Linke Verschwörungstheorie über Corona: „Im Labor entwickelt“
Der Hamburger Linken-Abgeordnete Mehmet Yildiz erkennt in der Pandemie den imperialistischen Westen am Werk. Genoss*innen distanzieren sich.
Mittwochnachmittag veröffentlichte das größtenteils türkischsprachige Nachrichtenportal „Avrupa Postası – Online-Nachrichtenmagazin für unabhängige demokratische Berichterstattung“ – auch auf Deutsch ein „Interview“ mit Yıldız, genauer: eine Reihe von Aussagen des 42-Jährigen, aber nicht auch die ihm möglicherweise gestellten Fragen.
Und was Yıldız da sagt, hat es in sich: Unter der Überschrift „Corona wurde in einem Labor hergestellt“ breitet er aus, dass die Corona-Pandemie „den Imperialisten“ dazu diene, „China aufzuhalten und den Klassenkampf von oben zu verschärfen“. Und mehr noch: „Der jetzige Ausbruch des Coronavirus“ werde „als eine moderne Kriegswaffe benutzt“.
Von wem genau, bleibt nicht lange unklar: Da sind „federführend die USA“ am Werk, wenn es nach dem 2008 erstmals ins Hamburger Parlament eingezogenen Yıldız geht. Die nämlich, wie auch ihre Mit-Imperialisten, hätten „überall verloren. Sie haben nicht nur die Kriege verloren, sie haben auch ihre Hegemonialstellung in der Weltwirtschaft und in der Politik verloren.“
Kein Zufall, das es China trifft?
Wem der Westen mit seinen Ideen da unterliegt, ist demnach vor allem China – wo ja auch das Virus zuerst auftrat. „Zu sagen, dass die Chinesen alles essen würden, was sie können und das Virus deshalb dort aufgetaucht ist, ist eine Schutzbehauptung“, schreibt Yıldız – und liefert eine alternative Erklärung: „14 Tage vor der Entdeckung des Ausbruchs des Coronavirus nahmen dreihundert US-Militärs an den Internationalen Militärspielen (Military Games), die im Oktober in Wuhan stattfanden, teil. Die Inkubationszeit des Coronavirus beträgt 14 Tage. Nicht nur führende chinesische Politiker_innen zweifeln daran, dass das ein Zufall ist.“
Zum ganzen Bild gehört allerdings: Verharmlosen will er die derzeitigen Ereignisse nicht, und das unterscheidet den renommierten Kinder- und Sportzuständigen seiner Fraktion von anderen, die sich in diesen Tagen mit „Alternativem“ zu Corona äußern: „Die Empfehlungen der Ärzte müssen befolgt werden“, auch damit lässt er sich zitieren. Aber mehr Herzenssache scheint eben das andere zu sein: „Es sollte nicht übersehen werden, dass das Coronavirus eine politische Seite hat. Corona ist der moderne Krieg der Imperialisten.“
Aus der Fraktion war am Donnerstag zunächst eine gewisse Überraschung über den Vorgang zu vernehmen. In einer gemeinsamem Mitteilung distanzierten sich dann am Nachmittag die Fraktionsvorsitzende Sabine Boeddinghaus und Landessprecher David Stoop „ausdrücklich“ von den geäußerten „Ansichten“ des Genossen. „Wir alle brauchen einen kühlen Kopf und überlegtes Handeln“, heißt es weiter. „Wirre Theorien und durchsichtige Schuldzuweisungen helfen in dieser Situation absolut niemandem. Im Gegenteil, sie schüren Angst und behindern die Eindämmung und Bekämpfung der Pandemie.“
Yıldız, geboren in der Türkei „als jüngstes von sechs Kindern in einer türkisch-kurdischen Arbeiterfamilie“, lebt in Deutschland, seit er zwölf Jahre alt ist. 2008 zog er als Parteiloser auf der Liste der Linken in die Bürgerschaft ein. 2011 errang er ein Direktmandat in einem migrantisch geprägten Wahlkreis. Im Februar dieses Jahres gelang ihm das wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene