Linken-Kandidatin über vegane Ernährung: Gegen die „Currywurst-Linke“
Die Linke brauche eine vegane Kandidatin fürs EU-Parlament, sagt Didem Aydurmuş – und empfiehlt sich selbst. Fleischesser seien nicht glaubwürdig.
taz: Frau Aydurmuş, Sie wollen beim Linken-Parteitag am Wochenende explizit als Veganerin für einen Platz auf der Europawahl-Liste kandidieren. Warum braucht die Linke eine Kandidatin, die keine tierischen Lebensmittel isst?
Didem Aydurmuş: Das ist wie bei vielen anderen Weltanschauungen und Philosophien: Menschen wollen sich verstanden fühlen. Teil des Sich-vertreten-Fühlens ist halt sich verstanden fühlen. Ich selbst weiß, dass viele Menschen meine vegane Perspektive nicht nachvollziehen können. Mittlerweile gibt es in Deutschland 2 Millionen VeganerInnen. Gerade bei dieser großen Menge Menschen ist wichtig, dass die eine parlamentarische Vertretung bekommen. Und ich bin die einzige vegane Person, die für einen Listenplatz kandidiert. Viele VeganerInnen halten uns für eine Currywurst-Linke.
Die 39 Jahre alte Berlinerin ist Mitglied im Linke-Parteivorstand, Klimapolitikwissenschaftlerin und freiberufliche Dozentin.
Currywurst-Linke – wie kann man denn zu diesem Eindruck kommen?
Vegane Menschen beobachten genau, was unsere PolitikerInnen machen. Wenn man sich die Facebook- oder Instagramposts von einigen Linken anschaut, entdeckt man ziemlich viele Currywürste, Braten oder Döner. Das ist erstmal natürlich kein Problem, aber dadurch fühlen sich vegane Menschen nicht vertreten.
Ist nicht das ein bisschen unterkomplex? Es geht doch hier um Politik und nicht darum, was Politiker in ihrem Privatleben treiben.
Veganismus wird oft als etwas Privates dargestellt. Er ist aber eine politische Philosophie, die sich aus verschiedenen Gerechtigkeitsbewegungen heraus entwickelt hat. Da ist ein Anspruch der Gerechtigkeit, auch die Stimmlosen zu vertreten. Damit sind nicht nur die Menschen im Globalen Süden gemeint, die unter unserer industriellen Landwirtschaft unheimlich leiden. Sondern auch Lebewesen von anderen Spezien.
Kann man nicht eine Politik im Sinne von Tierrechten machen und trotzdem selber Fleisch essen?
Die meisten veganen Menschen sehen das anders. Man muss verstehen, dass Veganismus eine Philosophie der Gewaltlosigkeit ist. Wenn diese Menschen gleichzeitig Gewalt auf den Instagrambildern sehen, dann ist das nicht konsistent mit dem Anspruch der Gewaltlosigkeit.
Sie meinen, das ist einfach unglaubwürdig?
Ja, das wird als unglaubwürdig wahrgenommen. VeganerInnen fragen sich halt, wie man einerseits diese Gewalt auf dem Teller haben kann, und gleichzeitig glaubwürdig nach außen hin vertreten kann, dass da weniger Gewalt sein muss. Und vegane Menschen möchten ja nicht nur weniger Gewalt, sondern sie wollen PolitikerInnen, die sich für mehr Gewaltlosigkeit einsetzen. Bei Tierrechten geht es ja nicht um 10 Quadratzentimeter mehr Platz für Schweine beispielsweise, sondern wir als Linke haben zum Beispiel die Europäische Initiative gegen Käfighaltung unterstützt. Da geht es darum, die Käfighaltung komplett abzuschaffen. Das ist unsere Parteiposition, das liegt jetzt dem Europäischen Parlament vor. Und für vegane Menschen ist wichtig: Wie stark hängen sich PolitikerInnen da rein? Das wiederum ist damit verknüpft, was für eine Einstellung diese PolitikerInnen haben.
Ist das Programm der Linken im Bereich Tierschutz und Landwirtschaft nicht schon ziemlich progressiv?
Ja, das ist tatsächlich sehr progressiv. Aber man braucht auch die richtigen KämpferInnen, die sich dafür auch einsetzen. Die Grünen enttäuschen gerade unheimlich, haben aber auch im Programm relativ progressive Dinge. Ernährungsminister Cem Özdemirs Politik ist nicht wesentlich von seiner CDU-Amtsvorgängerin Julia Klöckner zu unterscheiden. Das liegt nicht am Wahlprogramm, sondern auch an der Person Cem Özdemir, der dieses Anliegen eben nicht als Priorität versteht.
Aber gerade Özdemir ist doch Vegetarier!
Ja, der ist Vegetarier. Aber da ist ja gerade der Punkt: Viele vegane Menschen sehen, dass auch der Milchkonsum ein unheimlich gewaltvoller Akt und auch für die Umwelt beispielsweise durch die Treibhausgase schlimm ist. Da geht es nicht darum, nur vegane Positionen, sondern den gesellschaftlichen Konsens durchzusetzen, der keine Massentierhaltung will. Und trotzdem wird dafür nicht wirklich gekämpft auf politischer Ebene. Da brauchen wir Menschen, die wirklich Theorie und Praxis vereinen. Wir legen ja auch in anderen Bereichen wie Religion, Zugehörigkeiten und so weiter darauf Wert, dass die vertreten sind. Und beim Veganismus wird gesagt: Ach, ist das nicht eine Kleinigkeit? Dabei ist das eine gesamte politische Philosophie der Gewaltlosigkeit.
Was muss sich ändern an der Politik?
Tatsächlich ist da unser Wahlprogramm total schön: Es muss in dieser Legislaturperiode einen Ausstiegsplan aus Tierversuchen geben mit konkreten Daten. Es kommt jetzt ein Gesetzentwurf zur Abschaffung der Käfighaltung. Und es muss dringend eine Agrarwende insgesamt geben. Denn die industrielle Tierhaltung ist zum Beispiel die Hauptursache für den Artenschwund in Deutschland.
Wie soll man diese Agrarwende erreichen?
Vor allem: Die EU-Agrarsubventionen müssen künftig so verteilt werden, dass sie dem Gemeinwohl dienen.
Warum sind Sie Veganerin geworden?
Vegetarierin bin ich rational geworden durch ethische Überlegungen. Aber vegan wurde ich, nachdem ich ein Video gesehen hatte, wie ein Kuhbaby seiner Mutter weggenommen wurde. Die Mutterkuh lief ihrem Baby muhend, quasi weinend hinterher, das auf einem Anhänger wegtransportiert wurde. Da wollte ich einfach nicht mehr an diesem System teilnehmen, das Babys einer anderen Spezies ihren Müttern wegnimmt. Man weiß auch, dass die Kühe teilweise wochen-, monatelang weinen und trauern um ihre Kinder. Und mir war gar nicht bewusst gewesen, wie groß der ökologische Fußabdruck der Milchproduktion ist. Ich habe ja in Klimapolitik promoviert. Der Treibhausgasausstoß ist enorm.
Kann vegane Ernährung der Standard sein? Gibt es ein Risiko von Mangelernährung, wenn pflanzliche Lebensmittel so wenig Eisen und Vitamin B12 liefern?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sagt, eine vegane Ernährung kann vollkommen ausreichend sein. Wir haben in der gesamten Bevölkerung ein Problem mit Eisenmangel. B12 kommt in der Massentierhaltung auch nicht in den Tieren vor, sondern wird den Tieren zugefüttert.
Aber die DGE sagt auch, man müsse eine vegane Ernährung sorgfältig planen.
Man muss jede Ernährung sorgfältig planen, B12-Tabletten zum Beispiel wären für die meisten Menschen sinnvoll. Falsche Ernährung, die zum Beispiel zu Übergewicht führt, ist Todesursache Nummer eins.
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