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Lindner gegen Kohleausstieg 2030FDP will Koalitionsvertrag verfeuern

Bundesfinanzminister Lindner spricht sich gegen einen vorgezogenen Kohleausstieg 2030 aus. Im Koalitionsvertrag ist der als Ziel aber festgeschrieben.

Schlechte Umfragewerte, Unmut in der eigenen Partei: Jetzt geht FDP-Chef Lindner auf Kohle-Fans zu Foto: Liesa Johannssen/reuters

Berlin taz | Der Ampel droht neuer Streit: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) stellt das Ziel infrage, den Kohleausstieg auf das Jahr 2030 vorzuziehen. Damit versucht er, ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag mit seinen Partnern SPD und Grünen abzuräumen.

Der Hintergrund: Die Große Koalition hatte den Kohleausstieg für das Jahr 2038 auf den Weg gebracht. Das Verbrennen von Kohle zur Strom- oder Wärmegewinnung ist extrem klimaschädlich. Deshalb haben die Parteien der Ampelregierung beschlossen, den Kohleausstieg nach Möglichkeit früher zu erreichen. „Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Davon ist Lindner, der auch FDP-Vorsitzender ist, jetzt abgerückt. „Solange nicht klar ist, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist, sollten wir die Träume von einem Ausstieg aus dem Kohlestrom 2030 beenden“, sagte Lindner dem Kölner Stadt-Anzeiger. Energie sei teuer, solange sie knapp sei. „Deshalb ist jetzt nicht die Zeit, Kraftwerke abzuschalten“, sagte er. Darüber hinaus stellt er in Frage, dass ein Ausstieg dem Klimaschutz dient. „Für das Klima bringt dieses Datum ohnehin nichts, da die in Deutschland eingesparten CO2-Emissionen aufgrund der europäischen Regeln zum Beispiel in Polen zusätzlich anfallen dürfen“, sagte er. Das grün geführte Bundeswirtschaftsministerium weist das allerdings zurück. Auch auf Betreiben der Bundesregierung seien Regelungen auf europäischer Ebene entsprechend geändert worden, hieß es.

Lindners Vorstoß ist kein Alleingang. In der FDP-Bundestagsfraktion hat er Rückendeckung. Menschen und Unternehmen in Deutschland litten unter hohen Strompreisen, sagte der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse. „Um die Strompreise zu senken, muss das knappe Energieangebot ausgeweitet werden.“

Deshalb sind aus seiner Sicht frühere Kraftwerksabschaltungen nicht sinnvoll. „Ein politisch festgelegtes Ausstiegsdatum 2030 bringt dem Klimaschutz ohnehin nichts, da die vermeintlich eingesparten CO2-Emissionen woanders anfallen dürfen“, sagte auch er. Der Vorstoß der FDP dürfte neben der Sorge um hohe Strompreise auch schlechten Umfragewerten und Wahlergebnissen geschuldet sein.

Kritik an Lindner

Die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer, fordert in der Debatte einen anderen Fokus. „Auch mit Blick auf Bezahlbarkeit und Energiesicherheit müssen wir unsere vollständige energiepolitische Kraft darauf verwenden, den Ausbau der erneuerbaren Energien und von Speichern weiter zu beschleunigen“, sagte sie. „Hier haben wir schon gute Fortschritte erzielt; weitere stehen bevor.“ Die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger weist die Forderung der FDP zurück. „Die Klimakrise verschärft sich täglich“, sagte sie. „Deshalb müssen wir nicht später, sondern früher aus der Verbrennung von Braun- und Steinkohle aussteigen.“

Auch die Linkspartei kritisiert den Vorstoß. „Lindner präsentiert sich mal wieder als die personifizierte klimapolitische Verantwortungslosigkeit“, sagte die Linkspartei-Vorsitzende Janine Wissler. „Statt nach Wegen zu suchen, die Klimaziele einzuhalten, behauptet er einfach, das sei unmöglich und obendrein irrelevant.“

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) weist Lindners Forderung ebenfalls zurück. „Es steht völlig außer Frage, dass der Kohleausstieg 2030 unverzichtbar ist, um die Klimaziele zu erreichen“, sagte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Wie das Bundeswirtschaftsministerium weist er die Behauptung zurück, dass ein vorzeitiger Kohleausstieg keine Auswirkungen auf das Klima hätten. Die in Deutschland dadurch freiwerdenden CO2-Zertifikate müssen gelöscht werden, damit die Emissionen auch nicht an anderer Stelle in Europa anfallen“, sagte er. „Falsche Informationen werden nicht richtig, nur weil sie beharrlich wiederholt werden.“

Ausstieg schon eingeleitet

Dass der vorgezogene Ausstieg keine leere Worthülse im Koalitionsvertrag ist, zeigen die Pläne für das Rheinische Kohlerevier. Die schwarz-grüne Landesregierung in NRW, das Bundeswirtschaftsministerium und das Unternehmen RWE haben im vergangenen Jahr vereinbart, dass der Kohleausstieg dort auf 2030 vorgezogen wird. Vor einem Jahr hatte die Bundesregierung – mit Lindners Zustimmung – die Grundlage dafür auf den Weg gebracht.

Auch in Ostdeutschland ist nach Auffassung von BUND-Chef Bandt der vorgezogene Ausstieg eingeleitet. „In Ostdeutschland geht es nur noch um den genauen Abschaltplan für die Kohlekraftwerke“, sagte er. „Kohlestrom wird durch die enorme Marktdynamik der erneuerbaren Energien schon bald nicht mehr gebraucht werden.“

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27 Kommentare

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  • „Solange nicht klar ist, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist, sollten wir die Träume von einem Ausstieg aus dem Kohlestrom 2030 beenden“

    Ich zitiere aus einem Artikel in der Tagesschau:



    "Nämlich, dass Kohle weit vor 2038 unrentabel wird. So hatte nach RWE und EnBW zuletzt auch der Energiekonzern Uniper erklärt, bis 2029 die Kohleverstromung aus Kostengründen einzustellen."

    Soviel zu dem Kostenagument von Lindner....

    www.tagesschau.de/...eausstieg-100.html

  • "...den Kohleausstieg nach Möglichkeit früher zu erreichen. „Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen“..."



    Ich lese da "nach Möglichkeit" und "idealerweise". Nix bindende Vereinbarung.



    Wer sich die "Möglichkeit" des Fossilenausstiegs mit E-Autos und Wärmepumpen selbst verbaut, braucht sich über die Folgen nicht zu beklagen.

  • Überall auf der Welt Klimakatastrophen: Rekordregen rund ums Mittelmeer, der Regenwald am Amazonas emittiert (!) CO2, Waldbrände, Dürren, etc.



    Hier, vor ein, zwei Jahren: Verheerende Dürre, Ahrtalüberschwemmung und Erdrutsch, Hunderte von Toten.



    Hier, dieses Jahr: Verregneter Sommer, einige Wochen Dürre, seitdem milder Herbst mit ausreichend Niederschlag.



    Und schon ist vergessen oder wird ignoriert, was außerhalb unserer Grenzen, und letztes Jahr hierzulande geschah, und zweifellos in Zukunft wieder geschehen wird. Dummheit macht Politik macht Dummheit.

  • "Im Koalitionsvertrag ist der als Ziel aber festgeschrieben."

    Festgeschrieben? Der Koalitionsvertrag spricht von "idealerweise". Das steht da so schwammig, weil man es bereits ohne den Überfall auf die Ukraine als unhaltbar angesehen hat.

    Beim jetzigen lahmen Ausbau der Windkraft, der schleppenden energetischen Sanierung von Wohnungen und all den anderen bekannten Misserfolgen sollte sich die gesamte Ampel mal ehrlich machen und erklären wie die Ziele bis 2030 noch einzuhalten sind.

    So kommt mir das nur vor, als ob dem Wähler nach dem Mund geredet wird.

  • Die Profis wissen, wie in Bezug auf die Klimakrise zu handeln ist. Quod erat demonstrandum. ;-S

  • Als Ausgleich kann sich der Parteivorsitzende der Klimaschutzpartei FDP sicherlich ein Tempolimit von 80km/h auf den deutschen Autobahnen und Tempo 70 auf den Landstraßen vorstellen. Auch das schließt der Koalitionsvertrag auf Wunsch der FDP zwar aus, aber wen interessieren unterzeichnete Dokumente von gestern schon noch?

  • Die FDP stellt nicht unbedingt die Abschaltung der Kohlekraftwerke bis 2030 in Frage. Sie möchte diese lediglich nicht gesetzlich als "Kohleausstieg 2030" regeln.

    Wenn die CO2-Preise stärker ansteigen, wird das ebenfalls zu einer Abschaltung führen. Man könnte im Grund auch einen Automatismus beschließen, dass der CO2-Preis automatisch ansteigt, bis das letzte Kohlekraftwerk vom Netz ist.

  • Klar man auch weiterhin jede Verschwendung für vorrangig halten..

    ..(wie z.B. das Verfeuern der begrenzten erneuerbaren Energie für ineffektive E-Fuels, Luxusjachten, Privatjets, fette Karren, Wegwerfprodukte, usw. usw.).

    In dem Fall muss man dann halt die nötigen Energiemengen organisieren..z.B. indem man noch länger an Kohlekraftwerken und sonstigen Fossilen festhält

    oder

    man beginnt mal damit die PRIORITÄTEN UMZUKEHREN und überlegt sich, was man mit den vorhandenen Energiemengen (vor allem aus PV und Wind) so alles anstellen kann, wenn man sie effektiv nutzt.

    DAS

    Hr Lindner, wäre der PARADIGMENWECHSEL der zwingend erforderlich ist, wenn wir diesen Planeten für die Zukunft der Menschheit erhalten wollen (und uns so ganz nebenbei an die gesetzlichen Verpflichtungen.!! zum 1.5 Grad Ziel halten wollen).

    (ich weiß: die Prioritätensetzung in der gesamten FDP (und nicht nur dort) ist immer noch anders herum)..aber irgendwann wird die Realität diesen "Tribut" einfordern..unweigerlich..und je früher wir das mal kapieren desto besser...

  • Gas ist nur dann als Brueckentechnologie sinnvoll, wenn es A nicht gefrackt und B nicht verfluessigt wird. Ansonsten ist die Klimabelastung von Kohleverstromung und Gasverstromung in etwa dieselbe.

    Folglich bringt ein Kohleaustieg und das Bauen von Gaskraftwerken, wie aktuell geplant, dem Klima nix.



    Dafuer steigt der Strompreis weiter und die Deindustrialisierung bekommt einen Schub.

    • @elektrozwerg:

      Weil Gas AUCH schlecht für die Umwelt ist, soll Kohle weiter verwendet werden? Das erscheint mir unlogisch. Deindustrialisierung statt ständig neuen, Energie fressenden Technologien ist die größte Hoffnung für zukünftige Generationen. Jede Energieerzeugung verursacht Umweltschäden. Sparen wäre das Gebot der Stunde. Statt dessen werden uns ständig neue Technologien als unentbehrlich verkauft, die noch mehr Energie brauchen und störanfällig sind.

    • @elektrozwerg:

      Gas lässt sich aber besser regeln. Bei Gas ist es nicht nötig, bei geringem Bedarf das fossile Kraftwerk weiterlaufen zu lassen und stattdessen Windkraft abzuregeln.

      • @Francesco:

        Was das Regeln betrifft stimmt das. Aber wir haben ja aktuell schon Gaskraftwerke, um zu regeln.

        Und wenn man Kohle gegen Frackings-LNG tauschen muss, damit die Erneuerbaren funktionieren, liegt der Fehler vielleicht woanders. Wie soll das denn bei dem Ziel 100% Erneuerbare funktionieren?

  • Nachdem an der (im Koalitonsvertrag vereinbarten) Schuldenbremse gerüttelt wird, rüttelt Lindner am (im Koalitonsvertrag vereinbarten) Kohleausstieg. Ist wirklich jemand überrascht?

  • Die Grünen haben doch sowieso schon all ihre Ideale, viele Mitglieder und noch mehr Wähler verraten und verkauft.

    Also warum sollten sie sich jetzt auf den Ko-Vertag berufen und notfalls die Koalition aufkündigen ?

    Das bisschen Macht, was sie noch haben, schmeckt ja offenbar so süß, so lecker und so verlockend dass man dafür alles fahren läßt.



    Sogar den kläglichen Rest des noch vorhandenen Anstands.

    • @Bolzkopf:

      "Die Grünen haben doch sowieso schon all ihre Ideale, viele Mitglieder und noch mehr Wähler verraten und verkauft."

      Weniger als *alle anderen* die über die letzten 20 Jahre regiert haben.

      Das sollte man nicht unterschlagen, wenn man nicht den Eindruck erwecken will, Agitator der Rechten zu sein.

      • @Ajuga:

        Nicht alle denn CDU und FDP haben genau das geliefert, was ihre Klientel erwartet !

  • Nun ja - Grüne und SPD wollen den Koalitionsvertrag ja auch regelmässig anzünden indem sie immer wieder die Schuldenbremse in Frage stellen!

    • @Andere Meinung:

      Der Unterschied ist, dass Grüne und SPD etwas komplett Sinnloses in Frage stellen.

  • So ein Quatsch.



    Wenn ich in eine Vereinbarung schreibe, dass dann etwas gemacht werden könnte, wenn das idealerweise geht, wird es eben unter den Bedingungen, die stets nicht ideal sind, auch nicht kommen. Es scheint im Sinne der intellektuellen Hygiene angebracht, Vorhaben zu vereinbaren, wenn zugleich und damit die Umsetzung beschlossen und (!) ins Werk gesetzt wird, d. h. die tatsächlichen Schritte, die dafür erforderlich sind. Diese dämlich Prosapolitik muss aufhören.

  • Die Strategie von Lindner/der FDP scheint zu sein, die Grünen so lange zu piesacken und zu provozieren, bis sie sich bis zur Unkenntlichkeit verbogen haben, oder entnervt die Brocken hinschmeißen. So oder so, die Grünen können nur verlieren.

  • Lindner, der Mephisto der Bundesregierung. "Ich bin der Geist der stehts verneint..."

    Oder ist er nur nicht fähig, zu lesen, was er unterschrieben hat?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Und? Es gibt doch genügen Geld im Bundeshaushalt. Man könnte einfach alle klimaschädlichen Subventionen streichen.

  • Mir fehlen die Worte.

    Naja, ich hätte schon welche, aber die passen hier nicht rein.

    "Kriminelle Vereinigung" ist noch zu höflich.

    • @tomás zerolo:

      👍👍

  • mit dem basisbrief droht neuer ärger, wenn`s schlecht läuft bald neuwahlen.....

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @nutzer:

      Neuwahlen? Warum? DE hat einen Bundestag. Da wird das geregelt.



      Friedrich Merz plädierte doch schon für rot/schwarz. Kluge Menschen taten das bereits am 30. September 2021.



      taz.de/Selfie-von-...bb_message_4193699

      • @95820 (Profil gelöscht):

        ich glaube nicht, dass eine kleine "Groko" Chancen hätte, die cdu weiß schon, dass ihr da snicht helfen würde... das gezehter der affde über diesen "Wählerbetrug" wäre von der Blöd bis zur faz zu vernehmen