Professor nicht so populär wie Münkler, könne ihn dieser Blog seine Karriere kosten, meint sie. Andere finden Münklers Sarkasmus im Bezug auf das Blog absurd: „Wieso tut er den Sachverhalt so sarkastisch ab? Wieso beschäftigt er sich gar nicht mit den inhaltlichen Kritikpunkten des Blogs?“
Die Kritik sei nicht nur eine, die für Münkler gilt, sondern für politische oder historische Theorie im Allgemeinen, wie manche auf Münkler-Watch kommentieren. Immerhin scheint Münkler-Watch durch das Anprangern der Tatsache, dass abseits des gängigen wissenschaftlichen Kanons nicht nach Erwähnenswertem gesucht wird, einen empfindlichen Punkt getroffen zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe