„Lebenslänglich“ für russischen Soldaten: Mit den Waffen des Rechts
Das Urteil gegen einen Soldaten wegen Kriegsverbrechen ist kein billiges ukrainisches Manöver. Auch in Russland könnte es etwas in Bewegung bringen.
L ebenslange Haft – so lautet das Urteil eines ukrainischen Gerichts gegen einen russischen Soldaten wegen eines Kriegsverbrechens. Mit diesem Verfahren bekommen menschliche Abgründe und Tragödien, die seit drei Monaten den Kriegsalltag prägen und ihren Ausdruck meist nur in anonymen Statistiken finden, reale Gesichter: Auf der einen Seite ein 62-jähriger Zivilist, der, zur falschen Zeit am falschen Ort, kaltblütig erschossen wurde. Auf der anderen Seite ein geständiger 21-Jähriger, der, offenbar aus Angst, an die Ukrainer verraten und wegen Befehlsverweigerung zur Rechenschaft gezogen zu werden, zum äußersten Mittel griff.
Die Frage ist, ob von diesem Prozess eine Art Signalwirkung ausgehen könnte. Mehrere Aspekte verdienen Beachtung: So hat der Anwalt des Verurteilten angekündigt, in Berufung zu gehen. Unabhängig davon, wie der Gang vor die nächsthöhere Instanz ausgeht, lässt dieses Prozedere darauf schließen, dass dieser Prozess rechtsstaatlichen Kriterien folgt und die Rechte des Angeklagten gewahrt werden.
Das dürfte all diejenigen Lügen strafen, die in dem Verfahren ein billiges Manöver sehen – getreu dem Motto: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Dazu passt auch die Einlassung der Witwe des Opfers, die, nach dem Strafmaß gefragt, auch einen Austausch des Täters gegen die gefangenen ukrainischen Soldaten aus dem Asow-Stahlwerk in Mariupol nennt. Rachegelüste sehen anders aus.
Auch in der russischen Öffentlichkeit könnte der Prozess, den selbst staatliche Medien vermelden, etwas in Bewegung bringen: So sieht sie also aus, die „Spezialoperation“ – ein grausamer Krieg, der so nicht genannt werden darf. Soldaten, auch wenn sie am untersten Ende der Befehlskette agieren, werden für ihr Tun zur Verantwortung gezogen.
Aufhorchen lässt ein Statement des Kremlsprechers Dimitri Peskow, das Schicksal eines jeden russischen Staatsbürgers sei von Bedeutung. Tatsächlich? Angesichts des Umstandes, dass die untersten Chargen nur verheizt werden, klingt das fast unglaublich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich