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Medien über „Linksextremismus“Ein Gespenst geht um in Leipzig

Der Studentin Lina E. wird vorgeworfen, Anführerin einer linksextremistischen Gruppe zu sein. Die Beweislage ist dünn, aber für Schlagzeilen reicht's.

Bengalos für Lina E.: Demo in Leipzig, November 2020 Foto: Björn Kietzmann

D er Leipziger Stadtteil Connewitz ist der linksextremste Ort Deutschlands. So war es im vergangenen Jahr vor allem in Boulevardmedien zu lesen. Die sächsische Polizei sprach nach den Ausschreitungen zu Silvester 2020 sogar von „Linksterrorismus“.

Um es klar zusagen: Extremismus ist scheiße, egal aus welcher Richtung. Nur klingen die Begründungen für die kraftvollen Worte in Sachen Connewitz immer so furchtbar dünn. Nun steht das Verfahren gegen die Studentin Lina E. bevor. Auch hier bietet sich das gleiche Bild. Der Studentin wird von der Bundesanwaltschaft vorgeworfen, Anführerin einer linksextremistischen Gruppe zu sein, die Angriffe auf die rechte Szene in Sachsen und Thüringen verübt haben soll.

Obwohl die Beweislage ziemlich dünn ist. Trotzdem schreibt die Leipziger Volkszeitung (LVZ) schon mal munter von der „mutmaßlichen Linksterroristin“ und übernimmt auch sonst brav die Positionen des sächsischen Verfassungsschutzes.

Am 8. September ist Prozessauftakt vor dem Dresdner Oberlandesgericht. Für den 18. September mobilisiert das Bündnis „Wir sind alle linx“ bundesweit zu einer Demonstration nach Leipzig. Die Verfassungsschützer befürchten deshalb linksextreme Straf- und Gewalttaten, berichtet am 27. 8. die LVZ.

Für die Schlagzeile reicht's

„Wenngleich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine entsprechenden Aufrufe zur Begehung von Straftaten zu verzeichnen sind, könnte der gesamte Prozessverlauf grundsätzlich ein Risiko von links­extremistischen Straftaten und Gewalttaten gegen Sachen und Personen mit sich bringen“, zitiert das Blatt eine Sprecherin des Verfassungsschutzes als Beleg. Beleg? Das ist Konjunktiv im Doppelpack!

Aber für die Schlagzeile „Verfassungsschutz warnt vor Gewalt“ reicht’s. Und schon drei Tage später kann die LVZ Vollzug melden. „Am Wochenende ist es zu einer ersten, allerdings noch kleineren Ausschreitung (…) in Connewitz gekommen.“

Was war passiert? Rund 300 Menschen waren im wahrsten Wortsinn ausgeschritten. Sie hatten am Sonntag an der Aktion „Soli-Saufen für Lina E.“ teilgenommen und dabei zu später Stunde auf der Straße rumgelungert. „Aufgrund der hohen Personenanzahl kam es zu Verkehrsbeeinträchtigungen“, zitiert die LVZ die Polizei. Das Blatt schreibt weiter: „Durch einige Personen seien aber auch Mülltonnen auf die Straße gezogen worden“.

„Im Fernsehen gibt es Formate mit Scripted Reality. Jetzt ist das wohl Scripted Policy?“, meint meine Mitbewohnerin. Klarer Hinweis auf Terrorismus? Ja leck mich! Egal. Bürger, es steht in der Zeitung: Gefahr droht! Mülltonnenterror in Connewitz!

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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23 Kommentare

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  • Als ob es bloss eine staatspolizeiliche Einseitigkeit der LVZ wäre. Gestern schlagzeilte der e-SPIEGEL "in der Sache" so:



    Linksextreme machen Jagd auf Neonazis



    »Der Tod der Opfer wird billigend in Kauf genommen«

  • Auch der sogenannte „Verfassungsschutz“ arbeitet nach wie vor gern mit der absurden Hufeisentheorie. Für den Verfassungsschutz ist es deshalb wichtig, zu den unübersehbar ansteigenden rechtsextremen Straftaten immer auch sowas ähnliches wie linksextreme Straftaten zu konstruieren. Da werden dann statistisch NSU-Mörder mit Demonstranten aus einer Sitzblockade verglichen. Man muss ja am Ende des Tages irgendwie neutral erscheinen.

    • @Rainer B.:

      Vielleicht ist es einfacher: Keine Behörde und keine Abteilung innerhalb einer Behörde hat ein Interesse daran, überflüssig zu erscheinen und Planstellen sowie Gelder gestrichen zu bekommen. Die Abteilungen "Linksextremismus" der Verfassungsschutzämter bilden da keine Ausnahme. Daher wird es nach deren Darstellung immer "genügend" Linksextremismus geben.

    • @Rainer B.:

      Die Hufeisentheorie ist nicht absurd, es ist nur falsch mordende Nazis mit sachbeschädigenden Studenten auf eine Stufe zu stellen.

      • @FancyBeard:

        Es wäre genauso falsch mordende Nazis mit mit mordenden Linksradikalen auf eine Stufe zu stellen, nicht nur weil man damit für den ideologischen Kontext blind wird, sondern auch weil das Hufeisen zwischen diesen Polen eine vermeintlich gemäßigte Mitte imaginiert. Tatsächlich war weder der historisch NS noch sind die heutigen Rechtsradikalen ein rein rechtes Phänomen; damals wie heute ist und war deren Erfolg nur auf Grundlage der Unterstützung kleinbürgerlicher und bürgerlich-konservativer Millieus möglich. Genau deshalb meint der 'Extremismus der Mitte' den Nazismus und genau deshalb reklamiert heute die AfD allerorts die 'Normalität' für sich.

    • @Rainer B.:

      Hufeisenweitwurf ist die Lieblingsbeschäftigung des Populismus. Da wird wahlweise alles miteinander vermischt. Ob nun Sozialfaschismusthese, wonach seit den 30'ern die SPD die Speerspitze des Faschismus sei, CDU=Nazis, Grüne=Ökofaschisten, bis hin zu links=rechs.

      Der Verfassungsschutz beschäftigt sich aber nicht mit absurden Gleichsetzungen. Da geht es um so schnöde Dinge wie Gewaltanwendung, Ablehnung de parlamentarischen Demokratie , usw.

      Das da Gleichsetzungen gemacht werden sind immer wiederkehrende Diffamierungen, die keine Grundlage haben. Oftmals wird das Thema meiner Beobachtung nach sehr häufig von links auf den Tisch gepackt.



      Ich frage mich da immer wieder, warum man Diskurse der Rechten fördert.

      Auch Sie, Rainer B., werden keinen Verfassungsschutzbericht zitieren können, der NSU-Mörder mit Sitzblockaden gleichsetzt.

      • @Rudolf Fissner:

        Wer zwei Sachverhalte vergleicht, die man gar nicht vergleichen kann, der setzt sie gleich.

        • @Rainer B.:

          Sie meinen, man kann 2 Morde aus politischen Motiven nicht vergleichen, weil die Motive ja gegenteilig waren?

          Ich meine, man kann sie sehr gut vergleichen, weil der Mord immer bedeutet, dass man das politische Ziel höher gewichtet als ein Menschenleben -und damit gewisse Errungenschaften der heutigen Welt aufgibt, insbesondere eben den Wert des menschlichen Lebens.

          • @Dr. McSchreck:

            Es geht hier doch gar nicht um den Vergleich von politischen Morden, obwohl dieser Eindruck dabei entstehen mag. Es werden sogenannte „politisch motivierte Straftaten“ einfach in einen Topf geworfen. Im einen Fall können das dann Morde aus ausländerfeindlichen Motiven sein und in dem anderen Fall Sachbeschädigungen, oder Sitzblockaden auf Demos, also Sachverhalte, die man gar nicht vergleichen kann.

          • @Dr. McSchreck:

            Das Vergleichsgedöns spielt beim Fall überhaupt keine Rolle. Wüsste auch nicht wer außer die üblichen Twitterblasen die stussigen Rechts-Links-Vergleiche als Begründung für das Verfahren herangezogen hat.

  • Naja, die rechtsxtreme Szene in Leipzig muss natürlich vor der Frau geschützt werden. Ordung muss sein in einem "Rechts"staat.

    • @Jalella:

      Interessanter und wohl zentraler Punkt, der die zentrale Frage berührt, ob Menschenrechte auch für rechtsextreme gelten und der Staat auch deren körperliche Unversehrtheit garantieren muss oder als Freiwild der außergerichtlichen Selbstjustiz kann.

  • Na da war ja am Wochenende Leben in der Bude!

    Auch wenn ich nachvollziehen kann, dass das aktuell Murks ist, allerdings eher von den Kollegen der LVZ als dem Verfassungsschutz, sollte man aufpassen, was man schreibt.

    So wirft der Autor der taz der LVZ vor, dass etwas vom Verfassungsschutz, dass im Konjunktiv ist, verstärkt. Zugleich beruft man sich darauf, dass die Beweislage bei Lina dünn sei und bringt als Beleg einen taz-Artikel, aus dem sich dies als bloße Behauptung des Verteidigers von Lina ergibt. Das ist noch dünner als dünn. Es ist sein Job, dies als Verteidiger zu behaupten und wenn er es persönlich anders sieht, spielt es keine Rolle...

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Das Gespenst geht nicht nur in Leipzig um. Die aktuelle Hetzkampagne anlässlich des Wahlkampfes durch die konservativen Parteien gegenüber allen linken Parteien ist ein gutes Beispiel dafür.

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Wo treiben Die sich rum, dass Sie solche Kampagnen beobachten? Die Medien berichten von keinen solchen Hetzkampagnen.

  • Wird der Presserat hier nicht tätig?



    Ich dachte die Presse muss nach "Ziff. 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht" bewahren. Die Bild bekommt deswegen, und zwar zu Recht, immer mal eine Rüge. Was nichts heißt weil es ja scheinbar keine Konsequenzen gibt.

    Aber wie immer gilt wohl wo kein Kläger da kein Richter. Und die LVZ ist ja auch eher konservativ/rechtskonservativ und somit sowieso das Sprachrohr von Polizei und VS. Unabhängige, freie Presse ist etwas anderes, dachte ich mir.

  • „mutmaßlichen Linksterroristin“ ist eiben nur eine Mutmaßung und keine Feststellung, in der Sache somit schon einmal richtig. Und weil die Beweislage dünn ist wird auch in diesem Artikel mit Hinweisen, Zitaten und Dingen von Hörensagen munter gemutmaßt und die gleiche überschwängliche Art der Berichterstattung(?) an den Tag gelegt, wie sie anderen Medien vorgeworfen wird. Und ein "könnte" ist nur ein Konjunktiv und im weiteren Verlauf des vom Autor genannten Zitats ist kein weiterer Konjunktiv erhalten. Macht aber nichts, "...Konjunktiv im Doppelpack." mußte unbedingt geschrieben werden. Wäre doch sonst zu schade um das schöne Wortgebilde, nicht wahr?

    • @Lars B.:

      Mensch Lars, der Artikel, unter dem wir uns hier befinden, ist ein Meinungsartikel – solange nicht offen zu Gewalt aufgerufen wird (was offensichtlich nicht der Fall ist), kann der Autor de facto schreiben, was er will. Nichts davon muss stimmen.



      Mit Berichterstattung hat das nichts zu tun, die Artikel der LVZ schon.



      Deshalb ist die Kritik, die der Autor äußert, berechtigt.



      Wir befinden uns hier im Feuilleton, die LVZ nicht.

  • Wartet ab, bis es die ersten selbstfahrenden Mülltonnen gibt.

    Die (Landesverfassugsschutz, Polizei, gewisse Medien) wollen mit aller Gewalt linksterroristische Bedrohung konstruieren. Warum nur. Haben sie mit den Rechten dort nicht genug zu tun?

    • @tomás zerolo:

      Ich bin sicher, dass die Polizei viel mit den Rechten dort zu tun hat ;-)



      Oft liebe ich die deutsche Sprache.

    • @tomás zerolo:

      MDR Exakt hat hierzu eine interessante Gegenüberstellung geliefert.



      Die Soko LinX hat allein in Leipzig 335 Ermittlungsverfahren eröffnet, die Soko Rex in ganz Sachsen 20. Der Zeitraum ist jeweils das erste Halbjahr 2020.



      Entweder hat Sachsen alleine in Leipzig ein noch viel größeres Linksextremismusproblem als medial berichtet, oder die Polizei hat Mal wieder eine einseitige Sehschwäche.



      mobile.twitter.com...5953057792?lang=en

      • @Andreas Maschler:

        Ohne das zusätzliche Wissen, dass sämtliche Straftaten mit rechtem/linken Zusammenhang einzig von diesen beiden Sokos bearbeitet und Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, sind die Zahlen komplett wertlos.



        Dieses für die Argumentation nötige Wissen findet sich aber nirgends, auch nicht in der Quelle.



        Ohne zusätzliches Wissen ist es z.B. ohne weiteres möglich, dass 5000 weitere Ermittlungsverfahren gegen Neonazis aufgrund der Gehirnleistung der Verdächtigen derart einfach zu bearbeiten sind, dass keine Sonderkommission benötigt wird.



        Nur so als Beispiel.

      • @Andreas Maschler:

        Eventuell auch beides...